„Keinem ein Leid getan“

Wie hiesige NS-Funktionäre sich entschulden wollten

Von 
Frank-Uwe Betz
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Schwetzingen. Wie hiesige NS-Funktionäre sich entschulden wollten – eine gemeinsame, weißwäscherische Erklärung aus dem Jahr 1947

Es ist eine merkwürdige gemeinsame Erklärung (siehe gesonderte Infobox), die vormalige Nazi-Funktionäre aus Schwetzingen, Oftersheim, Plankstadt und Ketsch nach der Befreiung durch die Alliierten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, im Jahr 1947 abgegeben haben. Vier ehemalige Ortsgruppenleiter und Stellvertreter der NSDAP aus der Region unterzeichneten sie – und zwar in eidesstattlicher Form.

Die dubiose Erklärung vom 5. Juni 1947 und ihre Unterzeichner

Wir haben keine Befehle oder Weisungen von unseren vorgesetzten politischen Dienststellen erhalten und haben auch keine Befehle oder Weisungen weitergegeben, an die Bevölkerung unseres Befehlsbereiches, die Verbrechen im Sinne des Nürnberger Urteils enthielten.

Uns ist nie bekannt gewesen, dass das Korps der politischen Leiter eine verbrecherische Organisation war, das heißt dazu bestimmt war, Taten zu begehen, wie sie das Nürnberger Urteil ihm zur Last legt.

Wir selbst haben solche Verbrechen auch nicht begangen.

Wir haben uns im Kriege für die Bevölkerung eingesetzt, um die ungeheueren Lasten dieser schweren Jahre in einem erträglichen Maße zu halten.

Die NSDAP unseres Bereiches war immer mehr zu einer Hilfsorganisation für notleidende, besonders ausgebombte und evakuierte Volksgenossen geworden. Hierin erschöpft sich zuletzt fast unsere gesamte politische Tätigkeit, da die Dienststellen des Staates und der Gemeinden für diese Aufgaben bei weitem nicht mehr ausreichten.

Wir haben in den Angehörigen fremdländischer (auch feindlicher) Staaten den Menschen gesehen und geachtet. Demgemäss war die Behandlung ausländischer Arbeitskräfte in unserem Bereich derart, dass man solche schon bald nicht mehr von der einheimischen Bevölkerung unterscheiden konnte, obwohl sie meist in jämmerlicher Verfassung bei uns angekommen waren.

Keinem der in unseren Ortsgruppen abgesprungenen feindlichen Flieger wurde ein Leid getan. Sie wurden, falls verletzt, einem Lazarett zugewiesen, oder den zuständigen Polizei- oder Militärbehörden überstellt. Die Richtlinien des Stellvertreters des Führers vom 13.3.1940 waren nicht bekannt. Uns ist bekannt, dass diese eidesstattliche Erklärung zum Zwecke der Vorlage bei der Spruchkammer benutzt wird. Über die Strafbarkeit einer falschen eidesstattlichen Erklärung sind wir unterrichtet. Kornwestheim, den 5. Juni 1947 Ludwig Hüther – ehemaliger stellvertretEnder Ortsgruppenleiter Schwetzingen, Hermann Rehm – ehemaliger Ortsgruppenleiter Oftersheim, Heinrich Schleich – ehemaliger Ortsgruppenleiter in Plankstadt, August Vogel, ehemalige Ortsgruppe Ketsch. fub

Schon die Anklagen des Nürnberger Prozesses gegen die „Hauptkriegsverbrecher“ verdeutlichten, dass die verbrecherischen Grundzüge des Handelns des Nazi-Regimes auch in juristischer Hinsicht von alliierter Seite bereits klar erkannt worden waren. Das internationale Militärtribunal klagte an wegen Verbrechen gegen den Frieden, Führung eines Angriffskrieges, Verbrechen gegen die Menschheit und Verbrechen und Verstöße gegen das Kriegsrecht. Die letztgenannten Punkte bezogen sich auf die Verfolgung und Vernichtung der Juden und die Verschleppung und den Einsatz zur Zwangsarbeit.

Diese Verbrechen waren schon auf regionaler und lokaler Ebene, also im politischen Einflussbereich der Ortsgruppenleiter, die hier mit anderen Funktionären wie NS-Bürgermeistern kooperieren konnten, nicht zu übersehen. Auch in den Kommunen galt das Führerprinzip, die Gemeinderäte hatten nur noch beratende Funktion. Zur Verfolgung der Juden kam es in allen Orten, in denen sie lebten, und der Kosmos der Lager für Zwangsarbeiter umfasste auch hier konkret praktisch jeden Ort.

