Schwetzingen. „Sehr geehrte Wagnerianer, sehr geehrte Nicht-Wagnerianer, und alle, die sich noch nicht entschieden haben.“ Mit diesen Worten beginnt der Posaunist und Komponist Mike Svoboda seine musikalisch-satirische Reflexion über die kultische Verehrung eines der umstrittensten Genies der Musikgeschichte: Richard Wagner. Wer sich am Freitagabend ins Schwetzinger Rokokotheater begab, erlebte keine opulent inszenierte Wagner-Oper, keine kraftstrotzende Ouvertüre, kein heldenhaftes Pathos. Gezeigt wurde stattdessen ein ironisch-liebevolles Programm mit Tiefgang, Witz – und dem Namen: „Lieben Sie Wagner?“
Diese Frage steht auch im Zentrum des knapp einstündigen Programms, das zugleich Konzert, Lesung, Persiflage und Essay ist. Die Zuschauer erlebten eine kritische Auseinandersetzung mit dem gesamten „Wagner-Kosmos“, der wie kaum ein anderer verklärt, verteidigt, verehrt – und verachtet wird. Und ein Klischee von Wagner wird an diesem Abend konsequent vermieden: jenes des Unantastbaren.
Das Mike Svoboda Quartett – mit Stefan Preyer am Kontrabass, João Carlos Pacheco am Schlagzeug, Karolina Öhmann am Cello und Svoboda selbst an der Posaune – überzeugt gleich zu Beginn mit einem klaren Konzept. Zwischen Svobodas musikalischen Bearbeitungen von Wagners Werk erklingen Textfragmente großer Autoren als Rezitative: So trägt Svoboda etwa Auszüge aus Aufsätzen von Thomas Mann, Friedrich Nietzsche, Camille Saint-Saëns oder Filippo Tommaso Marinetti vor, die sich kommentierend mit Wagner und seiner Musik beschäftigen. Und damit kommt jede Menge Ambivalenz in den Theatersaal.
Bereits das erste Musikstück „Two Steps Forward, One Back“ gibt die Richtung vor: Das Vorspiel zum dritten Akt aus „Lohengrin“ wird fragmentiert, verjazzt, rhythmisch gestaucht und harmonisch umdekliniert. Wagner wird hier nicht zerstört oder lächerlich gemacht, sondern umgedeutet und befreit aus dem Goldrahmen der versteiften Hochkultur, in dem seine Musik oft hängt wie ein verstaubtes Porträt.
Svobodas Arrangements zeigen ironische Distanz, aber auch Zuneigung. Svoboda tritt als Moderator und Performer auf, rezitiert Marinetti, der in einem futuristischen Rundschreiben dann gegen das „weinerliche Geseufze“ in Wagners Oper „Parsifal“ anschreibt – samt eines Seitenhiebs auf die „schlechte Verdauung“ der Gralsritter. Das Rokokotheater lacht.
Der Mythos des Tristan-Akkords entzaubert
Der Komponist Camille Saint-Saëns wiederum amüsiert sich in einem seiner Briefe über den legendären Tristan-Akkord aus Wagners Oper „Tristan und Isolde“. Eine Frau fragt in dem Textstück einen Pianisten, was das für ein geheimnisvoller Klang sei – der Pianist antwortet trocken: ein ganz gewöhnlicher. Hier zeigt sich der Zwiespalt zwischen glühenden Wagner-Verehrern und denen, die Wagners Musik völlig kalt lässt. Denn ja: Betrachtet man den Tristan-Akkord ganz isoliert, ist es ein gewöhnlicher Akkord. Erst der harmonische Kontext zeigt: Der Tristan-Akkord ist nicht völlig logisch im Sinne klassischer Harmonielehre deutbar – und genau das macht ihn so bedeutend. Wagner hat mit ihm emotionales Ausdruckspotenzial über formale Regeln gestellt. Seiner Musik wird auch deshalb eine große „Sinnlichkeit“ unterstellt.
Eine Sinnlichkeit, die das Mike Svoboda Quartett an diesem Abend bewusst nicht in den Vordergrund stellt: Prompt singt das Ensemble den Tristan-Akkord auf offener Bühne, entzieht ihm jegliche Mystik. Es sind solche Momente, in denen der Abend seine größte Wirkung entfaltet: Da wird die Aura des „Unnahbaren“ mit einem kleinen musikalischen Seitenhieb aufgelöst – und bleibt dennoch faszinierend.
Thomas Mann, der selbst von Wagners Werk inspiriert wurde und später dann als Wagner-Kritiker auftrat, kommt mit einer Sentenz zu Wort, die gleichsam Abrechnung wie Hommage ist: Wagners Kunst sei als „die sensationellste Selbstdarstellung und Selbstkritik deutschen Wesens“ geeignet, selbst einem „Esel von Ausländer das Deutschtum interessant zu machen“. Svoboda kommentiert trocken – und das Quartett nimmt den Gedanken musikalisch auf, wechselt in die nächste Klangcollage: ein Spiel mit Zitaten, Stilbrüchen und Tempoverzerrungen.
Musikalische Verfremdung als respektvolle Hommage an Wagner
Überhaupt überzeugt der Abend auch musikalisch – nicht trotz, sondern gerade wegen seiner Verfremdungen. Der Bass geht in Fusion-Patterns über, das Cello klagt und swingt, die Posaune wechselt zwischen Blechzitat und Jazzphrase. Die klassische Wagner-Instrumentierung wird durchbrochen: Eine Melodica wird herangeschoben, die Schlagzeugsticks landen klappernd auf einer E-Gitarre. Halbtönige Flächen entstehen und perkussive Resonanzen – eine klangliche Parodie, die gleichzeitig Respekt zeigt.
Anmeldung Newsletter "Topthemen am Abend"
Zum Finale hin erklingt schließlich der Pilgerchor aus der Ouvertüre zur Wagner-Oper „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg“. Erst instrumental, dann lauthals gesungen – überdreht, fast lärmend, wie ein Volkslied am Lagerfeuer. Ein Abgesang? Nein, eine Art Requiem für die Ehrfurcht. Wagner wird hier nicht verspottet, sondern menschlich gemacht.
Er wird nicht entrückt in die Sphäre des Unangreifbaren – sondern zurückgeholt auf den Boden einer musikalischen Auseinandersetzung.
Ein Raum für Freiheit und kritische Würdigung
Denn letztlich geht es an diesem Abend nicht um Ablehnung oder Huldigung – sondern um Freiheit. Die Freiheit, Wagner nicht zu mögen, ohne ihn verdammen zu müssen. Die Freiheit, seine Musik zu lieben, ohne sich dem Wagner-Mythos zu unterwerfen. „Lieben Sie Wagner?“ bleibt zum Ende des Programms als Frage stehen – aber sie hat sich gewandelt. In: Wie liebe ich Wagner? Oder: Warum liebe ich ihn überhaupt? Oder auch: Wie kann man einen Künstler lieben, der persönlich so tief im deutschtümelnden und ideologisch-antisemitischen Morast wurzelt – und doch Musik geschrieben hat, die noch immer fasziniert?
Svoboda und sein Quartett haben darauf keine endgültige Antwort gegeben. Aber sie haben einen Raum geschaffen, in dem diese Frage neu gestellt werden darf – ohne Pathos, ohne Protz und Prunk, dafür aber mit einem Augenzwinkern. Und vielleicht ist das die größte Liebeserklärung an Wagner, die man sich vorstellen kann.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/orte/schwetzingen_artikel,-schwetzingen-wagner-neu-entdeckt-humorvolle-hommage-im-rokokotheater-in-schwetzingen-_arid,2305231.html