„Was darf ich auf keinen Fall erwarten“, hatte ich Joerg Steve Mohr im Vorfeld der Premiere von „Das weiße Rössl“ gefragt. „Peter Alexander“, lautete die Antwort des Intendanten vom Theater am Puls mit einem Augenzwinkern. Er spielte damit auf den Schlagersänger (1926 – 2011) an, der im gleichnamigen Filmklassiker von 1960 die Hauptrolle spielte. Was das kleine Ensemble da jedoch am Freitagabend auf die Bühne im Park im Schwetzinger Schlossgarten zauberte, überstieg alle Erwartungen. Das kann natürlich verschiedentlich ausgelegt werden. Kunst soll ja reiben dürfen. Sie kann gefallen, muss aber nicht. Geschmackssache. Nur so viel vorweg: Diese Inszenierung zeugt von einem solchen Tiefgang und einer Tragweite, dass sie auf große Bühnen gehört. Und eigentlich auch mal vor den Bundestag!
Herrliche Unterhaltung, brillante Darsteller, absurde Komik, zeitgemäße Liedtexte und Musik, die ins Ohr geht, gepaart mit gesellschaftskritischen Blicken auf gleich mehreren Ebenen: Die Geschichte des beliebten Traditionshotels im österreichischen Salzkammergut hat durch die Textbearbeitung von Nici Neiss und die Musik von Stefan Ebert ein komplett neues Gesicht erhalten. Der Rahmen des Singspiels von Ralph Benatzky aus dem Jahr 1930, auf dem auch der benannte Film basiert, ist das einzige, was geblieben ist. Ansonsten wird „Das weiße Rössl“ mit neuem Leben gefüllt und trägt nicht umsonst den Zusatz „2020“. Die Pandemie spielt eine große Rolle und die Betrachtung der von der Regierung getroffenen Regeln. Dem ein oder anderen mag es davon vielleicht etwas zu viel sein. Aus der Perspektive einer Gruppe, die über Monate einem aufdiktierten Berufsverbot ausgesetzt war, ist es eine passende Reflektion der Dinge – süffisant und kritisch verpackt.
Notlage und Lobbyismus
Die Einstiegsszene ist ein Hinweis auf die Stückentwicklung: Per Zoom-Video-Konferenz tauschen sich die Schauspieler aus, erzählen, in welche Rollen sie einmal schlüpfen wollen. So lief das während des Lockdowns im vergangenen Jahr ab, so wurde die Hotelgeschichte kreiert. Nici Neiss spielt die Hotelchefin Hanna Vogelhuber, die mit ihrem Team in Quarantäne im „Rössl“ festsitzt. Durch die Pandemie hat alles geschlossen, so auch ihr Haus. Mit „Dampferübungen“ halten sie sich in Form und servieren die beliebten Paprikahendl, die weg müssen, weil sie schon so alt sind, imaginären Gästen. Durch fehlende Einnahmen kann die Direktorin Kredite nicht tilgen und ihre Belegschaft nicht bezahlen, die Kurzarbeit wurde nicht genehmigt („Ein Hotel ist nicht systemrelevant, Musiker schon gleich gar nicht“), befördert daher den Oberkellner zum „Chief Food Restaurant Manager“ („Titel statt Geld“) und bekommt nur 1500 Euro aus dem staatlichen Förderfonds („Die Konkurrenz bekam 50 000 Euro; die hat ja auch eine Sauna“). Kurzum: „Im ,Weißen Rössl‘ am Wolfgangsee, da stand das Glück vor der Tür . . . jetzt war es lange nicht mehr hier“, erhalten bekannte Textzeilen der Originalvorlage einen deprimierten Unterton.
