Ein Porträt in Überlebensgröße an der Fassade eines gewöhnlichen Eckhauses, das einen Teil der Geschichte Schwetzingens erzählt – das ist die Vision von Barbara Gilsdorf und Künstler Hendrik Beikirch. Mit Acrylfarben und einer Sprühdose zaubert er innerhalb einer Woche – bis Montag, 22. Juni – unter dem Titel „Lebenswerk“ in Schwarz-Weiß das Porträt einer alteingesessen Schwetzinger Spargelbäuerin an das Haus in der Heidelbergstraße/Mühlenstraße. Die Künstlerauswahl und Koordination erfolgt vom städtischen Kulturamt mit Unterstützung des Bauhofs; das Künstlerhonorar unterstützt die Sparkasse Heidelberg. Im Gespräch erzählt Beikirch, was sich hinter dem Porträt verbirgt und was das Besondere an Malereien im Öffentlichen Raum ist.
Wann sind Sie das erste Mal mit einer Sprühdose in Berührung gekommen?
Hendrik Beikirch: Das erste Mal gesprüht habe ich 1989. Seit meiner Kindheit habe ich gemalt und gezeichnet, die Sprühdose war damals als Medium relativ neu. Deswegen hat sie mich auch auf einer technischen Ebene gereizt. Außerdem fand ich es spannend, im öffentlichen Raum zu arbeiten. Das in Kombination mit meinem jugendlichen Tatendrang hat dann dazu geführt, dass ich mit dem Sprühen begonnen habe.
Bezeichnend für Ihre Kunst sind charakteristische Schwarz-Weiß-Porträts in Überlebensgröße. Was reizt Sie daran?
Beikirch: Ich widme mich zwei Bereichen: Zum einen der Arbeit im öffentlichen Raum und zum anderen Arbeiten im Galerie- und Museumskontext, also Ausstellungen. Im öffentlichen Raum ist es anders. Ich komme mit dem Bild in die Stadt. Bei einer Galerie dagegen kommen die Besucher explizit, weil sie sich für die Ausstellung interessieren. Im öffentlichen Raum gibt es zwei Möglichkeiten, die Aufmerksamkeit der Betrachter zu gewinnen. Das ist zum einen ganz klein und versteckt, beispielsweise auf einer Parkbank, oder eben sehr groß und auffällig. Ich habe mich für Letzteres entschieden. Im öffentlichen Raum ist es wichtig, auf die Umgebung einzugehen – die Umgebung beeinflusst das Bild. Da geht es um die Blickachsen und die Architektur, auf die man eingehen und mit denen man arbeiten muss. Schwarz-Weiß denke ich, funktioniert im öffentlichen Raum, weil die Konkurrenz beispielsweise in Form von Werbung nun mal bunt ist. Da kann man sich direkt inhaltlich abgrenzen, wenn man das auf Schwarz-Weiß reduziert. Gerade, weil ich mich die letzten zehn bis 15 Jahre mit dem Bereich Porträt intensiv auseinandergesetzt habe, finde ich, dass in der Regel Schwarz-Weiß-Fotografie auch stimmiger ist als Farbfotografie – gerade, wenn es um Gesichter geht.
Wo sind solche Porträts überall zu finden?
Beikirch: Von Schwetzingen aus gesehen, wären die nächsten in Heidelberg und Mannheim zu finden. Weltweit geht das von Amerika, Kanada, Indien, Asien und Pakistan bis nach Korea und Neuseeland.
War das dann immer in Zusammenarbeit mit der Stadt?
Beikirch: Es gibt zwei verschiedene Punkte. Zum einen die künstlerische Idee oder Vision, die ich haben muss. Generell bei einem Projekt im öffentlichen Raum braucht man aber auch Menschen, die bereit sind, im Vorfeld solch eine Vision mitzutragen und dafür zu arbeiten, dass sie Realität wird. Da kann man mit der Stadt kooperieren oder einer Kunstmesse. Ansonsten würde das nicht funktionieren.
Wie sind Sie auf Schwetzingen gekommen?