„Prediger und Soldat zugleich“

Einen Beleg dafür, wie sich hiesige NS-Funktionäre politisch wie persönlich öffentlich verbunden zeigten, liefert das Goldene Buch der Stadt Schwetzingen. So durfte sich darin der Oftersheimer NS-Bürgermeister Rehm eintragen und anlässlich seiner Hochzeit von „treuer Kameradschaft und harmonischer Nachbarschaft“ künden, während NS-Bürgermeister Treiber aus Plankstadt „Gemeinsam aufwärts!“ schrieb.

Für die NS-Partei standen an vorderster Stelle deren politische Leiter vor Ort – die Ortsgruppenleiter der NSDAP. Sie wurden vom Gauleiter ernannt und schlugen die Besetzung der ihnen untergeordneten Posten vor. Als deren „Hoheitsträger“ waren sie für „alle Willensäußerungen der Partei“ zuständig, ebenso „für die politische Auswirkung aller von den Ämtern“ und Gliederungen der Partei ausgeführten „Maßnahmen gesamtverantwortlich“. Sie handelten in der Wahl ihrer Mittel und „Form ihrer Anwendung“ gemäß den Vorgaben der Partei und bestimmten in ihr mit „richtungSgebenden Weisungen“.

Die sogenannten „politischen Leiter“ galten als vom Staatsführer ernannt und ihm verantwortlich. Sie waren immer „politische Beauftragte des Führers“ und sollten so „Prediger und Soldat zugleich“ sein. Sie wurden auf den Führer vereidigt, womit sie diesem „unverbrüchliche Treue“ und „unbedingten Gehorsam“ schworen. Unlöslich mit Gedankengut und Organisation der NSDAP verbunden, ist es nur in der nihilistischen Verkehrung aller Werte im durchweg nazistischen, völkischen Ideologemen verpflichteten Regime und dem entsprechenden Parteiapparat zu verstehen, dass sie „Charakter und Eignung“ aufweisen und der „Wahrheit“ verpflichtet sein sollten.

Interniert in Kornwestheim

Aus ihren NS-Funktionen ist zu erklären, dass sie seinerzeit noch im Internierungslager (Civilian Internment Enclosure) 75 in Kornwestheim – das war zuvor eine Kaserne – untergebracht waren. Sie gehörten zu den Tausenden Nationalsozialisten, möglichen Kriegsverbrechern und die Sicherheit möglicherweise gefährdenden Kräften, die im Zug der Befreiung durch die US-Armee in Baden und Württemberg verhaftet worden waren.

Damit kamen sie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bei den Westalliierten in „automatischen Arrest“, Ortsgruppenleiter und deren Stellvertreter ebenso wie Geheimdienstangehörige, Ränge der Sipo, Gestapo, Kripo, höhere Verwaltungsränge, SS-, Waffen-SS und SA-Führer. Damit sollte eine Strafverfolgung beziehungsweise Entnazifizierung und Reeducation möglich werden. Die Lagerinsassen wurden vor eigenen Spruchkammern in den Lagern entnazifiert.

„Dem Sieg den Weg bereiten“

Zu erkennen, wie sich ihre Rolle und Auffassungen darstellten und wie sie ihre Rolle ausfüllten, verdeutlichen Berichte der hiesigen NS-Presse aus der Nazizeit, in denen die Funktionäre der Staatspartei in Aktion gezeigt wurden. Seinerzeit wähnten die Herren sich noch siegesgewiss. Auch nach der gerade zuvor erfolgten Kapitulation der deutschen Truppen in Stalingrad im Januar/Februar 1943 verbreitete die NS-Presse weiterhin ihre Propaganda, so das Mannheimer Blatt „Hakenkreuzbanner“. Darin hieß es noch 1944, dass das gesamte nationale Leben nun auf die totale Kriegführung umgestellt werde. Jeder sei im Namen des Führers „zur Erfüllung seiner Pflicht anzuhalten“, demgegenüber sei jeder „zu vernichten“, der versuche, sich dem zu entziehen. So würden jetzt Hunderttausende politischer Leiter „bis in den letzten Häuserblock hinein dem Willen des Führers nach einer totalen Mobilmachung der Arbeitsreserven den nötigen Nachdruck verleihen“.

