Aus dem Leben

Sonja Müller aus Schwetzingen lässt sich Bundesverdienstkreuz tatöwieren

Sonja Müller lässt sich ihre höchste Auszeichnung von Tätowierer Kuba auf den rechten Oberarm stechen. Mit 70 Jahren begann die heute 92-Jährige Häftlinge der JVA Mannheim zu betreuen.

Von 
Stefan Kern
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Sonja Müller lasst sich von Kuba das Bundesverdienstkreuz stechen. © Stefan Kern

Bilder auf der Haut – ein Leben lang?

  • Ein Tattoo ist fürs ganze Leben gedacht – eigentlich. Doch Trends kommen und gehen und auch die Liebe hält nicht immer ewig. Wer Namen, Motiv oder den Schriftzug auf der Haut loswerden möchte, kann es sich entfernen lassen, zum Beispiel mit einem Laser. Doch das ist nicht ganz ungefährlich. Dr. Wolfgang Reuter, Gesundheitsexperte der DKV Deutsche Krankenversicherung, informiert über Möglichkeiten und Risiken der Tattoo-Entfernung.
  • Das Lasern: Die effektivste Methode ist die Laserbehandlung. Seit Januar 2021 dürfen diese Behandlung nur noch Ärzte mit Fachkenntnis durchführen. Denn nicht sachgerechtes Lasern kann Verbrennungen, Pigmentveränderungen, Entzündungen oder Narben zur Folge haben. Bei der Methode dringt das Laserlicht bis zu vier Millimeter in die Haut und bringt Farbpigmente des Tattoos zum Platzen. „Die Einzelteile transportiert der Körper anschließend über die Blut- und Lymphbahnen langsam ab.Die Tätowierung verblasst so nach und nach.“ In der Regel sind mehrere Lasersitzungen im Abstand von vier bis sechs Wochen notwendig. Es kann eine helle Fläche oder eine veränderte Hautstruktur zurückbleiben.
  • Risiken durch Pigmente: Die Anzahl der notwendigen Laserbehandlungen hängt von der Größe, den Farben und der Dichte der Tätowierung ab. Bestimmte Farben wie Gelb und Lila sind besonders schwer zu entfernen: „Es besteht die Gefahr, dass bei der Zerstörung der Pigmente giftige und unter Umständen krebserregende Stoffe entstehen“, warnt der Gesundheitsexperte. Zudem bleibt ein Teil der Partikel dauerhaft im Körper zurück.
  • Eine Laserbehandlung ist nicht für jeden geeignet. Ein dunkler Teint, eine Veranlagung zur Narbenbildung oder ein festes Narbengewebe unter dem Tattoo sprechen beispielsweise dagegen. Die sogenannte Dermabrasion ist dann eine Alternative, um Tätowierungen zu entfernen. „Hier schleift oder fräst der Arzt die oberste Hautschicht ab“, erklärt Dr. Reuter. Bei kleinen Tattoos ist auch eine Operation möglich, bei der der Arzt die Tätowierung chirurgisch entfernt. Bei diesen beiden Methoden besteht jedoch ein erhöhtes Risiko, dass eine Narbe zurückbleibt.
  • Wichtig ist eine ausführliche ärztliche Beratung vor der Wahl der Behandlung. Unter Umständen kann der Arzt die Behandlungsmethode probeweise an einer kleinen Hautstelle testen. Das hilft dabei, Dauer und Kosten der Behandlung besser einzuschätzen. (Quelle: Ergo-Versicherung)

Schwetzingen. Seit über 14 Jahren ist Kuba jetzt schon Tätowierer. Und er hat in Sachen Motivwünsche schon einiges erlebt. Aber das hier im Schwetzinger „Point Piercing & Tattoo“, das kam ihm so wirklich noch nie unter. Sowohl das Alter der Frau als auch der Motivwunsch seien außergewöhnlich, sagt er uns im Vorfeld.

Wünschte sich die 92-jährige Schwetzingerin Sonja Müller für ihren rechten Oberarm doch das Abbild ihres vor wenigen Jahren verliehenen Bundesverdienstkreuzes. Auch die Inhaberin des Tattoo-Ladens, Andrea Ries, die Müller schon seit ihrem ersten Tattoo vor genau zehn Jahren kennt, ist sich ziemlich sicher, dass das in Deutschland einmalig ist. Die meisten Träger des Bundesverdienstes gehörten ja eher nicht zum Klientel, das im Tattoo-Studio anzutreffen sei.

