Debatte

Wie können wir Mädchen stärken, Frau Oschmann?

Autorin und Mutter erklärt, warum Mädchen heute besonders Unterstützung brauchen – und was wirklich hilft, jenseits von Rollenbildern und Schönheitsdruck. Ein Gastbeitrag.

Von 
Annette Oschmann
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Je zufriedener Mädchen und Frauen sind, desto besser geht es einer Gesellschaft. © picture alliance/dpa

„Mädchen stärken“ – müssen wir uns im 21. Jahrhundert darüber tatsächlich noch unterhalten? Sind wir nicht durch jahrzehntelange Emanzipation und feministische Bewegung auf einem guten Weg, um uns als Frauen zu behaupten? Die Antwort ist ein klares Nein.

Politisch und gesellschaftlich sehen wir aktuell an vielen Stellen einen Rückschritt im Rollenverständnis, wie Frau „zu sein hat“. So wird von außen schnell schneidig kategorisiert, bewertet und bevormundet. Dabei ist es wichtiger denn je, Mädchen und junge Frauen in ihrem individuellen Weg und in ihrer Eigenständigkeit zu unterstützen, ihre Potenziale zu entdecken und zu fördern, die nicht nur den jungen Frauen zugutekommen, sondern uns auch als Gesellschaft voranbringen.

Denn je zufriedener Frauen sind, desto besser geht es einer Gesellschaft. Eltern und Familie kommt hierbei eine entscheidende Rolle zu. Ausgangspunkt ist eine Haltung des Zutrauens, um die Quellen der inneren Stärke bei unseren Töchtern zu fördern.

Umgekehrte Perspektive: Stärken fördern statt Schwächen betonen

„Stärken fördern“ ist dann auch eine ganz grundlegende dieser insgesamt elf Quellen. Sie liegt so nahe und mutet manchmal doch so schwierig an. Unsere Gesellschaft schaut auf die Defizite und die Mängel, zeigt auf Fehler und erhebt Vorwürfe. In der Begleitung junger Menschen und vor allem junger Frauen ist die umgekehrte Perspektive hilfreicher: Wir sollten Stärken behutsam fördern.

Voraussetzung ist dafür nicht, dass meine Tochter möglichst vielen Hobbys nachgeht, zahlreiche Kurse oder Arbeitsgemeinschaften belegt. Voraussetzung ist „nur“ eine innere Haltung: Ich bleibe als Elternteil neugierig darauf, was sich bei meiner Tochter zeigt, und unterstütze, was sich entfalten will. Ich schaffe ihr den Raum für Entwicklungen, statt sie durch vorgegebene Vorstellungen einzugrenzen. Das ist eine der inneren Einstellung, die nichts kostet – nur manchmal Mut, weil man damit gegen den oft anzutreffenden Elternstrom des „Viel hilft viel“ schwimmt.

Die Gastautorin



Rechtsanwältin Dr. Annette Oschmann unterstützt als Mediatorin und Coach Menschen in herausfordernden Lebenssituationen und in irritierten Systemen.

Als Vorreiterin des Conscious Uncoupling („bewusste Trennung“) in Deutschland hat sie eine erfolgreiche Coachingpraxis etabliert. Ihre Expertise ist in Print- und Online-Medien gefragt.

Ihre Website www.annette-oschmann.de bietet jährlich über 150.000 Besucher*innen praxisorientierte Hilfe und Blogbeiträge zu bewegenden Beziehungs- und Familienthemen.

Annette Oschmann moderiert als unabhängige Mediatorin regelmäßig verschiedene Gremien und Tagungen der katholischen Kirche zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt .

Bei ZONTA International setzt sie sich für die Rechte von Mädchen und Frauen weltweit ein.

Annette Oschmann ist Autorin der Bücher „Mädchen stärken – Wie wir unseren Töchtern alles mitgeben, was sie brauchen.“ , Goldegg Verlag 2024 und „Du darfst gehen – Wege aus festgefahrenen Beziehungen“ , Topicus Verlag 2023.

Eine weitere wichtige Quelle ist „Selbstbild entwickeln“. Ein Thema, bei dem Mädchenmütter sich regelmäßig die Haare raufen, weil es heutzutage wieder viel mehr um das äußere Selbstbild zu gehen scheint, statt um innere Werte und innere Entwicklung. Manchmal drängt sich uns Frauen die Frage auf: Haben wir dafür gekämpft? Dass unsere Töchter über Overnight-Curls, über Sponge-Spa-Haarreifen und die beste Gellack-Maschine für Fingernägel diskutieren? Dass beim 12. Geburtstag der Tochter der Geschenketisch von Drogerieprodukten überquillt und die dazugehörigen Gutscheine für die nächsten drei Jahre reichen dürften?