Diesem Zweck dienen sollte etwa eine „machtvolle Kundgebung zum totalen Kriegseinsatz in Plankstadt“ im Gasthaus „Adler“. Hier sprachen der Ortsgruppenleiter Parteigenosse (also NSDAP-Mitglied) Schleich, die Leiterin der Frauenschaft, Parteigenossin G., Gemeinderat Parteigenosse T., der Ortsbauernführer Treiber und Sturmführer Zimmer. Bürgermeister Treiber habe sein Referat nicht halten können, da er abberufen worden sei. Nach Eröffnung der Kundgebung durch den Propagandaleiter Parteigenosse B. sprach der Ortsgruppenleiter. Alle Volksgenossen könnten nur ein Ziel haben, der Nation zu dienen. Und: „Kampf, ist die Parole bis zum endgültigen Siege. An uns allen liegt es nun, den Weg zu bereiten zum Siege.“

„Wie in der Kampfzeit gilt dem Führer unser Treuegelöbnis“ – so war der Bericht zu den Feierlichkeiten in Schwetzingen und Hockenheim zu dessen Geburtstag 1943 überschrieben, zu denen sich Parteigenossen, Hitlerjugend und Mitglieder der angeschlossenen Vereine und Verbände und die Bevölkerung im „Haus der Treue“ zusammenfanden: Ortsgruppenleiter Pfisterer begrüßte sie, Gauredner Stober sagte über den Führer, dass er nach Versailles „Deutschland groß und mächtig“ machen wollte: „Bei Ausbruch des Krieges“ hätte er „das geeinte deutsche Volk hinter sich“ gehabt und bereit gestanden, „den Kampf mit allen Feinden aufzunehmen, die sich uns entgegenstellten“. Heute gehe es nicht nur um das Sein „des deutschen Volkes, sondern des europäischen Kontinents im Kampf zur Vernichtung des Bolschewismus“.

Treuegelöbnisse veranstaltet

In Hockenheim fand im Bürgersaal des Rathauses am Abend eine ebensolche Feier statt, zu der Ortsgruppenleiter Neuschäfer „die alten Kämpfer der Ortsgruppe“ oder, soweit sie Soldaten waren, deren Ehefrauen eingeladen hatte. 94 Parteigenossen übergab er im Auftrag des Gauleiters eine Broschüre „aus der Kampfzeit der badischen Nationalsozialisten“ und an zwölf weitere das Buch „Ich kämpfe“. In seiner Ansprache habe der Ortsgruppenleiter festgestellt, dass der Führer es nicht habe überwinden können, dass „ein deutsches Volk untergehen sollte durch die jüdische Weltherrschaft“. Nur durch ihn sei „heute Deutschland und damit Europa vor dem Wüten einer entfesselten Meute von Feinden, von Juden und Bolschewisten verschont“ geblieben.

Zum „Ehrentag der deutschen Mutter“ kam es auch 1943 in den Ortschaften zu Versammlungen. In Ketsch würdigte Ortsgruppenleiter Vogel „besonders jene Mütter und Frauen, deren Söhne auf dem Felde der Ehre geblieben sind“. In Brühl sprach Ortsgruppenleiter Kammerer „unter dem germanischen Zeichen der Lebensrune“, im „Adler“-Saal in Reilingen Ortsgruppenleiter Fritz Decker, in Altlußheim im Saal der „Rheinlust“ Ortsgruppenleiter Huber, in Neulußheim im „Bären“ der Ortsgruppenleiter Schmidt. Jeweils erhielten einige Mütter das Mutterehrenkreuz. Auch zur Heldengedenkfeier finden sich noch im Jahr 1944 vergleichbare Berichte.

Gegen Feinde, Juden, Bolschewisten

Im April 1943 wird aus Plankstadt von einem „bunten Nachmittag der Jungmädel und Pimpfe auf dem Adolf-Hitler-Platz“ (vor dem Rathaus) berichtet. Ortsgruppenleiter Schleich habe „der Jugend Sinn und Zweck der Jugendorganisation vor Augen“ geführt. Bei anderer Gelegenheit nahm der Ortsgruppenleiter „das Treuegelöbnis auf den Führer ab und verpflichtete eine Anzahl junger Kämpfer als Mitglieder der NSDAP“. Im April 1944 sollten sich wehrfähige Männer Plankstadts am „Wehrschießen“ beteiligen: „Die politischen Leiter sowie Walter und Warte der NSV und DAF und sämtliche Parteigenossen treten am Sonntagvormittag um 8 Uhr am Schießplatz des KKS an.“ Geschossen wurde zudem um den Gemeindepreis.

Noch im Oktober 1944 kündete das „Hakenkreuzbanner“ von einem Appell des Schwetzinger NS-Bürgermeisters Stober. Diesen politischen Appell richtete er im „Haus der Treue“ an die politischen Leiter der Partei und Walter und Warte deren angeschlossener Verbände und Gliederungen. Damit, hieß es hier, rüttele er „auch den letzten ehrbewussten Volksgenossen wohl aus seiner noch friedensmäßigen Einstellung“ und zeige, dass es nur noch einen Willen geben könne: „Kämpfen in unerschütterlichem Glauben an den Endsieg:“

