Schwetzingen. Es ist eine Binsenweisheit, dass in der Vergangenheit Weichen gestellt werden, die die Zukunft prägen. Ohne das Tun der vorangegangenen sei das Jetzt nicht vorstellbar. Eingängig formulierte diesen Gedanken der französische Philosoph Bernhard von Chartres im 11. Jahrhundert mit den Worten: „Wir sind Zwerge auf den Schultern von Riesen, um mehr und weiter sehen zu können“.
Ganz ähnlich, so der Historiker der Universität Mannheim Professor Dr. Hiram Kümper, müssten sich die Schwetzinger fühlen. Wobei er in seinem Vortrag „Vor der Türe: Schlossherr Carl Theodor und der Marktflecken Schwetzingen“ im Palais Hirsch das Augenmerk auf einen ganz speziellen Riesen lenkte. Der Kurfürst Carl Theodor habe die Sommerresidenz rund um Kultur und Wirtschaft maßgebend geprägt. Ersteres sei ja hinlänglich bekannt. Noch heute sei die Stadt ein erstaunlich heller Fixstern am Kulturfirmament.
Doch auch in der Wirtschaft nahm der Kurfürst Weichenstellungen vor, ohne die Schwetzingen kaum zu der Stadt hätte werden können, die sie heute ist. Vor allem, so Kümper, die Erhebung Schwetzingens vor genau 265 Jahren, am 17. Oktober 1759, zum Marktflecken habe sich für Dorf auf dem Weg zur Stadt als wegweisend erwiesen.
Auch Oberbürgermeister Matthias Steffan - es war sein erster offizieller Termin in diesem Amt - ließ genau wie der Museumschef Lars Maurer, keinen Zweifel an der außerordentlichen Bedeutung des Kurfürsten Carl Theodors für Schwetzingen. Er sei ein Mensch des Fortschritts gewesen, kein Machtpolitiker, der dem Instrument Krieg große Nützlichkeit zugestand. Interessiert an Philosophie, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft sei er breit aufgestellt gewesen, was der Kurpfalz nachhaltig von Nutzen sein sollte.
Eine Sicht, die in der Stadt allem Anschein nach von vielen geteilt wurde. Der Vortrag stieß auf so großes Interesse, dass das Palais Hirsch aus allen Nähten platzte. Es scheint, so Steffan und Maurer, dass die Schwetzinger genau wüssten, was sie an ihrem vor genau 300 Jahren geborenen Carl Theodor haben.
Der Wert der Bürokratie für Carl Theodor
Mit Dokumenten wie Nahrungszettel, einem Lagerbuch und einer General Tabelle malt Kümper anschließend ein lebendiges Bild der damaligen Gemeinschaft. Ein Nahrungszettel ist eine Art Selbstauskunft zur Lebensführung von Schwetzinger Bürgern und das Lagerbuch, genau wie die General Tabelle, zeigen auf, wem was und wie viel gehört. Alles existenziell für die Erhebung von Steuern. Carl Theodor, so Kümper, erkannte früh den Wert von statistischen und bürokratischen Instrumenten zur Steuerung von gesellschaftlichen Entwicklungen. Bürokratie, das werde heute allzu oft vergessen, sei das Fundament für prosperierende Gesellschaften. Ja, so der Historiker weiter, sie habe Europa groß gemacht.
Spannend, so ein Kommentar aus dem Publikum, dass ein Historiker die Politik und die Wirtschaft an den Wert von Bürokratie erinnere. Hinter statistischen Erhebungen und bürokratischen Regelungen stünden immer Ordnungs- und Schutzgüter, die für eine gelingende Gesellschaft nicht unerheblich sein. Ganz im Gegenteil sogar.
Als ein weiterer Treiber für die wirtschaftliche Entwicklung vor Ort erwiesen sich die Bauprojekte des Kurfürsten. Öffentliche Bauten sorgten für privatwirtschaftliche Dynamik und damit für steigende Steuereinnahmen. Man könnte fast sagen, so der Inhaber der Carl Theodor-Professur am Historischen Institut der Universität Mannheim, dass Carl Theodor Gedanken aus dem 1936 erschienen Buch „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ von John Maynard Keynes vorwegnahm.
Deutlich wurde aber auch, dass es schon damals Kritik an den Bauten gab, genauer an deren Finanzierung, die ja über Steuern sozusagen vorfinanziert wurden. Mit den Nahrungszettel äußerten Schwetzinger Bürger durchaus, dass sie gerne von der Steuerlast befreit worden wären, oder sie wenigsten geschmälert würde.
Karl Philipps Sparkurs half Carl Theodor
Nicht vernachlässigen dürfe man, dass Carl Theodor von den Sparbemühungen seines Vorgängers Karl Philipp profitierte. Ohne seinen strikten Sparkurs hätte Carl Theodor wohl nicht die Mittel gehabt, Schwetzingen und Mannheim so zu gestalten, wie er es getan habe.
Wobei er in weit mehr als nur Bauten investierte. Er habe auch in Köpfe und die Mehrung von Wissen investiert. In Schwetzingen vor allem in Agrarwissen. Unter anderem in den Spargel, der ja heute noch identitätsstiftend für Schwetzingen sei. Gerade in Schwetzingen hätten sich die Investitionen des Kurfürsten nachhaltig ausgewirkt. Anders als in Mannheim, die damals eine reine Konsumentenstadt blieb. Geld wurde außerhalb verdient und in Mannheim ausgegeben. Als Carl Theodor nach München musste, sei die lokale Wirtschaft in Mannheim, die vor allem auf die Bedürfnisse des Hofes ausgerichtet war, in großen Teilen zusammengebrochen. In Schwetzingen hätten dagegen die daraus entstandenen Strukturen getragen. „Und das tun sie bis heute.“
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