Kultur

Premiere im Theater am Puls in Schwetzingen: "Fettes Schwein" überzeugt

Von 
Lukas Heylmann
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Helen (Irina Maier) lockt Tom (Aris Sas) mit ihrer offensiven Art schon beim ersten Treffen aus der Reserve. © Norbert Lenhardt

Schwetzingen. Es ist zweifelsohne eine Komödie, das lässt sich nicht bestreiten. Doch es ist definitiv nicht jeder Satz lustig, der am Freitagabend im Theater am Puls fällt – beileibe nicht. Manche sind sogar sehr ernst und einige zielen dahin, wo es wehtut: in die Mitte der Gesellschaft.
Die Handlung von „Fettes Schwein“, das nun mit 14 Monaten Verspätung Premiere feiern durfte, ist schnell umrissen. Tom (Aris Sas), mit Bürojob in einer nicht näher genannten Firma beschäftigt, lernt in der Mittagspause Helen (Irina Maier) kennen, nachdem er sich eine abfällige Bemerkung über ihr Gewicht nicht verkneifen kann. Als das Restaurant, in dem die beiden sich befinden, fungiert der Eingangsbereich des Theaters, in dem Maier bereits vor Beginn der Vorstellung steht, Fast Food isst und mit den Besuchern spricht.
Nachdem Helen sehr offensiv mit ihrem Gewicht und Toms Bemerkung umgeht, finden die beiden Gefallen aneinander und beginnen eine Beziehung, doch schnell kristallisieren sich Probleme heraus: In seinem eher oberflächlichen Umfeld, bestehend aus dem Kollegen Carsten (Denis Bode) und Toms Ex-Freundin Jeannie (Jennifer Toman), versucht er, seine Beziehung zu Helen zu verheimlichen, denn ihr Aussehen ist ihm peinlich. Und das führt ihm seine eigene Oberflächlichkeit eindringlich vor Augen.

Einwandfreie Schauspielleistungen
Aris Sas brilliert in der Rolle des Tom, die er mit bestechender Genauigkeit und extrem fokussiert spielt. Dass er es schafft, gegen drei sehr viel auffälligere und vor allem oft lautere Charaktere zu bestehen und in der eher nachdenklichen Rolle des zwiegespaltenen Tom zu überzeugen, ist beachtlich. Denn die größten Reaktionen des Publikums bekommen oftmals auch die größten Aktionen auf der Bühne.
Da wäre zum einen Jeannie, eine Figur, die durchaus in manchen Szenen droht, zu einer Karikatur der manischen Frau zu verkommen, die so manche Komödie oft als lustig darstellt, wo sie doch eigentlich tragisch sein müsste. Jennifer Toman beeindruckt, indem sie die Stimmungsschwankungen von Jeannie trotz ihrer Extreme jederzeit glaubhaft bleiben lässt. Sie ist es auch, die Tom seine wenigen Gefühlsausbrüche entlocken kann.
Im Prinzip noch überzogener ist Carsten, ein im Grunde unausstehliches Ekel, das jedoch dank der Konsequenz, mit der Denis Bode ihn spielt, zum unvermeidlichen Blickfang wird. Es wäre zu viel gesagt, zu behaupten, er hätte die Sympathie der Zuschauer auf seiner Seite und doch scheinen sie ihm seine Frauenfeindlichkeit, seinen Rassismus und seine grundsätzliche Verachtung für jeden, den er nicht für normal hält, zu verzeihen. Obwohl die Figur streckenweise fast cartoonartig überzeichnet wirkt, könnte Carsten schlussendlich von allen vier Figuren der Realität am nächsten kommen. Er hat keinerlei Illusionen darüber, wer und was er ist und vor allem – und das ist so glaubhaft wie unschön – zieht er daraus keinerlei Schlüsse, die ihm helfen könnten, sich zu ändern.
Bleibt noch Helen, von der man anfangs glauben könnte, sie müsse eigentlich die Hauptfigur des Stücks sein. Irina Maier spielt die Rolle mit dem notwendigen Selbstbewusstsein, das es ja auch ist, das Tom an ihrer Figur anziehend findet. Besonders überzeugen kann Maier jedoch in den ruhigen Momenten, wie sie ihr besonders in der zweiten Hälfte des Stücks vergönnt sind.

Gesellschaftliche Relevanz
Doch der springende Punkt ist der: Helen ist mitnichten die große Hauptfigur. Es wird konstant über sie gesprochen, doch im Gegensatz zu Tom ist sie nicht beinahe durchgängig auf der Bühne. Statt zu untersuchen, wie es ihr mit der unangenehmen Lage geht, in die das Stück sie hineinwirft, also ihr im wahrsten Sinne des Wortes die Bühne zu bieten, sprechen die anderen Figuren nur über sie – und das eigentlich konstant. Aber das ist keineswegs als Makel zu verstehen, es verleiht der Thematik des Stücks Nachdruck: Es geht der Gesellschaft oftmals nicht darum, mit Menschen zu sprechen, die Diskriminierung erfahren, denn das kann unangenehm sein. Stattdessen wird über sie diskutiert, ohne ihre Beteiligung.
„Fettes Schwein“ gewinnt immens durch den simplistischen, aber effizienten Bühnenbau von Joerg Steve Mohr, Teresa Ungan und Bernd Spielbrink. Die Handlung und Dialoge stehen klar im Vordergrund, doch es ist auch nie so, dass der Szenerie etwas fehlen würde, das den Zuschauer immer wieder daran erinnert, dass das Gesehene unecht ist.
Am Ende bleibt ein Stück, das Unterhaltungswert bietet und diesen gekonnt mit gesellschaftlicher Relevanz verbindet. Und diese wird umso eindringlicher dadurch, dass man der ganzen Produktion und insbesondere den Darstellern anmerkt, wie sehr ihnen ihr Beruf im letzten, düsteren Jahr gefehlt hat. Belohnt werden sie dafür mit minutenlangem Applaus.

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