Wer die Gegner der nazistischen Politik und Propaganda waren, zeigt die antisemitische Hetze des Nazis Stober noch zu einer Zeit, als das Ende des Regimes absehbar geworden war: „Jeder muss wissen, dass hinter einer Feindbesetzung der Tod schreitet, dass es ums nackte Leben geht, dass mit dem Feind unser Würger, der Jude kommt.“ Er wagte es immer noch, dabei die Namen „Lorch und Levi“ zu nennen, in der Absicht, sie zu verunglimpfen, und verdrehte die Realität: „Mit den Juden würden die Kommunisten einziehen und Stalins Befehl ließ uns am Hunger krepieren. Die Gegner streben heute unsere restlose Vernichtung an und sie werden sie satanisch vollziehen, wenn sie uns in die Hände bekommen; jedem von uns drohte der Genickschuss, Hungertod oder lebenslängliche Fron in Sibirien.“ Ortsgruppenleiter Pfisterer schloss die Versammlung: Schwetzingen müsse „ein großes Haus der Treue sein, über dem einmal ebenfalls gerechterweise stehen darf: Es besaß Unerschütterlichkeit im Glauben an den Endsieg“:

Wahrlich kein Sozialhilfeverein

Entsprechend waren NS-Regime und NSDAP real auch vor Ort weit entfernt davon, ein Sozialhilfeverein zur Versorgung Bedürftiger aus der Bevölkerung zu sein. Es gibt keinen Beleg dafür, dass die völkische Trennung in vermeintlich verschiedenwertige Personen, Angehörige einer als homogen phantasierten NS-Volksgemeinschaft und andere, die Trennung in werte und unwerte Personen nicht beachtet worden wäre. Demgegenüber erkannten die NS-Führer von einst selbstredend noch immer nicht an, dass es ein Verbrechen war, Zivilpersonen aus anderen Ländern zu deportieren und zwangsweise auszubeuten – unter meist schlechtesten Bedingungen. Viele Verschleppte überlebten den zwangsweisen Aufenthalt im Reich gar nicht. Die Realität dieser Verhältnisse ist belegt, nur die Propaganda wie die der NS-Zeitschrift des Eisenbahn-Ausbesserungswerks bestreitet sie. Von Juden ist gar nicht die Rede.

Bei der abschließenden Behauptung zum Umgang mit „abgesprungenen feindlichen Fliegern“ fällt auf, dass angeblich unbekannte „Richtlinien des Stellvertreters des Führers vom 13.3.1940“ explizit angeführt werden. Schon seinerzeit, also lange vor den Luftangriffen der Alliierten, denen die der Deutschen vorausgegangen waren, hatte Heß nämlich gefordert, dass feindliche Flieger notfalls „unschädlich gemacht“ werden sollten. Hitler ordnete im Mai 1944 an, in bestimmten Fällen „abgeschossene feindliche Flieger ohne Standgericht zu erschießen“. Daran beteiligte Zivilisten waren zumeist fanatische Nazi-Funktionäre. In der Folge sollten die am Lynchen beteiligten Volksgenossen polizeilich und strafrechtlich nicht mehr verfolgt werden. Freundlicher Umgang mit den Piloten sollte demgegenüber mit KZ-Einweisung oder mindestens Schutzhaft geahndet werden.

Der Versuch sich weiß zu waschen

Die Berichterstattung über die Provinzpotentaten und ihr regimehöriges Wirken in der Nazizeit steht in deutlichem Kontrast zu der verleugnenden Rolle, die sie nun danach einnehmen wollten. In der Zeit zuvor waren die nun scheinbar als bürgerlich-human auftretenden Herren überzeugte Vertreter des Unrechtsregimes. So ist die gemeinsame Erklärung der Ortsgruppenleiter von 1947 als weißwäscherischer, gegenseitiger Entschuldungsversuch, im Sinn der Ausstellung einer Art wechselseitigen Persilscheins zu verstehen. Allgemein kann als üblich angesehen werden, dass gerade belastete Personen umso mehr Entlastungszeugnisse oder Persilscheine zu mobilisieren vermochten.

Insgesamt unterschieden sich die Ergebnisse der allgemeinen Entnazifizierung von denen in den Lagerspruchkammern nicht. Durch die Vielzahl an Fällen und den deutschen Unwillen, wirklich zu säubern, kam es dazu, dass die Spruchkammern im Ergebnis zu dem wurden, was ein Standardwerk zum Thema benennt – zu einer Mitläuferfabrik, aus der die meisten auch der Belasteten als Mitläufer hervorgingen. Trotz teils gravierender Vorwürfe etwa gegen die genannten einstigen Schwetzinger und Ketscher NS-Funktionäre endeten die Verfahren auch in diesen Fällen mit einer Einstufung als Mitläufer (mit Auflage einer Zahlung) beziehungsweise einer Einstellung des Verfahrens.

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