Schwetzingen. In überschaubarer, jedoch sehr interessierter Runde diskutierten Experten über frühkindliche Bildung und das, was dringend passieren sollte. Mit dabei: Landtagsvizepräsident Daniel Born, der Sprecher für frühkindliche Bildung der SPD-Fraktion im Landtag ist, Dr. Lucimara Brait-Poplawski, Lehrbeauftragte der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg, Sabine Leber-Hoischen, Erzieherin, Verdi-Fachbereichsvorstand und in der Tageseinrichtung für Kinder und Tagespflege Mannheim Sozial-, Kinder- und Jugendhilfe tätig sowie Ulrike Lechnauer-Müller, Leiterin der Kita St. Marien in St. Leon-Rot und Gemeinderätin. Moderatorin der vom Fritz-Erler-Forum der Friedrich-Ebert-Stiftung organisierten Veranstaltung war die Journalistin Katja Schlonski.
„Die Bude brennt“, leitete Florian Koch, Büroleiter der Fritz-Erler-Stiftung in Stuttgart, ein. Damit ummalte er trefflich das Bild der prekären Situation in den Kinderbetreuungseinrichtungen des Landes. Am Beispiel von Tübingen untermauerte er das: Dort wurden aus der Not heraus einfach Betreuungszeiten massiv gekürzt, was zu Elternprotesten führte. Fachkräftemangel, allgemeine Nachwuchssorgen, immer mehr Kinder und mit zunehmend wenigen oder keinen deutschen Sprachkenntnissen stellten die Erzieher vor große Herausforderungen. Eine Bestandsaufnahme der Situation stellte Lucimara Brait-Poplawski vor. Ihre vor eineinhalb Jahren zusammen mit Professor Jens Müller erarbeitete Studie zu Kommunen in Baden-Württemberg hinsichtlich Gebührenordnung der frühkindlichen Bildung ergab ein durchwachsenes Bild. Die Situation in den Gemeinden sei sehr heterogen und im Kindertagesbetreuungsgesetz KiTaG stünde eher schwammig: „Die Träger der Einrichtungen können Elternbeiträge so bemessen, dass der wirtschaftlichen Belastung durch den Besuch der Einrichtung sowie der Zahl der Kinder in der Familie angemessen Rechnung getragen wird.“ Folge sei ein „Flickenteppich“. In der Regel spreche man von 20 Prozent Beteiligung der Eltern an den Kosten.
Diskussion über Kitas in Schwetzingen: „Nur eine Scheingerechtigkeit“
Leidtragende seien auch die Kommunen, die unter hohem Druck stünden, die richtigen Entscheidungen zu treffen, genau wie die Gemeinderäte. Auch wenn ärmere und kinderreiche Familien meist von Gebühren befreit seien, gebe es eine prozentual größere Belastung von Familien mit mittlerem Einkommen gegenüber solchen mit höherem. Und manche befänden sich nur knapp über Einkommensgrenzen. Besonders Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund stelle dies vor große Herausforderungen. Gerade Letztere brächten ihre Kinder im Alter von null bis drei Jahren nicht zur Betreuung, da sie sich das meist nicht leisten könnten, weil die intensivere Fürsorge teurer ist.
Sprach-Kita-Leiterin Ulrike Lechnauer-Müller berichtete dazu: „Oft kommen Kinder aus Migrantenfamilien erst mit vier Jahren zu uns. Später müssen wir sie mit ‚Bauchschmerzen‘ in die Schule entlassen, da sie nur unzureichend Deutsch können.“
Sabine Leber-Hoischen ergänzte: „Kostenlose Kitas würden sogar Geld sparen. Das System ist aktuell ungerecht. Ein Manager, der sich eine Wohnung in der großen Stadt leisten kann, zahlt da unter Umständen keine Kita-Gebühren. Die Reinigungskraft, die wegen hoher Mieten nur außerhalb wohnen kann, aber schon.“
Daniel Born knüpfte an: „Wenn eine Mitarbeiterin im Rathaus einen 20- bis 24-seitigen Antrag auf Kostenbefreiung bearbeitet, dann kostet das viel Zeit. Das würde wegfallen und tatsächlich Geld sparen. Die Staffelung von Gebühren ist auch nur eine Scheingerechtigkeit. Da werden auch nur die Gehälter als Bezugsgröße genommen. Das einzige gerechte System ist die Gebührenbefreiung“. Der Landtagsvizepräsident fügte hinzu: „Die Mieten sind da noch nicht mal mit eingerechnet – etwas, was hier im Rhein-Neckar-Raum entscheidend ist, denn diese sind hier hoch.“ Born positionierte sich klar: „Es ist bemerkenswert: Es gibt in den Kitas einen Fachkräftemangel, aber, würde man da endlich investieren, wäre das die beste Lösung, um zukünftigen Fachkräftemangel zu unterbinden.“
Denn gute frühkindliche Bildung sei entscheidend für den späteren Lebens- und Bildungsweg, was anhand Studien belegbar sei. Ein „Die Zahlen liegen auf dem Tisch. Das Land hat letztes Jahr ein Plus von 6,6 Milliarden Euro erwirtschaftet. Davon wurden 5,4 Milliarden auf die ‚hohe Kante gelegt‘. Für mich ist es nicht nachvollziehbar, warum man nicht zumindest eine Milliarde davon in die frühkindliche Bildung investiert. Die Bildung der Kinder von null bis sechs Jahren ist nicht reine Privatsache. Wir wissen, was wir tun müssen, wie wir es tun müssen und wir müssen jetzt loslegen“, fand Born deutliche Worte. Es sei eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und der Investition in die Zukunft: „Es kann nicht sein, dass Menschen, die Maschinen bedienen, mehr verdienen als solche, die sich um Menschen kümmern“, so der Abgeordnete weiter.
„Schauen Sie in die Kitas. Da sehen Sie die Zukunft unseres Landes“, sattelte Sabine Leber-Hoischen hier auf. Und Ulrike Lechnauer-Müller unterstrich: „Wir brauchen mehr Druck von den Eltern. Da muss sich mehr bewegen.“ Dr. Lucimara Brait-Poplawski mahnte: „Es ist eine politische Entscheidung. Da muss ein Paradigmenwechsel erfolgen.“
Florian Koch resümierte nach der Diskussion: „Es waren keine Entscheidungsträger anwesend. Das ist sehr bedauerlich. Das Thema ist politisch brisant, von daher gibt es eine Tendenz, es zu meiden.“
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/schwetzingen_artikel,-schwetzingen-schwetzingen-diskussion-ueber-kita-gebuehren-kritisiert-fehlende-gerechtigkeit-_arid,2057580.html