Theater

Premiere in Schwetzingen: Trotz Hass nicht aufgeben

Theater am Puls zeigt „This Bitter Earth“ von Harrison David Rivers vor ausverkauftem Haus.

Von 
Marco Montalbano
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Neil (Benjamin Mertens, r.) postet als „Gay Fucking Unicorn“ queeren Content im Internet. Partner Jesse (Leandro Labanteye) ist introvertierter. © Marco Montalbano
Überzeugen schauspielerisch auf ganzer Linie: Benjamin Mertens alias Neil (r.) und Leandro Labantey alias Jesse in der Deutschland-Premiere von „This Bitter Earth“. © Marco Montalbano

Schwetzingen. „Ganz großes Kino“ gab es am Freitagabend im Theater am Puls (TaP) bei der letzten Premiere dieser Spielzeit. Intendant Joerg Steve Mohr inszenierte und holte mit „This Bitter Earth“ aus der Feder des schwarzen und vielfach ausgezeichneten US-amerikanischen Dramatikers Harrison David Rivers ein ganz besonderes Stück als deutschlandweite Theaterpremiere nach Schwetzingen. Erzählt wird die schwule Liebesgeschichte des weißen Aktivisten Neil, gespielt von Schauspieler, Drehbuchautor und Regisseur Benjamin Martins, von dem auch die Übersetzung ins Deutsche stammt, und Jesse, einem sensiblen schwarzen Schriftsteller, verkörpert durch den jungen Afro-Deutschen Leandro Labantey in seiner ersten großen Rolle. Gefühlvoll und mit emotionalen Wellen, die das Publikum mit Wucht trafen, wurden dabei gleich mehrere große Themen unserer Zeit abgebildet: Rassismus, Ungerechtigkeit, das Gefühl handeln zu müssen, das „Anderssein“, wie man damit umgeht und die Frage, wie und ob man in einer Welt voller Hass noch lieben kann.

Neil protestiert für die Rechte farbiger Menschen und gegen Rassismus

Neil trägt Wut in sich. Als politischer Aktivist und von Schuldgefühlen geplagter Weißer verpasst er keine „Black Lives Matter“-Demo, um für die Rechte farbiger Menschen und gegen Rassismus zu protestieren. Und er versteht nicht, wie sein Partner als Afro-Amerikaner, zumindest in seinen Augen, so untätig sein kann. Er offenbart ihm seine Gefühle: „Weißt du, ich habe Angst, dass dir was passiert. Dann bekomme ich Panik.“ Aber der sensible Jesse wägt ab zwischen persönlichem Glück und gesellschaftlichem Engagement. Immer wieder gibt es Spannungen zwischen den beiden bis hin zu Neils Seitensprung, der deshalb aus der gemeinsamen Wohnung auszieht. Das gesamte Stück wird in Rückblenden erzählt, in denen die beiden Protagonisten verbal aufeinander eindreschen, bis hin zur Gewalttätigkeit - oder bis sie lustvoll übereinander herfallen.

Sie diskutieren über Privilegien, mutmaßlich rassistisch motivierte Polizeigewalt und Verantwortung. Solchen Diskussionen und dem empfundenen Druck der Gesellschaft auf Menschen „die anders sind“ soll eine Beziehung standhalten? Doch sie schaffen es immer wieder. Die Liebe siegt, trotz aller Probleme, wenn schon nicht auf der Welt, dann zumindest bei dem ungleichen Paar. „Du verstehst nicht, warum ich das mache und dass ich als Weißer Schuldgefühle habe. Aber du stehst nicht immer im Mittelpunkt, es dreht sich nicht alles um dich“, sagt Neil und proklamiert damit sein Recht, auch als nicht direkt Betroffener massiv und auf die Weise, die er für richtig hält, dafür einzutreten, woran er glaubt. Wenig später steht er im flauschig-bunten Einhorn-Ganzkörperkostüm als „Fucking Gay Unicorn“ vor der Kamera, um eine weitere Folge für seinen Social Media Kanal aufzunehmen – glücklich, absolut übertrieben und extrem schrill. Eine bunte friedliche Scheinwelt und Spiegel unserer Zeit.

