Schwetzingen. „Ich erinnere mich noch sehr genau an den Moment, als das Auto mit hoher Geschwindigkeit an uns vorbeiraste. Wir sahen den Fahrer, der Vollgas gab – kurz darauf hörten wir einen dumpfen Schlag. Uns war sofort klar: Da ist etwas Schlimmes passiert.“ So beginnt ein Schreiben von Dorothea Martaler aus Schwetzingen an unsere Zeitung. Und es endet mit dem Satz: „Es tut mir um die wehrlosen Opfer sehr leid!“ Gemeint ist die Amokfahrt auf den Planken in Mannheim am Rosenmontag, von der sie mit ihrer Tochter zusammen Augenzeugin geworden ist. Und sie sagt uns auch: „Wir haben einen Glücksengel gehabt – im wahrsten Sinne des Wortes.“
Als ich die rüstige Seniorin in ihrem Häuschen in einem Schwetzinger Wohngebiet besuche, macht ihr Mann uns einen Espresso. Wir kennen uns vom Sehen und vereinbaren, dass wir den Namen der Frau verfremden. Die Familie und die engen Freunde wissen, was sie erlebt hat, aber sie möchte nicht dauernd darauf angesprochen werden. Und ein wenig treibt sie auch die Sorge um, dass sie selbst in ein Visier geraten könnte, wenn ihr richtiger Name da stünde.
Ein spontaner Ausflug nach Mannheim mit unerwarteten Folgen
Dann sprechen wir über den Schicksalstag. Sie sei am Freitag zuvor in Mannheim gewesen, habe einen Pullover gekauft. Und weil er so schön war, habe sie das Stück nochmals in einer anderen Farbe holen wollen. Spontan habe ihre Tochter (30) gesagt, dass sie mitkommen wolle. Dem Ausflug stand nichts mehr im Wege. Auch auf dem Fasnachtsmarkt habe man mal vorbeischauen wollen, der immer am Rosenmontag auf den Planken aufgebaut ist. Um die Mittagszeit erreichten die beiden Frauen das Parkhaus in Q6/Q7, stellten ihren Wagen ab und schlenderten in Richtung Planken.
Gerade wollte man auf die Planken Richtung Galeria Kaufhof laufen, da sahen sie in einem Schaufenster eine Engelsfigur. Mutter und Tochter sprachen über diesen Schutzengel, scherzten miteinander. Diese kleine Verzögerung könnte ihnen ihr Leben gerettet haben. Denn sonst wären sie zur Zeit der Amokfahrt um 12.15 Uhr schon mittendrin gewesen – auf den Planken, wo Alexander S. mit seinem Ford Fiesta in mehrere Menschengruppen raste. Denn sie konnten ihn gegenüber von Peek und Cloppenburg deutlich sehen, nur wenige Meter entfernt: „Ich konnte ihn mit starrem Blick und seinen dunklen Koteletten am Steuer sitzend gut erkennen“, sagt Dorothea Martaler uns beim Gespräch am Esstisch. Ein Bild, das sie nie vergessen wird. Und vor allem nicht diesen schrecklichen Schlag, als er mit seinem Wagen in die Menschen prallte.
„Wir haben uns angeschaut und sofort auf dem Absatz kehrt gemacht, wir hatten Angst und wollten nur noch weg“, erzählt die Schwetzingerin. Glücklicherweise habe sie nicht sehen können, wie es passiert sei, da seien die Imbissstände des Fasnachtsmarktes dazwischen gestanden. Aber Sekunden später sei schon eine Frau um die Ecke gerannt gekommen, völlig außer Atem sei sie in einen Hauseingang gerannt, habe gesagt, es sei was Schlimmes passiert.
Panik in der Mannheimer Fressgasse: Fluchtversuch scheitert
Die Frauen gingen zur Fressgasse, dort fuhren auch schon Polizeiwagen und Sanitäter heran. Sie sei so froh gewesen, dass ihre Tochter einen kühlen Kopf behalten habe und sie an der Hand genommen und bis zum Auto gebracht habe: „Ich hatte Schnappatmung vor lauter Angst“, sagt Doro Martaler. Sie wollten dann mit ihrem Auto weg Richtung Schwetzingen. Am Wasserturm habe sie dann eine junge Polizistin nicht durchgelassen und wieder in die Fressgasse geleitet. Da rannten Menschen davon, riefen um Hilfe und schrien etwas von Schüssen.
„Ich hatte den Eindruck, als würden wir geradezu in die Gefahr zurückfahren. Und es war ja auch genauso. Ich sagte, wir müssen abbiegen. Ich habe wirklich gedacht, dass wir das nicht überleben. Meine Tochter und ich hielten uns fest an einer Hand, obwohl sie fahren musste. Aber es kam eine Einbahnstraße nach der anderen, erst die dritte Straße konnten wir rechts rein, sind dann über die Kurpfalzbrücke weggefahren und hörten von allen Seiten Martinshörner und sahen Einsatzwagen. Wir wussten, dass etwas Schlimmes passiert sein muss. Erst als wir aus Mannheim raus waren, stellte sich eine gewisse Erleichterung ein“, sagt uns die Schwetzingerin.
Ein Schutzengel hilft beim Verarbeiten der Ereignisse
Als Doro Martaler dann zu Hause hörte, was geschehen ist, habe sie Wut, Trauer, Ohnmacht und Entsetzen gefühlt. Es habe sie tagelang und nächtelang verfolgt. Sie habe auch darüber nachgedacht, die Telefonnummer zu wählen, die als Hilfsangebot in unserer Zeitung genannt war. Einige Tage später sei sie dann mit ihrem Mann nach Mannheim gefahren, um den gleichen Weg nochmals zu gehen und ihm besagten Schutzengel zu zeigen. Und so habe sie das besser verarbeiten und auch einen gewissen Schlussstrich unter die Sache ziehen können. Und ja, sie sei inzwischen auch allein wieder in Mannheim gewesen.
Als dann Mitte August das Landgericht Mannheim die Zulassung der Anklage gegen den 40-jährigen Amokfahrer Alexander S. verkündet hat, dem vorgeworfen wird, zwei Menschen ermordet zu haben und mehrere Mordversuche begangen zu haben, sei alles wieder aufgewühlt worden. Da habe sie sich an ihre Heimatzeitung gewandt. „Ich werde dieses Ereignis nie vergessen. Und mich interessiert es schon, warum er das gemacht hat, weshalb jemand so viele Menschen in Angst und Schrecken versetzt und mit seinem Auto hat umbringen wollen“, sagt sie. Ab Freitag, 31. Oktober, wird das vor dem Landgericht aufgearbeitet.
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