"Mit Nathan zu schlafen ist wie über Steinplatten eines frisch bepflanzten Beetes zu gehen", wird die Protagonistin sagen - und Inga Behring liest. Sie liest im Moscheegarten des Schlossparks, denn das hat Tradition: Die Klappstuhllesung von SWR2, die Festspiele und Schauspiel-Studenten, die literarische Neulinge radiotauglich ins Wort setzen. Diesmal also Juliane Stadelmanns "Mannahatta". Was nach einer indianisch-archaischen Verfremdung eines bekannten Begriffs klingt, ist in Wahrheit der gescheiterte Versuch einer Coming-of-Age-Geschichte: Eine junge Frau mit New York im Sinn.
Der "Weg zur Avantgarde" gar nicht weit und erste "Hippie-Buchbinder-Workshops" schon in Aussicht. Doch diese Frau ist kein starker Charakter - nur "immer auf der Hut, in nichts reinzutreten", sich von nichts vereinnahmen zu lassen. Man könnte ja ehrlich berührt sein. Und so gut war Nathan im Bett nun auch wieder nicht. Noch nicht einmal richtig befriedigt hat er sie. Dazu noch miefige Socken, ein Kühlschrank voll gammligem Kram und weder Stil, noch Ahnung von Sid Vicious. Da mögen die Tattoos auf dem Arm noch so cool, seine Körperzüge noch so attraktiv sein: Dieser Kerl ist das Trauerspiel eines Lovers.
Perfektes Hintergrundrauschen
Keine Frage: Das ist literarischer Stoff, der begeistern könnte - vor allem in Schwetzingen. Ständig schlurfen Parkbesucher über den steinernen Untergrund. Kurz bleibt ein Mann mit seiner transparenten Tüte stehen. Er hat Kopfsalat gekauft. Etliche Hochzeitspaare flanieren die Gänge entlang und suchen nach der optimalen Position für die perfekten Fotos. Auch wenn nur wenige Zuschauer Platz genommen haben, um zuzuhören - das ist das perfekte Hintergrundrauschen für Straßen-Literatur wie diese.
Wäre da nicht dieser Sog. Dieser Sog aus Phil und Michael, Cameron und Nathan, der alles ins Trudeln bringt. Der kurze Besuch in Boston und dieser One-Night-Stand, der einfach hinterher reist, in den Big Apple, in dem sich doch eigentlich ihr Ego zum Schmetterling entfalten sollte. Inga Behring tut ihr Bestes. Sie kämpft mit dem Text. Die Augen lange Zeit nur einen Spalt weit geöffnet, so dass man es kaum sehen kann, ist sie um Ruhe bemüht, zügelt ihre zarte, aber eindringliche Stimme. Sie setzt mehrfach neu an - und kann diese fatalen Zeilen doch nicht transportieren. Es ist nicht ihre Schuld. Worte, die sich nicht auf eine Deutung des Jetzt festlegen wollen, müssen entgleiten. Sie wollen es vielleicht sogar so. Doch genau deshalb wird auch die Lesung zum unebenen Marsch über unebene Steinplatten auf einem unebenen Untergrund. Ein frisch angelegtes Feld, auf dem nichts wachsen wird.
Unerbittliche Sicht
Auch für die Protagonistin nicht. Eine unerbittliche Sicht, die sich nur betäuben lässt. "Waschen sich die Farben eigentlich aus?", wird die Anti-Heldin fragen, und das "Grasgrün ihrer Augen", das eben so hell strahlte, bald nur noch verschwommen sehen. MDMA und Ecstasy, Grey Goose und Captain Morgan: Was ist schon ein Schädel wie eine Abrissbirne, wenn der endlich Freiheit verspricht? Und sei es nur bis zum nächsten naiven Date: Im Regen in ein Café gehen, diesen Typen die Hand auf den Oberschenkel, dann unter den Rock gleiten lassen, um sich der billigen Masche zu ergeben. Wohin man hört: Diese Zeilen atmen Trübsal, Verhängnis und Schmerz.
Einen Weltschmerz, der nicht sein müsste und sich dennoch so omnipräsent auf die Sinne gelegt hat, dass ein Sieg über ihn undenkbar scheint. Selbst der Regisseur Ulrich Lampen muss sich da ab und an die Brille zurechtrücken. Und fast schon folgerichtig endet alles mit der Katastrophe: dem Boston-Marathon mit seinen Bomben und zerfetzten Leichen, den verstümmelten Opfern und Schreien. Inmitten der Szenerie: unsere Protagonistin. Ihre Hände - nur noch blutige Klumpen. Im Krankenhaus: die große Stille. mer
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