Schwetzingen. Die Volkshochschule Bezirk Schwetzingen lädt in Kooperation mit dem Dekanat Südliche Kurpfalz, der Erwachsenenbildung Rhein-Neckar-Süd und der Landeskirche am Mittwoch, 10. November, um 19 Uhr im Lutherhaus dazu ein, „Zukunft neu zu denken und Schritte zu einem nachhaltigen, gerechten Frieden zu wagen“. Gastredner ist der Koordinator der bundesweiten Initiative „Sicherheit neu denken“, Ralf Becker. Wir haben mit dem Projektleiter der Initiative über den Vortrag mit Diskussionsforum gesprochen.
Die Initiative „Sicherheit neu denken“ setzt sich für einen Wechsel von einer militärisch geprägten zu einer zivilen Sicherheitspolitik ein. Was bedeutet das genau?
Ralf Becker: Deutschland will und soll international mehr Verantwortung übernehmen. In der öffentlichen Diskussion wird das verbreitet mit dem Ausbau unserer militärischen Fähigkeiten und Einsätze verbunden. Die weltweiten ökologischen, politischen und sozialen Herausforderungen und Konflikte lassen sich jedoch mit militärischen Mitteln nicht nachhaltig lösen. Militärische Interventionen sind oft sogar kontraproduktiv, wie am Beispiel Afghanistan wieder deutlich wurde.
Wer ist an der Initiative beteiligt?
Becker: 39 deutsche und drei europäische Organisationen, darunter das Friedenspfarramt der Württembergischen sowie die AG Frieden der Rheinischen Landeskirche, die katholische Friedensinitiative Pax Christi, die Ärzte zur Verhütung eines Atomkriegs, die Deutsche Friedensgesellschaft und viele andere. Die Synode der evangelischen Kirche im Rheinland vom Januar dieses Jahres zum Beispiel hat ihren Gemeinden, Kirchenkreisen, der Landeskirche und ihren Einrichtungen empfohlen, unsere Impulse aufzunehmen und ihren Beitritt zu unserer Initiative zu prüfen, was immer mehr Gemeinden umsetzen.
Die evangelische Landeskirche in Baden legt dazu ein alternatives Konzept der Friedenssicherung durch eine zivile Sicherheitspolitik vor. Was umfasst das Konzept?
Becker: Grundlage des Szenarios ist der Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung des Aktionsplans „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ von 2014. Das Szenario zeigt auf, wie die vielfältigen bestehenden Ansätze für eine zivile Sicherheitspolitik zukünftig konsequent ausgebaut werden könnten und beschreibt dazu fünf Pfeiler ziviler Sicherheitspolitik: gerechter Wirtschafts- und Lebensstil, nachhaltige Entwicklung der EU-Anrainerstaaten, Entwicklung einer globalen zivilen Sicherheitsarchitektur, resiliente Demokratie und Konversion der Bundeswehr und Rüstungsindustrie.
Ein Meilenstein soll ein Beschluss des Bundestags zum Umstieg zu einer zivilen Sicherheitspolitik bis 2040 sein. Was hat es damit auf sich?
Becker: Ähnlich wie beim Ersatz von Atom- und Kohleenergie durch regenerative Energie streben wir einen Beschluss des Bundestags 2025 für den anstehenden Paradigmenwechsel von militärischer zu ziviler Sicherheitspolitik an. Ähnlich wie bei der Umstellung unserer Energieversorgung könnten dann ab 2025 alle dafür notwendigen Weichen gestellt werden, so dass wir 2040 nicht mehr – wie bisher vorgesehen – 80 Milliarden Euro pro Jahr in die Bundeswehr, sondern in nachhaltige zivile Sicherheit investieren.
Wie sieht das Szenario zum Ausstieg aus der militärischen Friedenssicherung aus, was kennzeichnet die Instrumente der gewaltfreien Konfliktbearbeitung?
Becker: Durch die tägliche Berichterstattung ist unser Blick auf militärische Konflikte Instrumente der Konfliktintervention gerichtet. Dabei gibt es in der Welt unzählige Beispiele gewaltfreier Konfliktlösung, von denen wir lernen können, wie wir unserer internationalen Verantwortung besser gerecht werden. In Somaliland beispielsweise, dort, wo bereits vor 30 Jahren ein westlicher internationaler Militäreinsatz komplett scheiterte, haben Frauen eine nachhaltige Befriedung ihres Landes erreicht, indem sie mutig über sieben Jahre lang mit den sie terrorisierenden regionalen Warlords eine befriedende neue Landesverfassung ausgehandelt haben.
Welchen Zeitrahmen gibt es von Seiten der Initiative für diesen Schritt zum Frieden?
Becker: Wir glauben, dass wir in Deutschland eine solche nachhaltige Umstellung bis zum Jahr 2040 realisieren können, die dann auch beispielgebend und anregend für die gesamte europäische und weltweite Politik wirken wird.
Welche konkreten Beteiligungsmöglichkeiten gibt es für den Einzelnen?
Becker: Zunächst kann jeder auf unserer Website den Aufruf unterzeichnen, ob als Einzelperson oder Organisation. Für eine Beteiligung darüber hinaus gibt es regionale Ansprechpartner und die Möglichkeit, unser Szenario und Informationen als Datei downzuloaden oder gedruckte Informationen zu bestellen.
Sie schildern auch ein Negativszenario „Nahe am Abgrund“, was bedeutet das genau?
Becker: Neben einem Positivszenario haben wir – als Teil sogenannter Meilensteine – auch die mögliche Zukunftsentwicklung in einem Trend- und einem Negativszenario beschrieben. „Nahe am Abgrund“ beschreibt die mögliche Entwicklung zunehmender gewalttätiger Krisen und Kriege bei ungehindertem Klimawandel, fortgesetzter Migration und eskalierender Gewalt, die sich in Deutschland zum Beispiel in zunehmenden bewaffneten Bürgerwehren ausdrücken könnte. Zurzeit beobachten wir weltweit eine Zunahme militärischer Lösungsversuche all dieser Konflikte – wir sind überzeugt davon, dass wir die bisher für Militär vorgesehenen und investierten Mittel zukünftig dringend für die Lösung der wirklichen weltweiten Probleme benötigen. Bild: Widdrat
Info: Diskussionsforum im Lutherhaus Schwetzingen: Mittwoch, 10. November, 19 bis 21 Uhr, Eintritt frei (3G und Maskenpflicht).
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Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Kommentar Den Soldaten schuldig