Beikirch: Das ist der Verdienst von Barbara Gilsdorf. Sie hat mich angefragt und dann haben wir miteinander gesprochen. Ich fand Schwetzingen als Örtlichkeit spannend. Die Ecke Heidelberger Straße/Mühlenstraße finde ich eine sehr schöne Stelle. Sie ist nah an der Innenstadt, aber dann doch nicht in der Fußgängerzone und vor dem Haus ist ein Grünbereich – das sah für mich alles spannend und stimmig aus. So bin ich nach Schwetzingen gekommen.
Was genau entsteht in Schwetzingen und was bedeutet das Motiv?
Beikirch: An der Stelle muss ich wieder Barbara Gilsdorf danken. Die Geschichte von einer Gegend, einer Stadt oder einem Stadtviertel kann man sehr gut über die Gesichter der Personen erzählen. Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke – egal in welchem Museum ich war, ich habe immer die Porträts angesehen. Die Gesichter haben mir mehr vom Leben und der Geschichte erzählt als beispielsweise die Werkzeuge. Das war auch ein bisschen der Grundgedanke hierfür: das Porträt von einer alteingesessenen Spargelbäuerin. Ich denke, auch wenn nicht der direkte Bezug in Form von Spargeln in der Hand gegeben ist, erzählt das Gesicht von der Zeit und der Generation. Das war die Idee; Spargel und das Schloss ist schließlich von außen das Erste, was man mit Schwetzingen verbindet.
Wie sind Sie vorgegangen?
Beikirch: Das ist so ein bisschen der magische Teil der Arbeit. Wenn es um ein Porträt geht, muss man jemanden finden, der bereit ist, das Vertrauen entgegenzubringen, an die Idee zu glauben. Über Barbara Gilsdorf bin ich dann mit einer Spargelbäuerin aus Schwetzingen in Kontakt gekommen. Wir haben uns kennengelernt, ich habe ein paar Fotos gemacht und anhand dieser Fotos habe ich dann die Skizze entwickelt. Das Porträt ist zwar fotorealistisch, aber trotzdem fließen meine Interpretationen ihres Lebens und ihrer Geschichte mit ein. Wer genau die Spargelbäuerin ist, lasse ich an der Stelle aber offen. Sie trägt einen Doppelnamen – der ein oder andere wird sie vielleicht erkennen.
Was ist der Unterschied zwischen einem Gemälde im öffentlichen Raum und einem kleinen Kunstwerk auf der Leinwand?
Beikirch: Von der Technik ist das, was ich im Atelier mache, schon anders. Ich nutze dort einen sehr kleinen Pinsel, beim Wandgemälde eine Farbwalze. Die Betrachtungsweise in einer Galerie ist auf eine Art und Weise viel intimer, weil der Betrachter bis auf eine Handbreite an das Bild herantreten kann. Bei einer Arbeit im öffentlichen Raum muss man den Transfer berücksichtigen. Die meisten Menschen werden das Bild aus zehn bis 20 Metern Distanz betrachten. Da muss man, wenn man direkt an der Wand steht, wissen, wie das aus dieser Distanz aussehen wird. Das ist die technische Herausforderung. Auch die Witterung spielt eine Rolle. Außerdem arbeitet man mit einem technischen Gerät, da können ebenfalls Probleme auftreten. Das Alleinstellungsmerkmal von Malerei im öffentlichen Raum ist, dass die Passanten den Entstehungsprozess mitverfolgen können. Am Anfang weiß man vielleicht nicht, was es am Ende geben wird. Dann sieht man ein Auge und weiß noch nicht so richtig, ob das Porträt einen Mann oder eine Frau darstellen soll. Das entwickelt sich langsam und durch das Mitverfolgen kann man auf einer emotionalen Ebene wahrscheinlich leichter anknüpfen. Das macht es für die Menschen leichter verständlich.
Welche Materialen nutzen Sie für das Porträt?
