Die Atmosphäre ist bedrückend. Zwar wäre es übertrieben beim Gang durch die kurfürstliche Gastronomieszene von einem Weg durch ein Tal voller Tränen zu sprechen. Dafür sind viele von ihnen einfach zu sehr Unternehmer, die ihren Blick nach vorne richten und andauernd damit beschäftigt sind zu Tun. Aber wenn man etwas länger mit ihnen im Gespräch ist, fallen eben dann doch Formulierungen, wie „ist schon sehr Scheiße“, „das wird ein trauriger Dezember“ oder „den großen Worten aus Berlin folgt bis dato nichts“.
Der Frust ist spürbar. Das Zeugnis, das der Politik ausgestellt wird, ist verheerend. Für Robert Nürnberger, Geschäftsführer vom Welde-Brauhaus, fühlt es sich an, als würde die Politik ihm ständig Stöcke in die Speichen werfen. „Wir haben Luftreiniger eingebaut, für Abstand gesorgt, Trennscheiben für jeden Tisch gekauft, ein Hygienekonzept entwickelt und die Nachverfolgung digitalisiert und das mit dem Ergebnis, dass wir wieder zumachen müssen.“ Bei allem Verständnis für die Maßnahmen, die Politik habe mit einem Breitschwert statt mit einem Florett gefochten und nehme die Kollateralschäden billigend in Kauf.
Besonders ärgerlich erscheint die Diskrepanz zwischen den großen Worten aus Berlin rund um die Novemberförderung und den Gegebenheiten. Seit Wochen, so Ali Ghawami, Geschäftsführer vom Walzwerk, werde in Berlin groß getönt, dass die Restaurants, Bars und Cafés nicht im Regen stehen gelassen würden und ihnen schnell geholfen werde. Doch passiert ist bis jetzt gar nichts. „Es gibt nicht einmal ein Antragsformular.“ Leider, so bestätigt der Schwetzinger Steuerberater Arnulf Bonkart, stimme das. Das Einzige was er Betroffenen sagen könne: „Haben sie Geduld.“ Dabei weiß er nur zu gut, dass das „unbefriedigend ist“. Wenigstens seien einige Parameter schon klar. „Geplant ist, dass alle vom Lockdown betroffenen Unternehmen, Vereine und Kultureinrichtungen bis zu 75 Prozent des ausgebliebenen Umsatzes, verglichen mit dem Vorjahresmonat oder dem Monatsdurchschnitt von 2019, bekommen.“ Gegengerechnet werden dabei Kurzarbeitergeld und Transfers aus anderen Hilfstöpfen wie dem Überbrückungsgeld II. Ziel ist es, so Bonkart, „eine Überförderung zu vermeiden“. Nicht gegengerechnet werde der To-go-Verkauf.
2021 droht eine Pleitewelle
Höre sich ja alles sehr schön an, so Thomas Armbruster vom Brauhaus zum Ritter. Doch leider würden den Worten bis dato keine Taten folgen. Und der November sei bald zu Ende. Er selbst sieht sich und sein Brauhaus zum Ritter nicht in Gefahr. Auch seine 30 Mitarbeiter seien in Kurzarbeit oder hätten noch Resturlaub genommen. Aber so gehe es nicht allen. „Wenn nicht schnell und effektiv geholfen wird, droht spätestens im neuen Jahr eine Pleitewelle.“ Es sei ja auch nicht so, dass es im Dezember wieder losgehe. Die Gastronomiebranche, davon ist er überzeugt, werde mit den Maßnahmen noch länger leben müssen, nur werde das bisher nicht kommuniziert.
Der Mann geht mit der Politik hart ins Gericht. Es sehe beinah so aus, dass Herbst und Winter und damit auch die zweite SARS-CoV-2-Welle für die in Berlin völlig überraschend gekommen sei. „Das ist so, als würde ich meine Außengastronomiefläche vergrößern aber keine Servierkräfte einstellen.“ Unternehmerisch sei das ein Komplettversagen. Eine Sicht, die auch Nürnberger teilt. Hinzu käme im Fall des Brauhauses, dass man sich in einer sogenannten Organschaft mit der Welde-Brauerei befände. Trotz der formalen Unabhängigkeit erwartet Nürnberger, dass das Brauhaus bei der Novemberförderung leer ausgehe.