Das Publikum ist begeistert und klatscht im Stehen. © Marco Montalbano

Sie diskutieren über Privilegien, mutmaßlich rassistisch motivierte Polizeigewalt und Verantwortung. Solchen Diskussionen und dem empfundenen Druck der Gesellschaft auf Menschen „die anders sind“ soll eine Beziehung standhalten? Doch sie schaffen es immer wieder. Die Liebe siegt, trotz aller Probleme, wenn schon nicht auf der Welt, dann zumindest bei dem ungleichen Paar. „Du verstehst nicht, warum ich das mache und dass ich als Weißer Schuldgefühle habe. Aber du stehst nicht immer im Mittelpunkt, es dreht sich nicht alles um dich“, sagt Neil und proklamiert damit sein Recht, auch als nicht direkt Betroffener massiv und auf die Weise, die er für richtig hält, dafür einzutreten, woran er glaubt. Wenig später steht er im flauschig-bunten Einhorn-Ganzkörperkostüm als „Fucking Gay Unicorn“ vor der Kamera, um eine weitere Folge für seinen Social Media Kanal aufzunehmen – glücklich, absolut übertrieben und extrem schrill. Eine bunte friedliche Scheinwelt und Spiegel unserer Zeit.

Die Zuschauer erleben eine Achterbahn der Gefühle

Was es bedeutet, in einer vorwiegend heterosexuellen Welt queer zu sein und wie problematisch dies selbst heute noch sein kann, steht außer Frage, auch wenn es in dem Stück nur angedeutet wird. Umso weniger Verständnis hat Neil für seinen Partner, der als Mitglied einer „doppelten Minderheit“ seine Stimme in dessen Augen nicht erhebt, um lautstark gegen Diskriminierung zu protestieren. So erlebt der Zuschauer eine Achterbahn der Gefühle, lacht mit dem Paar an heiteren Stellen oder über die Klischees über Schwarze und Weiße, Reiche und Arme, Christen, Queere und Heteros, die sich Neil und Jesse manchmal humorvoll, manchmal voller Zorn an den Kopf werfen. Am Ende stirbt Neil durch einen Flaschenwurf und Jesse bleibt traurig und wütend zurück. In einem beeindruckenden Schlussmonolog reflektiert er den Verlust und fragt sich, ob es ausreiche, sich zu erinnern und ob Liebe allein genüge, um weiter zu machen. Er schließt: „Ich bin müde. Ich bin wütend. Ich bin hier. Ich lebe noch und ich werde nicht aufgeben“, und erkennt dabei, dass seine Trauer nicht nur persönlich, sondern auch politisch ist.

Loben muss man nicht nur die kraftvolle Inszenierung und das gute Schauspiel, sondern auch das visuelle Konzept von Bühnen- und Kostümbildnerin Teresa Ungan und Mohr mit einer komplett in Schwarz gehaltenen Bühne, minimalistisch, die Akteure in den Mittelpunkt stellend. Hoch emotionale Bilder wurden an die Bühnenwände projiziert, die ihre Wirkung nicht verfehlten, stil- und respektvoll in Schwarz-Weiß gehalten. Zu sehen waren Aufnahmen von Protesten voller Wut für die Rechte Schwarzer, aber auch Versöhnliches, wie Polizisten im Einsatz und Menschen verschiedener Hautfarben, die sich weinend in den Armen liegen. Eingeblendet wurden dazu Ortsnamen und die Daten, an denen amerikanische Farbige von Polizeikräften erschossen wurden. Ein Stück, das der eigenen Bewusstwerdung dient, das zum Nachdenken anregt und eine Einladung sein soll, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Auf die Frage, für wen das Stück besonders relevant sei, hatte Benjamin Martins im Interview mit dieser Zeitung so geantwortet: „Für alle, die schon mal geliebt haben oder gehasst wurden.“

Joerg Steve Mohr betonte nach der Aufführung: „Da muss ich nicht mehr viel sagen. Denn das Stück spricht für sich selbst.“ Das Publikum zeigte sich begeistert. Besucherin Erika Henger aus Mannheim kommentierte: „Behandelt wurde hier ein absolut wichtiges Thema. Das ist richtig in die Tiefe gegangen.“ Und Hanna Matuschek und Sebastian Rahner aus Ketsch meinten: „Dass Dinge wie ‚White Entitlement‘ thematisiert werden, finden wir gut.“ Sie ergänzten: „Wir leben immer noch in einer rassistischen Gesellschaft. Aber wir arbeiten daran.“

Aktuell wurden keine weiteren Aufführungen bekannt gegeben. Mehr Informationen im Internet unter www.theater-am-puls.de.

Freier Autor Freier Journalist. Davor Pressereferent. Studium der Politikwissenschaft.

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