Beikirch: Das meiste ist Acrylfarbe und ein bisschen Sprühfarbe ist dabei. Der Verlaufseffekt kommt allerdings nicht vom Regen – das ist Absicht. Ich möchte, dass Acryl- und Sprühfarbe sich miteinander vermischen, auf die Distanz gibt das dann einen fotorealistischen Effekt. Ich verwende relativ wenige Graustufen - bei dem Wandgemälde in Schwetzingen sind es gerade einmal vier. Wenn man die Farbe dann mit Wasser ein wenig verblendet, ergibt das eine Vielzahl an Grauwerten – auf die Entfernung wirkt das umso plastischer.
Mit welchem Fahrzeug arbeiten Sie?
Beikirch: Mit einem Hubsteiger, den ich gemietet habe. Es kann natürlich immer mal was sein. Man arbeitet draußen, es kann regnen oder stürmen und dann kann man nicht weiterarbeiten. Das sind externe Einflüsse, die die Arbeit sehr spannend gestalten. Geplant ist, das Wandgemälde innerhalb einer Woche fertigzustellen. Wenn es allerdings gewittert, kann sich das auch nach hinten verschieben. Wenn es stark regnen würde, wäre die Wand quasi wie abgewaschen. Das, was ich mit dem Wassersprüher mache, ist ein kontrollierter Effekt, aber wenn es richtig regnet, wäre das schlecht. Wenn die Farbe getrocknet ist, ist sie aber wetterfest. Das hält dann die nächsten Jahrzehnte. Der Unterschied zu Arbeiten im Museum, deren Idee das Bewahren und Erhalten ist, ist im öffentlichen Raum die Interaktion. Wie wir alle altern, altert auch das Bild über die Jahre. Das finde ich aber nicht schlimm – in dem Fall ist das ja bewusst gewählt.
Was erhoffen Sie sich von dem Porträt in Schwetzingen?
Beikirch: Erwartungen sind immer schwer – das Gegenteil ist die Enttäuschung. Ich finde die Generation meiner Protagonisten, wie sie gelebt und gearbeitet hat, sehr spannend. Sie wirkt mit sich zufrieden und angekommen. Wenn man Social Media anguckt sieht man, dass danach sehr gestrebt wird. Von der älteren Generation kann man also mit Sicherheit das ein oder andere lernen. Denn eine Region oder Stadt wird immer von den Menschen geprägt. Die Menschen machen den Ort besonders und liebenswert. Wenn man sich das anhand eines Bildes vergegenwärtigen könnte, dann wäre meine künstlerische Erwartung komplett eingetroffen.
Der Titel des Porträts ist „Lebenswerk“. Was verbirgt sich dahinter?
Beikirch: Es ist auf keinen Fall auf mein Lebenswerk bezogen. Der Titel ist komplett auf die Protagonistin gemünzt. Man strebt immer nach dem Lebenswerk oder als Künstler nach dem Œuvre. Was hinterlässt man? Wenn man so unmittelbar mit der Natur arbeitet wie in der Landwirtschaft, ist das noch einmal ein anderer Ansatz. Das Lebenswerk hat da eine gewisse Selbstverständlichkeit. Wenn man das mit meiner Generation vergleicht, war das von außen betrachtet sicher schwerer und arbeitsintensiver. Aber ich glaube, das kann auch seine eigenen Reize und Kraft entwickeln. Darauf ist der Titel gemünzt.
Zur Person: Hendrik Beikirch
Hendrik Beikirch ist am 6. März 1974 in Kassel geboren und arbeitet heute als freier Künstler in Koblenz.
Das erste mal eine Sprühdose in der Hand hatte er im Jahr 1989. Das neuartige Medium faszinierte ihn.
Von 1996 bis 2000 studierte Beikirch Kunst an der Universität Koblenz-Landau.
Seine Werke sind überall auf der Welt, zum Beispiel in Dänemark, Brasilien oder Indien, zu sehen. Außerdem hat er ab 1999 in zahlreichen Ausstellungen seine Kunst gezeigt.
Der Graffiti- und Streetartkünstler kreiert bis Montag, 22. Juni, eines seiner charakteristischen Schwarz-Weiß-Porträts an der Heidelberger Straße/Mühlenstraße. caz
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