Nackarbischofsheim. Als Thomas Seidelmann vor einer Woche davon erfuhr, dass auf dem Mannheimer Marktplatz ein Polizist lebensgefährlich verletzt worden war, empfand er tiefes Bedauern. Mit einem Kollegen sprach der Bürgermeister der kleinen Gemeinde Neckarbischofsheim im nördlichen Teil Baden-Württembergs darüber, dass schon wieder ein Polizist zu Schaden gekommen sei, weil unsere Gesellschaft nicht mehr funktioniere. Was für ein furchtbares Drama, dachte er, und konnte sich das grausame Video, das da schon zigfach in den sozialen Medien geteilt worden war, nicht bis zum Ende ansehen.
Eine Woche später steht Seidelmann im Schlosspark der Gemeinde rund 60 Kilometer von Mannheim entfernt,vor einem Stehpult und ringt um Worte. Worte dafür, dass nicht irgendwer gestorben ist, sondern einer von ihnen, einer aus Neckarbischofsheim: Rouven Laur. Rouven, der in dem 4000-Einwohner-Ort in den Kindergarten und in die Grundschule ging, der dort sein Abitur ablegte – und dann Polizist wurde, getrieben von dem Wunsch, anderen Menschen zu helfen.
Wenn Rouven in einen Raum kam, habe er ihn mit Licht erfüllt
Ein großformatiges Porträtbild des 29-Jährigen steht schrägt hinter Seidelmann. Freundlich lächelt Rouven Laur darauf in die Kamera. „Rouven war ein geradliniger Mensch, er hatte ein außergewöhnliches Wertekorsett“, sagt der Bürgermeister. Wenn er in einen Raum kam, habe er ihn mit Licht erfüllt. „Und wenn Rouven einen anschaute, mit seinem so freundlichen Gesicht, dann wich jeder Frust, jede schlechte Laune. Für mich wird er immer der Inbegriff eines guten Menschen sein.“
Rund 800 Menschen haben sich im Schlosspark versammelt. Für die Neckarbischofsheimerinnen und Neckarbischofsheimer war es eine harte Woche. Eine Schwere lag über dem kleinen Ort, Journalistinnen und Journalisten fotografierten das Ladengeschäft der Familie, befragten die paralysierten Anwohner.
Viele von ihnen haben auf den Stufen des Ladens der Familile Laur Blumen niedergelegt und Kerzen angezündet. Am Freitag Abend sind die Neckarbischofsheimerinnen und Neckarbischofsheimer in den Schlosspark zur Gedenkandacht gekommen. Ursprünglich wollte Thomas Seidelmann vor dem Rathaus der Gemeinde sprechen, wegen der großen Anteilnahme verlegte er die Veranstaltung schließlich in den Schlosspark.
Unter den Gästen der Trauerandacht sind der Stellvertretende Ministerpräsident und Innenminister Baden-Württembergs Thomas Strobl und Landesjustizministerin Marion Gentges. Aber eben auch unzählige Gesichter, in die die Eltern von Rouven Laur schon so oft geblickt haben. Ihnen heute entgegen zu treten, schaffen sie nicht, sagt Seidelmann. Doch die Familie sei überwältigt von der großen Anteilnahme.
Rouven hat sich immer gegen Spalter ausgesprochen
Man könne den nächsten Angehörigen von Rouven helfen, indem man sie in dieser Zeit halte, sagt Seidelmann. „Was der Familie dagegen nicht hilft, das ist das politische Ausschlachten seines Todes. Rouven hätte keine Märtyrerrolle haben wollen, vor allem nicht für eine Partei, die nicht in der demokratischen Mitte der Gesellschaft verankert ist.“
Rouven habe sich immer gegen diese Spalter ausgesprochen. Der 29-Jährige habe sich dadurch ausgezeichnet, dass er ein geradliniger Mensch gewesen sei, im besten Sinne erhaltend und konservativ. Wo andere radikale Gedanken gehabt hätten oder diese aussprachen, habe es bei Rouven Laur immer das Bestreben gegeben, ausgleichend zu wirken. Schon vor einigen Tagen war bekannt geworden, dass Rouven Laur in der Volkshochschule einen Arabisch-Kurs belegte, um die Menschen in seinem Umfeld besser ansprechen zu können.
„Rouven hätte nie gewollt, dass nun Aufmärsche gegen alles stattfinden, was nicht deutsch ist, er hätte eine klare Analyse der Situation getroffen und hätte ein konsequentes, besonnenes Vorgehen des Staates gewollt“, sagt Seidelmann. Und dann wendet sich der Bürgermeister direkt an Strobl und Gentges. Er gibt den Wunsch der Familie weiter, der Tod Rouven Laurs möge nicht umsonst gewesen sein. Und fordert, Polizeibeamte besser auszustatten. Er spricht sich für eine veränderte Rechtslage aus, die es Beamten ermögliche, ihren Job erledigen zu können, ohne befürchten zu müssen, disziplinarisch oder juristisch belangt zu werden, wenn sie sich, Kollegen oder Bürgerinnen und Bürger schützen wollen. Applaus brandet auf.
Männer und Frauen halten Blumengebinde und Kerzen in ihren Händen. Einige von ihnen haben bereits ein Licht am Eingang des Schlossparks entzündet und eine Nachricht für Rouvens Familie hinterlassen. Gemeindemitarbeiterinnen und -mitarbeiter haben auf Stehtischen Papier ausgelegt und wollen die Nachrichten im Nachgang der Veranstaltung zu einem Buch binden lassen – als Erinnerung für Rouvens Eltern und seine Schwestern.
Wollte immer Polizist sein
Rouven Laur hätte nie etwas anderes sein wollen als Polizist, sagt Seidelmann. „Und ihm war es immer wichtig, dass dabei die Grundrechte gewahrt blieben.“ Ein Staat müsse seine Bürgerinnen und Bürger schützen, indem er einen Rahmen für ein gutes Zusammenleben vorgebe und mit der ganzen Konsequenz der Gesetze zupacke, wenn jemand Grenzen überschreite. „Dafür hat er gekämpft und dafür musste er mit seinem Leben bezahlen.“
Er und andere wollten nun dafür kämpfen, dass Rouven Laurs Tod einen Sinn bekomme, sagt der Bürgermeister. Dann bittet er seine „Bischesser“, zu schweigen. Und dann, Rouven zu applaudieren. Er richtet seine Handykamera auf die Gesichter in der Menge. „Ich habe Rouvens Familie versprochen, ihnen ein Video dieses Abends zu übersenden“, sagt er, während die Menge weiterklatscht, auch als er sein Smartphone längst hat sinken lassen.
Später an diesem Abend sagt Seidelmann, dass an diesem Freitag viel von ihm abgefallen sei. Menschen klopfen ihm im Vorbeigehen auf die Schulter, drücken ihn, bleiben im Schlosspark stehen, sprechen mit anderen und setzen sich in die umliegenden Restaurants. Etwas hat sich gelöst an diesem Gedenkabend für Rouven Laur. In Neckarbischofsheim hat die Trauerarbeit begonnen.
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