Schwetzingen. Für viele Menschen gilt der Ewigkeitssonntag als Orientierungspunkt – sprich: Vor diesem Tag, der für Besinnung steht, sollte die Weihnachtszeit noch ruhen. Mit dem Totensonntag enden die Trauer- und Gedenktage, danach startet das neue Kirchenjahr mit dem Advent. In Deutschland sind jedoch bereits einige Weihnachtsmärkte geöffnet – eben vor dem Totensonntag (24. November). Wir fragen bei dem evangelischen Pfarrer Steffen Groß sowie seinem katholischen Kollegen, Dekan Uwe Lüttinger, aus Schwetzingen nach, wie sie darüber denken:
Steffen Groß: Ich bin froh, dass der Weihnachtsmarkt in Schwetzingen im Normalfall erst nach dem Totensonntag beginnt. Bei allem Verständnis für die wirtschaftliche Situation der Marktbeschicker glaube ich, dass unsere Gesellschaft mit der Erosion ehemals verbindlicher Zeiten Wesentliches verloren geht: das Gefühl für die Rhythmen des Jahres, des Lebens und des Glaubens. Bei der Frage der Sonntagsöffnung der Geschäfte hat die evangelische Kirche dazu den Slogan geprägt: Ohne Sonntag gibt es nur noch Werktage. Das trifft das Problem gut.
Wenn alles immer möglich ist, verliert es früher oder später seinen Wert. Wenn es schon im März Spargel gibt, die ersten Weihnachtsmänner im September in den Supermärkten zu haben sind und der Glühwein schon Mitte November fließt, verlieren wir ein Gefühl dafür, dass Festzeiten begrenzt und schöne Dinge nur begrenzt verfügbar sind – und dass sie gerade deswegen unser Leben so bereichern, wenn die richtige Zeit gekommen ist. Die Vorfreude auf das, was noch kommen soll, geht verloren.
Wir haben als christliche Kirchen unser Monopol auf die Gestaltung von Festen und Zeiten längst verloren und ich respektiere gern die Bedürfnisse von Menschen, die anders glauben, leben und empfinden. Aber wir als Kirchen tragen das Wissen durch die Zeit, dass das Leben durch Warten, die Freude durch Vorfreude erst richtig erfüllend werden. Anders gesagt: Der Glühwein schmeckt erst dann richtig gut, wenn ich mich einige Zeit darauf gefreut habe und ihn genieße, wenn die erste Kerze am Kranz brennt. Der Adventsschmuck wird erst nach dem Totensonntag aufgebaut – dann aber richtig!
Uwe Lüttinger: Die großen Kirchen haben schon lange eine Aktion – Advent ist Dezember, das heißt: alles zu seiner Zeit. Es tut gut, Rituale zu den entsprechenden Zeiten zu haben. Wir Menschen brauchen das – es ordnet unser Leben und hilft, Alltag und besondere Zeiten zu strukturieren. Erdbeeren sollte man auch zur Wachstumszeit essen – wir kennen die negativen ökologischen Auswirkungen. Auch das Leben und die Seele haben ihre Zeiten, die wir pflegen sollten.
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