Gesundheit

Therapeutenmangel in der Region: Patienten sind die Leidtragenden

Eine Physiotherapeutin aus Schwetzingen und eine Logopädin aus Ketsch beschreiben eine besorgniserrgende Entwicklung in den Gesundheitsberufen.

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Jörg Runde
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Eine Physiotherapeutin arbeitet mit einem Patienten an einer Sprossenwand. (Symbolfoto) © dpa

Schwetzingen/Ketsch. Ein kurzer Plausch mit der Patientin, dann nimmt sich Lisa Marek an diesem Vormittag Zeit für ein Gespräch. Seit Jahresbeginn arbeitet die 33-Jährige als selbstständige Logopädin in Ketsch. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen Kerstin Becker-Runde und Victoria Gonzalez Garcia bildet sie die Praxisgemeinschaft Logopädie Ketsch. Menschen mit Schluck- und Sprachstörungen werden dort genauso behandelt wie Schlaganfallpatienten. „Unser Aufgabengebiet ist sehr vielfältig, es ist ein wunderschöner Beruf“, sagt Marek.

Doch wie in so vielen Jobs im Gesundheitsbereich gibt es auch in der Logopädie gewaltige Strukturprobleme, die vor allem zu Lasten der Patienten gehen. Die Logopäden sind – genau wie die Physiotherapeuten – von einem enormen Fachkräftemangel betroffen. Trotz der hohen Nachfrage nach therapeutischen Leistungen bleibt es herausfordernd, qualifiziertes Personal zu gewinnen und langfristig zu halten. Sogar die Berufsverbände schlagen Alarm und fordern dringende Maßnahmen.

Warum es auch in der Logopädie einen Fachkräftemangel gibt

Der Deutsche Bundesverband der Logopäden (dbl) hebt zum Beispiel hervor, dass der Beruf durch zahlreiche Faktoren an Attraktivität eingebüßt hat. „Insbesondere die vergleichsweise niedrige Vergütung im Verhältnis zur Verantwortung und zum Arbeitsaufwand schreckt viele potenzielle Fachkräfte ab“, erklärt Dagmar Karrasch, Vorsitzende des dbl.

Die duale Ausbildung zum Logopäden sei zudem sehr anspruchsvoll, sagt Karrasch weiter. „Die Anerkennung im Berufsleben spiegelt sich darin ab nicht adäquat wider.“

Marek, die selbst einige Zeit als Angestellte arbeitete, kann die Einschätzung des Verbandes nur bestätigen. Für die alleinerziehende Mutter eines neun Jahre alten Sohnes und einer sechs Jahre alten Tochter reichte das Angestelltengehalt kaum aus. „Da ist es doch klar, dass sich junge Menschen kaum noch für den Beruf interessieren“, sagt Marek und fügt an: „Für die Physios gilt das ja auch.“

Verband beklagt geringe Vergütung und hohe Belastung

Tatsächlich spricht der Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten (IFK) von einer kritischen Situation. „Weniger Nachwuchs, hohe Arbeitsbelastung und ein immenses bürokratisches Maß an Dokumentation machen den Beruf zunehmend unattraktiv“, erläutert die Verbandsvorsitzende Ute Repschläger.

Eugenia Brehm, Inhaberin des Schwetzinger Physiozentrums Sternallee, muss den vereinbarten Interviewtermin an diesem Vormittag kurzhalten, weil ein Mitarbeiter krank ausfällt. „Da zählt jede Minute für die Patienten“, sagt sie und ergänzt: „Wir haben ohnehin schon alle viele Überstunden.“

Auch deshalb appellieren Berufsverbände an die Politik, die Rahmenbedingungen für diese systemrelevanten Berufe grundlegend zu verbessern. Neben einer Erhöhung der tariflichen Bezahlung stehen auch Investitionen in die Aus- und Weiterbildung sowie die Entbürokratisierung der therapeutischen Berufe auf der Wunschliste der Verbände. Eine gezielte Förderung und eine gesellschaftliche Aufwertung der Gesundheitsberufe sind notwendig, um den Teufelskreis aus Fachkräftemangel und Überlastung des bestehenden Personals zu durchbrechen.

Anzahl an Logopäden und Physiotherapeuten in Deutschland

Physiotherapeuten:

Rund 236.000 berufstätige Physiotherapeuten gibt es laut Bundesagentur für Arbeit (Stand: 2023) in Deutschland.

Logopäden:

Die Zahl der Logopäden liegt bei rund 47.000 Beschäftigten in Deutschland (Quelle: Deutscher Bundesverband für Logopädie, 2023).

Es gibt jedoch auch Ansätze zur Lösung der Probleme. Einige Praxen setzen verstärkt auf Kooperationen mit Schulen und Ausbildungsstätten, um frühzeitig talentierten Nachwuchs zu gewinnen. Zudem werden flexible Arbeitszeitmodelle und zusätzliche Weiterbildungsangebote als Anreiz genutzt, um qualifiziertes Personal zu binden.

