Hochwasserkatastrophe in Sinzig

Was von der Flut bleiben soll - der Geist des Zusammenhalts

Familie Lambert aus Sinzig im Ahrtal wurde von der Flut hart getroffen. Unserer Reporterin erzählen sie von der Katastrophennacht Mitte Juli und warum sie eine Evakuierung zuerst für übertrieben hielten.

Von 
Katja Bauroth
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Ich stehe an der Rundbogen-Haustür von Familie Lambert in Sinzig und betrachte die beigefarbene Fassade. Dort ist der breite Schmutzstreifen zu sehen, den das Hochwasser von Mitte Juli hinterlassen hat. Ich messe 1,83 Meter und dieser Streifen reicht von Boden aufwärts bis zu meiner Stirn. Dabei stehe ich auf einem Treppenabsatz von fünf Stufen, die das eine Ende des gepflasterten Zugangs bilden. Familie Lambert lebt an den Ahrwiesen etwa 100 Meter vom Flussufer entfernt. Die Flutkatastrophe hat sie hart getroffen. Keller, Garten, die erste Etage des Hauses mit Wohnzimmer, Küche und den neuen Räumen der Heilpraxis von Monika Weber-Lambert wurden komplett überflutet.

Bei meiner neuerlichen Fahrt nach Sinzig im Ahrtal besuche ich die Lamberts. Der Beigeordnete der Barbarossastadt, Roland Janik, hat auf meinem Wunsch hin das Gespräch eingefädelt. Unsere Zeitung sammelt mit den Kommunen ihres Einzugsgebiets Spenden gezielt für die Flutopfer in Sinzig. Hier wird das Geld dringend benötigt. Bislang konnten bereits 200 000 Euro von dem Spendenkonto an die Stadt Sinzig für die Soforthilfe überwiesen werden (wir berichteten mehrfach).

Entkräftet, aber glücklich

Michael Lambert und seine Frau Monika erwarten mich in ihrer Outdoor-Küche mit Essbereich auf der kleinen Dachterrasse, die gleichzeitung Zugang zu den Zimmern im Dachgeschoss des Hauses bietet. Dort wohnt die Familie jetzt mit dem jüngeren Sohn sowie Hund „Tano“ auf engem Raum. Der „reinrassige Schäferhund-Mischling“, wie der treuselige Vierbeiner vorgestellt wird, liegt unterm Holztisch, an dem vier graue Plastikstühle stehen. Mein Blick fällt auf eine Holzkonstruktion mit Spüle, deren offener Siphon in einer darunter stehenden Schüssel mündet, so, wie man das vom Camping her kennt. „Die Festivalküche eines Freundes von unserem Sohn. Er hat sie uns überlassen“, sagt Monika Weber-Lambert erklärend. Ein Strauß Sonnenblumen in einer Vase und eine Lichterkette machen’s irgendwie heimelig unter mit Trauben behangenen Reben und dem Behelfsdach aus einer großen Plane. Der Wind pfeift an diesem trüben Tag, wirbelt den Staub auf, der ganze Straßenzüge nach dem Hochwasser noch bedeckt.

„Wir hätten nie gedacht, dass so etwas einmal passiert“, sagt Michael Lambert. Hochwasser ist keine Unbekannte für ihn und seine Familie. „Doch bislang blieb die Ahr immer vor der Gartentür“, berichtet er von Pegelständen um die drei Meter und etwas mehr wie 2016. Nun hat sie sich nicht nur mit Wucht ihren Weg durch den gerade erst hergerichteten Garten mit Naturteich und neuer Terrasse gebahnt, sondern gleich auch noch einen Teil des Hauses eingenommen. „Und wir saßen noch Fronleichnam auf der Terrasse und haben uns gefragt, was wir wohl jetzt bauen sollten, denn nun waren wir endlich mal fertig mit Schubkarren schieben“, erzählt Monika Weber-Lambert und muss schmunzeln. Seit sie in dem Haus leben, wurde darin saniert, erweitert, umgebaut – seit 20 Jahren kennen Lamberts nichts anderes als Bauschutt, Lärm und Staub. Nun waren sie endlich fertig, hatten alles so schön gemacht, wie geplant. Da kam die Flut.

Die zurückliegenden vier Wochen haben ihre Spuren bei dem Ehepaar hinterlassen. Sie wirken müde, entkräftet und doch zufrieden, ruhig und zuversichtlich. Monika Weber-Lambert spricht von einem Wechselbad der Gefühle. Auf der einen Seite die Zerstörung und der finanzielle Schaden, auf der anderen Seite das Glück, überlebt und noch ein Dach über den Kopf zu haben. Sie betonen während des Gesprächs immer wieder, sie seien mit einem blauem Auge davongekommen. Etliche Familien, auch in der unmittelbaren Nachbarschaft, hätten alles verloren – und viel zu viele Menschen im Ahrtal ihr Leben.

Weihnachtskrippe gerettet

Am Tag der Flut seien sie nachmittags gewarnt worden und schotteten daraufhin den Keller mit Planen und Sandsäcken ab. „Wir hatten nicht mit einer solchen Dramatik gerechnet.“ Die Anweisungen der Feuerwehr, dass Haus zu verlassen, hielt Michael Lambert zu diesem Zeitpunkt für übertrieben, wie der EDV-Berater gesteht. Die Prognose aus Altenahr besagte einen Pegelstand von sieben Metern.