Doch das ist nicht die einzige Baustelle. Die Konkurrenz vom „Goldenen Esel“ auf der anderen Seeseite macht dem „Rössl“ zu schaffen. Der dortige Chef Gruber pflegt in sämtliche Richtungen seine Seilschaften, sei es zu den Bürgermeistern der Gemeinden oder zum Konzern Red Boom. Ziel ist es, die „Rössl“-Wirtin zum Aufgeben zu bewegen, um auf das Hotelgrundstück einen „Ballermann-Eventschuppen“ zu stellen. Politisch-wirtschaftliche Verstrickungen, Lobbyismus, Bestechung, Erpressung – darauf einen (Energy-)Drink! Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Zwischen Tradition und Freiheit
Denn es ist ja eine „virulente musikalische Komödie“, die da an diesem verregneten Freitag angekündigt wird. Fünf Minuten vor Vorstellungsbeginn schließen sich glücklicherweise die Schleusen am Himmel, Bühne und Stühle werden abgewischt, damit das knapp zweistündige Open-Air-Spektakel steigen kann. Und dazu gehören fette Gitarrenriffs, Melodien zum Mitwippen und Mitklatschen sowie Ohrwürmer, die im Kopf bleiben. Stefan Ebert hat hier ganze Arbeit geleistet. Vom „Willkommensgruß“, den das Ensemble während der „Dampferproben“ schmettert, über die „Mitte vom Film“ („...wenn man dranbleibt und zusammenhält, rettet man am Ende die Welt...“) bis hin zum eingängigen „Ich brauch’ Urlaub“ – die Titel sind zeitgemäß, witzig und pfiffig. Und auch mal melancholisch wie „Ohne Liebe leben“ oder – ganz stark – das Solo von Nici Neiss bei einer Version von „Kaisers Lied – S’ ist einmal im Leben so“. Von der Schunkellaune schwenkt sie plötzlich um aufs Rockige, ein Ausdruck, um Tradition gegen Freiheit einzutauschen.
Der gebürtigen Österreicherin mit ihrem Wiener Schmäh ist die Rolle wie auf den Leib geschneidert. Das trifft übrigens auf alle Darsteller zu. Natürlich gibt es den singenden Oberkellner Leonardo – mit italienischen Wurzeln und krimineller Vergangenheit: Daniele Veterale verkörpert den gewieften Gigolo und glänzt mit zauberhaft komödiantischer Bühnenpräsenz. Viele Lacher erntet er für die Rede zum Geburtstag seiner Chefin, die – aufgrund seiner Verliebtheit zu dieser – nur so vor Wortverwechselungen strotzt („Meine sehr Versehrte, liebe Versaute . . . Hanna).
Der Verschwörungstheoretiker
Lisa Pellegrinon als sexy Hausmädchen „Putzi“, das aus Liebe als Betriebsspionin für die Konkurrenz agiert, beweist ihre multiple Einsatzfähigkeit nicht nur als gespaltene Persönlichkeit. Dann wäre da noch der kiffende Praktikant Philipp aus Deutschland, der lange Philosophie und Germanistik studiert hat und nun im Hotel von Papas Hosenzipfel loskommen soll. Jonas Werling verleiht dem Charakter seiner Figur ein spannendes Gesicht: Auf den ersten Blick unscheinbar, verbreitet er durch seine Internet-Videotagebücher aus der Quarantäne „Verschwörungstheorien“ – den passenden Song dazu hat er selbst geschrieben. Ja, irgendwie kommt einem vieles bekannt vor: der Billy, der die Weltherrschaft übernimmt, weil er mit den Chinesen unter einer Decke steckt, der Jogginganzug, den man seit fünf Wochen trägt, die 92-Jährige, die plötzlich und unerwartet verstirbt und das kurz nach der Covid-19-Impfung, die Panik, 30, nein 100 Gramm zugenommen zu haben – „als Schauspielerin geht das gar nicht“ (herrliche Persiflage von Lisa Pellegrinon!). Und dann, als die Kurzarbeit doch noch bewilligt wird, steht das Eröffnungswochenende an – aber es werden alle mit anpacken!
Dieses „Weiße Rössl 2020“ ist Zeitgeschichte und wird in ein paar Jahren oder Jahrzehnten vielleicht für mehr Lacher sorgen, wenn der Blick mit Abstand das Absurdum wachsen lässt. Wobei das Amüsement und die Tiefe der Bedeutung vieler Puzzleteile dieser Inszenierung einem erst richtig klarwerden, wenn man das Stück noch mal gesehen hat. Dazu gibt es aber leider erst wieder am 15. Oktober die Möglichkeit im Theater am Puls. Hoffentlich!
Info: Mehr Fotos gibt es unter www.schwetzinger-zeitung.de
Zum Stück
„Das Weisse Rössel 2020 – eine virulente musikalische Komödie“ von Nici Neiss und Stefan Ebert für das Theater am Puls.
Inszenierung: Joerg Mohr. Regieassistenz: Nora Klaus. Bühne: Joerg Steve Mohr, Teresa Ungan, Tim Fertig. Ausstattung: Teresa Ungan. Es spielen: Stefan Ebert, Nici Neiss, Lisa Pellegrinon, Daniele Veterale, Jonas Werling.
Indoor-Premiere: 15. Oktober.
Infos: www.theater-am-puls.de
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