Die Folgen müsse das Brauhaus und vor allem die Mitarbeiter alleine tragen. Im März verzeichnete das Brauhaus über 35 Mitarbeiter. „Bei der letzten Betriebsversammlung vor dem zweiten Lockdown waren es noch 18.“ Viele Aushilfskräfte, von Studenten bis zu Azubis, seien einfach unter den Tisch gefallen. „Die wurden“, so sagt es auch Armbruster, „von den Politikern vergessen und bekommen keinerlei Unterstützung“. Auch Zulieferer seien massiv betroffen. Vor einem Monat gingen die Prognosen für das Wirtschaftswachstum im vierten Quartal in Deutschland noch von zwei Prozent aus. Davon ist nichts mehr übrig. Das Institut für Wirtschaftsforschung prognostiziert nun ein Minus von einem Prozent und 50 000 Menschen, die ihre Arbeit verlieren.
Von einem Lockdown-Light könne man daher, so Enrico Melis vom Restaurant „La Romantica“ nicht sprechen. Es ist eine Kritik, die immer wieder zu hören ist und weit über das Ökonomische hinausgeht. Auch Nürnberger erklärt, dass die Formulierung Lockdown-Light ein falsches Bild entstehen lasse. Die Kultur fast komplett zum Stillstand zu bringen, sei für eine Zivilisation keine kleine Sache. Melis spricht gar von der „Zerstörung von zivilisatorischen Sinninstrumenten“. Auch die Bedeutung der Kulinaria sei mit satt werden ja nur dürftig beschrieben. Nürnberger erinnert an eine Geschichte mit dem früheren englischen Premier Winston Churchill. Als dieser gefragt worden sei, ob die Kulturausgaben nicht für die Kriegswirtschaft gekürzt werden könnten, antwortete dieser: „Wofür kämpfen wir dann.“
Keiner der Gastronomen stellt die Gefahr durch das Coronavirus infrage. Aber es bedürfe echter und vor allem rascher Hilfe. Gerade weil niemand erwartet, dass die Restriktionen bald zurückgenommen werden. Im Gegenteil, die Schätzungen schwanken zwischen Mitte Januar bis Ostern. Der Dezember, da ist sich Nürnberger sicher, wird ein trauriger Monat. Und Ghawami ist jetzt schon gespannt, ob es über die Novemberhilfe hinaus auch Ideen für die Monate Dezember, Januar, Februar, März und so weiter gebe. Letztlich werde wohl erst der Impfstoff für Entspannung sorgen. Er sagt aber auch: „Es wird bei uns eine Zeit nach Corona geben. Das sind wir den Stammgästen schuldig.“
Infos zur Novemberförderung
Die außerordentliche Wirtschaftshilfe für den Monat November bietet eine weitere zentrale Unterstützung für Unternehmen, Betriebe, Selbstständige, Vereine und Einrichtungen, die von den Corona-Einschränkungen besonders betroffen sind. Das geht aus einer Pressemitteilung vom 5. November heraus.
Die außerordentliche Wirtschaftshilfe wird ein Finanzvolumen von voraussichtlich rund 10 Milliarden Euro haben. Antragsberechtigt sind direkt betroffene und indirekt betroffene Unternehmen. Zu den indirekt betroffenen zählen alle Firmen, die 80 Prozent ihrer Umsätze mit direkt von der Schließung betroffenen Unternehmen erzielen.
Verbundene Unternehmen – also Unternehmen mit mehreren Tochterunternehmen oder Betriebstätten – sind dann antragsberechtigt, wenn mehr als 80 Prozent des verbundweiten Gesamtumsatzes auf direkt oder indirekt betroffene Verbundunternehmen entfällt. Erstattet werden dann bis zu 75 Prozent des Umsatzes der betroffenen Bereiche.
Mit der Novemberhilfe werden Zuschüsse pro Woche der Schließungen in Höhe von 75 Prozent des durchschnittlichen wöchentlichen Umsatzes im November 2019 gewährt bis zu einer Obergrenze von 1 Millionen Euro, soweit der bestehende beihilferechtliche Spielraum des Unternehmens das zulässt. caz
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