„Ich habe die Weihnachtskrippe meiner Mutter gerettet, so etwas ist unwiederbringlich“, erzählt Monika Weber-Lambert auf die Frage, ob sie denn gar nichts aus dem Keller geholt habe. Aus heutiger Sicht hätte sie gern noch mehr mitgenommen, die Zeit wäre da gewesen, sagt sie. Als die Einsatzkräfte in der Nacht auf die Evakuierung drängten, folgte die Familie den Anweisungen – zum Glück. Zwei Stunden später – gegen 3 Uhr morgens – war das Wasser da. Die wilde Tochter des Rheins, wie die Ahr genannt wird, machte ihrem Namen alle Ehre und überrollte rasant die Landschaft. Jeder, mit dem ich bis dato im Ahrtal gesprochen hatte, erzählt von einem enorm schnellen Anstieg des Wassers und von einer regelrechten Flutwelle, die so nicht vorstellbar war. Auch für Lamberts nicht.

Autoanhänger im Gebüsch

Es sei eine gespenstische Atmosphäre gewesen, beschreibt Monika Weber-Lambert die Flutnacht, als schließlich der Strom wegging und es in Ortsteilen stockdunkel wurde. Hier und da leuchteten Taschenlampen auf. Die Familie kam beim älteren Sohn unter. Dieser wohnt ebenfalls in Sinzig, ist jedoch nicht vom Hochwasser betroffen.

In den folgenden Tagen, als das Wasser sich nach und nach zurückzog, schauten Lamberts von der anderen Brückenseite nach ihrem Grundstück, irgendwann konnten sie wieder hin. „Das erste, was ich gefunden habe, war unser Weihnachtsbaumständer. Zusammen mit der Krippe meiner Mutter ist Weihnachten also gerettet“, hat Monika Weber-Lambert ihre rheinische Frohnatur nicht verloren. Doch der schöne Garten war von Treibgut übersät, die 120 Kilo schweren Terrassenplatten zum Teil weggespült worden und der Gartenzaun verschwunden. Der Anhänger eines Nachbarn hing im Gebüsch. Überall Schlamm, Unrat und Müll. Einzig die meditierende Froschfigur aus Stein am Gartenteich hatte sich nicht vom Fleck bewegt. In der Ruhe scheint wirklich Kraft zu liegen . . .

Im Erdgeschoss des Hauses trieben sämtliche Möbel und Interieur im Wasser. Kurios: Geschirr ging gar nicht zu Bruch. „Sogar die schönen Stielgläser von der Oma lagen unbeschadet in der Vitrine“, erzählt Monika Weber-Lambert, die den noch verwertbaren Hausrat im Dachgeschoss verstaute, welches sie im Vorjahr während Corona „ausgemistet“ hatte.

Für ihre neu eingerichtete Heilpraktikerpraxis gab es keine Rettung mehr. Ein Baumstamm hatte sich durch das Fenster gebohrt, sodass der Raum geflutet wurde. „Vor allem um die Aufzeichnungen ist es schade“, sagt Monika Lambert, die neben ihrer selbstständigen Tätigkeit noch 16 Stunden pro Woche in einer radiologischen Praxis arbeitet. Eine Heilpraktikerkollegin habe ihr schon angeboten, vorübergehend ihre Räume mit zu nutzen, andere Kolleginnen habe sie zwecks Materialwiederbeschaffung angesprochen. Sie ist optimistisch: „In der heutigen digitalen Zeit kann ich meine Patienten vorerst auch online und per Telefon betreuen.“ Vorausgesetzt, dass Internet und die Telefonverbindungen wieder einwandfrei gehen.

Unfassbare Freude über Helfende

Zum Abschied stehen wir an der Treppe zur Dachterrasse und schauen auf den Garten. „Da wächst jetzt der Raps. Den hatte hier noch nie“, kommentiert Monika Weber-Lambert die Pflanzen. Die Flut hat vieles weggespült, doch sie hinterlässt auch etwas. „Jede Krise birgt auch eine Chance“, sagt Michael Lambert. Der Hobbywinzer, der mit Freunden einen Wingert am Mittelrhein gepachtet hat und zudem einen Weinagentur für Events betreibt, erzählt von der großen Hilfsbereitschaft, die das Ahrtal erfährt und die die Menschen berührt. „Die Freunde unserer Söhne standen plötzlich da und packten mit an. Unter unserem Partyzeltdach, das die Flut überstanden hat, wurde nach dem harten Arbeitstag etwas getrunken – das war fast wie Festivalatmosphäre.“ Auch völlig fremde Menschen kamen und boten ihre Unterstützung an. „Die Firma E & F aus Föhren stellte uns einen neuen Kühlschrank vor die Tür – einfach so. Am darauffolgenden Sonntag kärcherte sie uns mit der kompletten Dorfmannschaft – freiwillige Feuerwehr und Ortsbürgermeister aus der Ortsgemeinde Horath – Keller und Hof. “

Michael Lambert wünscht sich, dass dieser Geist des überregionalen Zusammenhalts, die Solidarität unter den Menschen, das ist, was als Positives von der Flut bleibt. Und er steht mit diesem Wunsch nicht alleine da.

Fluthilfe

Fluthilfe: Sinzig - so erlebt Familie Lambert das Hochwasser

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Autor Katja Bauroth liebt Begegnungen und Storys - im Lokalen und auf Reisen.

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