Mannheim. Am Mannheimer Landgericht hat am Freitag der Prozess gegen den mutmaßlichen Amokfahrer vom Rosenmontag begonnen. Er soll am 3. März mit seinem Wagen zwei Menschen getötet und 14 weitere verletzt haben, fünf von ihnen schwer. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm unter anderem Mord, versuchten Mord und gefährliche Körperverletzung vor.
Oberstaatsanwältin Jeannette Zipperer rekonstruierte zu Beginn des Verfahrens, was sich am 3. März nach Ansicht der Staatsanwaltschaft in der Mannheimer Innenstadt zugetragen hat: Um 12.14 Uhr, da stand der Angeklagte Alexander S. an einer roten Ampel am Friedrichsring auf Höhe des Wasserturms. Während der heute 40-Jährige an der Ampel wartete, aktualisierte er laut Staatsanwaltschaft seinen WhatsApp-Status. In seinem Status soll er den Link zu einem Rammstein-Song gepostet haben: „Feuer frei“.
Oberstaatsanwältin: Ziel des Angeklagten sei es gewesen, eine unbestimmte Zahl an Fußgängern zu töten
Dann überfuhr er laut Anklage die rote Ampel und raste los – Richtung Fußgängerzone. Auf den Planken sei es sein Ziel gewesen, „diese mit hoher Geschwindigkeit zu durchfahren und eine noch unbestimmte Zahl von Fußgängern unter bewusster Ausnutzung des Überraschungsmomentes zu töten“, sagte Zipperer am Freitag.
Zunächst soll Alexander S. am Plankenkopf zwei Männer erfasst haben, einer von ihnen wurde leicht am Knöchel verletzt, den anderen soll S. frontal gerammt haben. Der Mann wurde durch die Luft geschleudert, zog sich unter anderem einen Knochenbruch sowie Kopfplatzwunden zu.
Mit mindestens 80 Kilometern pro Stunde soll Alexander S. danach weiter die Fußgängerzone entlang gerast sein. Nach 350 Metern soll er den Kleinwagen auf Höhe des Modehauses Engelhorn gezielt nach links auf einen 54-Jährigen gelenkt haben. Der Mann hatte ihm den Rücken zugewandt und lief gerade Richtung Paradeplatz, so die Oberstaatsanwältin. Mit der linken Fahrzeugseite habe er den Passanten erfasst, der darauf mehrere Meter durch die Luft geschleudert worden sei und kurz vor der Haltestelle Strohmarkt auf eine Frau gefallen sei, die dort gestanden habe. Der Mann erlitt lebensgefährliche Verletzungen, denen er kurze Zeit später noch an der Unfallstelle erlag. Die Frau trug laut Staatsanwaltschaft eine Beule davon.
Darauf habe S. den Wagen wieder nach rechts gesteuert und sei mit dem linken Vorderrad am erhöhten Bordstein im Haltestellenbereich hängengeblieben. Er soll sich dabei den Reifen aufgeschlitzt haben, Karosserieteile seien abgefallen. „Ungeachtet des beschädigten Reifens gab der Angeklagte erneut Gas und fuhr mit unvermindert hoher Geschwindigkeit weiter Richtung Paradeplatz“, sagte Zipperer.
Zufallsopfer bewusst in Kauf genommen?
Am Paradeplatz soll er kurze Zeit später gezielt in eine Menschenmenge gefahren sein. „Aufgrund des erhöhten Personenaufkommens am Paradeplatz und seiner rasanten Geschwindigkeit rechnete der Angeklagte damit, dass nicht nur die von ihm anvisierten Opfer verletzt oder getötet werden, sondern auch Zufallsopfer Verletzungen erleiden könnten“, so Zipperer.
Der Wagen krachte in zwei Fußgängerinnen, die „sorglos flanierten“. Einer der Frauen wurden bei dem Zusammenstoß laut Staatsanwaltschaft beide Unterschenkel abgetrennt. Der Körper der 83 Jahre alten Frau sei durch die Luft geflogen und auf die Windschutzscheibe des Fahrzeugs geschleudert worden. Der Kopf der Frau habe die Scheibe durchbrochen. Die Frau starb wenige Minuten später auf dem Mannheimer Paradeplatz.