Aber wer Sonja Müller kennt, der weiß, dass sie nicht für die normalen Sachen im Leben steht und dass sie noch nie eine Spießbürgerin war. Sonja Müller ist seit Jahrzehnten FDP-Mitglied und ihr ehrenamtliches Engagement ist umfassend und außergewöhnlich. Sie kümmert sich um Strafgefangene – um die „schweren Jungs“. Hier träfen ein paar Punkte zusammen, das räumte sie selbst schmunzelnd ein, die nicht so ganz zusammenpassten. Aber das scheint sie kaum zu stören. Ein Leben sei ja nie eine Gerade. Und manchmal sollte man sich selbst überraschen.

Sonja Müller aus Schwetzingen: Bei den „schweren Jungs“

Um diese Tattoo-Geschichte verstehen zu können, muss man ins Jahr 2000. Denn mit 70 Jahren begann Sonja Müller Häftlinge der Justizvollzugsanstalt (JVA) Mannheim zu betreuen. Ein Engagement, das auf dem gesellschaftlichen Bewusstseinsradar eher selten auftaucht. Viele sind es nicht, die ins Gefängnis wollen. Für sie war aber gerade das wichtig. Am Ende sind es zwei Grundsätze, die sie genau hier ins Gefängnis führten. „Es sind auch Menschen“ und „jeder hat eine zweite Chance verdient“. Diese beiden Parameter brachten sie fast unweigerlich zu den besagten „schweren Jungs“. Es war und ist eine Arbeit, die ihr sichtlich Spaß macht und in ihrer Bedeutung bei der Resozialisierung nicht unterschätzt werden sollte.

Sonja Müller mit ihrem Tattoo - links das Bundesverdienstkreuz. © Stefan Kern

Gerade beim Übergang von der Haft in die Freiheit hätten es manche schwer und bräuchten dringend Begleitung. Aber auch im Gefängnis sind ehrenamtliche Helfer eine wichtige Institution. Manchmal mache eine Begegnung mit ehrenamtlichen Helfern den entscheidenden Unterschied. Das private Gespräch oder einfach nur ein anderes, freundliches Gesicht, das sei oft mehr als es den Anschein habe.

„Wenn Menschen sich vorurteilsfrei begegnen, kann viel Gutes passieren“, sagt Sonja Müller. Zwölf Jahre nach ihrem Start als Häftlingsbegleiterin kam sie mit 82 Jahren, durchaus inspiriert von den schweren Jungs, auf die Idee für ihr erstes Tattoo – ein Stacheldraht als Reminiszenz ans Gefängnis. Vor zwei Jahren, mit 90, bekam sie für ihr Engagement das Bundesverdienstkreuz verliehen. Und nun legte sie ihren Arm mit 92 noch einmal für zwei Tattoos auf die Bank. Einen Stacheldraht gab’s auf den Unterarm und oben das Bundesverdienstkreuz.

Sonja Müller aus Schwetzingen: Ein bewegtes Leben bewältigt

Natürlich sei das Gefängnis nicht alles in ihrem Leben. 1930 geboren, im Krieg Schlimmes erlebt, nur die Grundschule besucht, kurz verheiratet, einen Sohn und von 1960 bis Mitte der 1980er Jahre bei der Post. Eckdaten eines langen Lebens, aus denen sie vor allem ableitet, dass sie vieles aus eigener Kraft geschafft hat. Etwas, worauf sie sichtlich stolz ist.

Doch die letzten 22 Jahre waren besonders bedeutend. „Eine gute und wichtige Zeit für mich.“ Und die Tattoos sollen das zum Ausdruck bringen. Wenn sie von den Häftlingen spricht, leuchten ihre Augen. Sie hat sie offensichtlich gern, begleitet sie weit über das notwendige hinaus. Zu einigen hat sie über Jahre und auch große Distanzen Kontakt.

Nächstes Jahr kommt ein ehemaliger Insasse der JVA Mannheim, der heute in Vietnam lebt und ein Hotel leitet, zu Besuch. Am Donnerstag besucht sie übrigens ihren „letzten Häftling“. Jede Zeit, auch so eine wichtige, hat irgendwann ein Ende. Dass sie überhaupt so lange tätig sein durfte, erfüllt sie mit Dankbarkeit. „Das die JVA Mannheim das erlaubt hat, war nicht selbstverständlich.“ Und ihr bleiben ja die Tattoos. „Die“, so sagt Müller ganz zum Schluss, „bleiben mir bis ins Grab“.

Freier Autor Stefan Kern ist ein freier Mitarbeiter der Schwetzinger Zeitung.

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