Marek sieht in dem Modell der Praxisgemeinschaft eine ideale Lösung. „Wir teilen uns die Kosten, die entstehen und sind sonst unsere eigenen Chefinnen“, sagt Marek. Eine Sekretärin, die Halbtags arbeitet, Strom- und Heizkosten sowie die IT- und Telefonkosten teilen sich die Kolleginnen. „Und fachlich ergänzen wir uns auch sehr gut“, fügt Marek an.

Welche Lösung auch immer die Therapeuten finden: Der Handlungsbedarf ist offensichtlich und die Zeit drängt. Denn ohne genügend Fachkräfte steht die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung auf dem Spiel. Was auch an der steigenden Alterung der Bevölkerung liegt.

Laut einer Studie des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2022 hat die Anzahl der über 65-Jährigen in Deutschland die Marke von 18 Millionen bereits überschritten, und die Tendenz ist steigend. Diese demografische Entwicklung führt naturgemäß zu einem erhöhten Bedarf an Gesundheitsleistungen, vor allem in den Bereichen Physiotherapie und Logopädie.

Beide Therapieformen spielen eine wesentliche Rolle bei der Erhaltung der Mobilität und der Kommunikationsfähigkeit, Faktoren, die entscheidend für die Autonomie und das Wohlbefinden im Alter sind.

Logopädin Lisa Marek kennt die Probleme aus der Sicht einer Angestellten und einer Selbstständigen. © honorarfrei

Zahlreiche Senioren berichten längst von langen Wartezeiten oder gar der Absage von Behandlungsanfragen. Eine Umfrage der Deutschen Seniorenliga ergab, dass etwa 30 Prozent der befragten Senioren im Jahr 2023 Schwierigkeiten hatten, zeitnah einen Termin für physiotherapeutische Behandlungen zu bekommen. Bei der Logopädie lag dieser Wert bei rund 25 Prozent.

Marek kann diese Entwicklung in ihrem Fachbereich bestätigen. „Akutfälle, also Menschen mit einem Schlaganfall zum Beispiel, behandeln wir bevorzugt. An einer Warteliste ändert das aber nichts, andere Patienten erhalten dann ja erst einmal keinen Platz“, sagt die Therapeutin. Bei Physiotherapeutin Brehm ist die Lage nicht anders: Sechs bis acht Wochen müssen Patienten in ihrer Praxis in der Regel auf einen Termin warten

Um Versorgungslücke zu schließen, wären 30.000 Physiotherapeuten bis 2030 nötig

Dass die Zahl der Physiotherapeuten in den vergangenen Jahren kaum entsprechend dem Bedarf gewachsen ist, verschärft die Gesamtsituation. Die Berufsgenossenschaft für Gesundheit und Wohlfahrtspflege (BGW) stellt fest, dass bis 2030 etwa 30.000 zusätzliche Physiotherapeuten nötig wären, um den Versorgungsbedarf zu decken.

Ähnlich sieht es in der Logopädie aus. Der Deutsche Bundesverband der Logopäden (dbl) weist darauf hin, dass die Ausbildungskapazitäten in den zurückliegenden Jahren nicht mit dem steigenden Bedarf Schritt gehalten haben. Auch hier sind bundesweit Praxen überlastet.

Der Mangel an Therapieplätzen hat gravierende Auswirkungen auf die Senioren. Ohne rechtzeitige physiotherapeutische Unterstützung drohen Verschlechterungen bei Mobilität und Selbstständigkeit, was das Risiko von Stürzen und damit verbundener Krankenhausaufenthalte erhöht.

Ähnlich verhält es sich bei logopädischen Behandlungen, die entscheidend für die Fähigkeit sind, sich verständlich zu machen und selbstständig am sozialen Leben teilzunehmen.

Politik setzt auf Gebührenentlastung und Honorarerhöhungen

Und was macht die Politik? Die Ausbildung zum Physiotherapeuten ist an den staatlichen Schulen in Baden-Württemberg kostenfrei. Auch private Träger dürfen nur noch ein reduziertes Schulgeld von maximal 160 Euro im Monat verlangen. In der Logopädie ist es ähnlich. Da kostet die Ausbildung an den staatlichen Schulen seit Beginn des Jahres nur noch 90 statt 160 Euro im Monat. Zudem besteht die Möglichkeit, einen ausbildungsintegrierenden Bachelorstudium zu absolvieren. Bei privaten Trägern liegen die Gebühren aber immer noch deutlich höher.

Bei den Honorarsätzen gibt es in den beiden Therapiebereichen auch positive Entwicklungen. So sind die Abrechnungsbeträge in der Physiotherapeutie am 1. April um rund vier Prozent hochgesetzt worden. Und auch auch bei den Logopäden gibt es jedes Jahre eine leichte Anpassung der Honorarsätze nach oben.

Ob das am Ende reicht, um den Therapeutenmangel zu beheben? Logopädin Marek ist da eher skeptisch, sie sieht andere Aspekte als deutlich wichtiger für eine Trendwende an: „Für mich ist es tatsächlich eine Berufung, als Logopädin zu arbeiten.“ Den Nachwuchs für den schönen Beruf, in dem man jeden Tag mit Menschen zu tun hat, zu begeistern, hält sie deshalb für den erfolgversprechenderen Ansatz.

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