Die zweite Fußgängerin sei durch den Aufprall mehrere Meter weit geschleudert worden, wo sie schwer verletzt liegen geblieben sei. Sie habe mehrere Frakturen erlitten, überlebte die Tat aber.
Dann überfuhr der Angeklagte Alexander S. laut Anklage die Straßenbahnschienen am Paradeplatz und steuerte seinen Wagen auf Höhe des Modegeschäfts H&M erneut in eine Menschengruppe. Dabei habe er drei weitere Menschen erfasst, eine Frau, die ihren kleinen Sohn im Kinderwagen durch die Stadt schob und eine Frau, die mit ihrem Rollator gerade die Straße überqueren wollte. Beide Frauen und der zweijährige Junge seien durch die Luft geschleudert worden. Beide Frauen erlitten Knochenbrüche, der kleine Junge sei leicht verletzt worden.
Danach habe der Angeklagte wiederum Gas gegeben und sei die verlängerten Planken entlanggerast. Dabei habe ein Taxifahrer dessen Verfolgung aufgenommen. Als der Angeklagte sich auf Höhe des Quadrats E7 in eine Sackgasse manövriert habe, versperrte ihm der Taxifahrer den Weg. Der Angeklagte sei darauf ausgestiegen, habe mit einer Schreckschusspistole in Richtung des Taxifahrers gezielt – offenbar, um ihn einzuschüchtern -, dann aber einen Schuss in die Luft abgegeben. Danach sei er in Richtung des Quadrats D7 davongerannt. Der Taxifahrer habe einen Schock mit Atemnot erlitten und musste laut Staatsanwaltschaft in einem Krankenhaus behandelt werden.
Taxifahrer und drei weitere Opfer treten als Nebenkläger in dem Verfahren auf
Der Taxifahrer gehört zu vier Opfern der Tat, die in dem Verfahren als Nebenkläger auftreten. Dazu gehören neben ihm die Frau mit dem Rollator sowie die Mutter des Zweijährigen und die Frau, die zeitgleich mit der später Verstorbenen erfasst wurde. Zu Beginn des Prozesses war zunächst keiner der Nebenkläger im Sitzungssaal.
Nach der Schussabgabe sei der Angeklagte in Richtung Hafen gelaufen, sagte Zipperer am Freitag weiter. Dort wurde er festgenommen, zuvor schoss habe er sich mit der Schreckschusswaffe in den Mund geschossen, weil er sich selbst habe töten wollen.
Weil der Angeklagte seit Jahren an einer psychischen Erkrankung leide, sei eine erheblich verminderte Schuldunfähigkeit nicht auszuschließen. Stellt ein Gericht die verminderte Schuldfähigkeit eines Angeklagten fest, so kann dessen Strafe abgemildert werden. Regungslos verfolgte der Angeklagte die Anklageverlesung.
Nach der Anklageverlesung gab der Vorsitzende Richter Gerd Rackwitz den rechtlichen Hinweis, dass die Kammer nach der Untersuchung des Angeklagten durch den Psychiatrischen Sachverständigen auch eine Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus prüfen müsse.
Nach der Anklageverlesung gab der Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Uwe Kosmala aus Mannheim, eine Erklärung für seinen Mandanten ab, der den Ablauf der Tat nicht bestreite, so Kosmala. Nach seinen eigenen Schilderungen sei S. der Gedanke an eine Amokfahrt erstmals am Samstag vor der Tat gekommen, begleitet von starker Wut und Selbstzweifeln. Der Gedanke daran habe Alexander S. den Sonntag über weiterbeschäftigt und dachte darüber nach, die Tat in einer Stadt in der Rhein-Main-Region zu verüben, wo sein Vater lebt, weil er diesem gegenüber auch starke Wut verspürt habe. Bei der Amokfahrt habe sein Mandant sich und andere töten wollen. Er habe eine seelische Krise durchlebt, seine Steuerungsfähigkeit sei stark eingeschränkt gewesen. Dies habe der Psychiatrische Sachverständige in seiner vorläufigen Einschätzung bereits festgestellt.
Weitere Fragen dazu wollte Alexander S. nicht beantworten.
In dem Verfahren sind 13 Termine angesetzt, ein Urteil könnte kurz vor Weihnachten fallen.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/startseite_artikel,-schwetzingen-prozess-nach-mannheimer-amokfahrt-die-chronologie-des-schreckens-_arid,2337760.html