Das ist für emanzipierte Mütter oft schwierig

Das ist herausfordernd, vor allem für Mütter, die sich Eigenständigkeit und Unabhängigkeit erarbeitet haben. Doch auch, wenn es sich manchmal anders anfühlt, ist diese Entwicklung noch nicht der Untergang des Abendlandes. Frauen haben sich immer mit ihrer äußeren Erscheinung befasst und werden es immer tun. Auch junge Männer beschäftigen sich heutzutage verstärkt mit ihrem Äußeren, benutzen Gesichtsmasken und denken über Dauerwellen nach.

Zwei Tipps sind für Eltern hilfreich, um durch diese Zeiten zu navigieren. Das ist zum einen eine große Portion Gelassenheit. Oft handelt es sich um eine zeitlich begrenzte Phase. Auch das geht vorüber – oder es bleibt, sei es aus Rebellion oder weil es zur eigenen Persönlichkeit gehört, die sich auch im Außen zeigt. In beiden Fällen können – und sollten – wir als Eltern wenig machen. Dagegen stärkt es die Bindung zu unseren Kindern, wenn wir Entwicklungen, die nicht eindeutig (selbst-)schädigend sind, möglichst bewertungsfrei begleiten.

Jüngere Mädchen können durch technische Möglichkeiten und das Sperren bestimmter Plattformen vor medialem Überkonsum geschützt werden.
Annette Oschmann

Diese Bindung ist eine gute Basis für den zweiten Tipp: Mütter können behutsam die innere Entwicklung anregen – nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern zum Beispiel durch Angebote, etwas zusammen zu unternehmen, das nebenbei den Intellekt anspricht: durch Reden, durch Erzählen, durch einen lebendigen Austausch über das, was Sie gerade bewegt in dieser Welt. Jedenfalls so lange Ihre Tochter noch zuhört und ihre Handypausen das hergeben.

Überhaupt: „Medien nutzen“ ist ein Dorn im Auge vieler Eltern. Zu Recht. Zahlreiche Studien weisen mittlerweile auf die ernsthaften Gefahren übermäßiger Handynutzung und exzessiven Konsums von Social Media für die Gehirne und die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen hin. Bei Mädchen und jungen Frauen kommt noch hinzu, dass auf Social Media oft ein stark verkümmertes Rollenbild vermittelt wird. Sei es durch den Fokus auf die bereits erwähnten Äußerlichkeiten, sei es durch Strömungen wie die „TradWives“, die scheinbar glücklichen jungen Hausfrauen, die darin aufgehen, daheim ihre Kinderschar mit Selbstgemachtem zu beglücken und für ihre erwerbstätigen Ehemänner Oberhemden zu bügeln.

Die Folge ist, dass diese Mädchen zu oft „Ja“ sagen, wenn sie allenfalls „Vielleicht“ oder eigentlich „Nein“ meinen.
Annette Oschmann

Jüngere Mädchen können durch technische Möglichkeiten und das Sperren bestimmter Plattformen vor medialem Überkonsum geschützt werden. Das währt jedoch meist nur kurz. Unsere Kinder sind immer findiger als wir selbst, und Verbotenes übt einen besonderen Reiz aus. So werden Sperren und Verbote schnell umgangen, entweder durch die eigenen technischen Fähigkeiten oder das Ausweichen zu Freundinnen und Freunden, „die alles dürfen.“

Achtsamen Umgang mit technischen Möglichkeiten anregen

Was hilft, ist, junge Mädchen frühzeitig für diese Themen zu sensibilisieren und einen achtsamen Umgang mit den technischen Möglichkeiten anzuregen. Zeitliche Begrenzungen sind in jungen Jahren immer sinnvoll. Andere Maßnahmen sind stark von der individuellen Persönlichkeit und dem Alter Ihrer Tochter abhängig: Was konsumiert sie und wie viel? Ist etwas besonders schädlich? Dann greifen Sie ein! Immer mit dem Ziel, ein gutes, ein bekömmliches Maß an Mediennutzung zu ermöglichen. Denn eins ist auch klar: Die neuen Medien sind gekommen, um zu bleiben. Nur ein verantwortungsvoller Umgang hat Aussicht auf einen nachhaltigen Erfolg.

Am besten geht das durch Ihr eigenes Beispiel. Wie nutzen Sie Ihr Handy oder Ihr Tablet? Selektiv und bewusst? Oder erwischen auch Sie sich dabei, abends auf dem Sofa ein paar YouTube-Shorts zur Entspannung zu schauen? Seien Sie ehrlich zu sich selbst und versuchen Sie vorzuleben, was Sie von Ihrer Tochter erwarten. Das ist ohnehin die wirksamste und nachhaltigste Erziehungsmethode: Vorbild sein. Vieles, was wir unseren Kindern sagen, geht zum einen Ohr hinein und zum anderen Ohr wieder hinaus. Mit dem, was wir vorleben, sind unsere Kinder hingegen von dem Moment ihrer Geburt an konfrontiert. Sie lernen durch Nachahmen mehr als durch Worte. Das sollten wir nutzen – für uns und für unsere Kinder.

Ein Thema liegt mir für Mädchen und junge Frauen besonders am Herzen. Es ist „Feingefühl schützen“, Grenzen ziehen. Für sensible und empathische Frauen ist das eine große Herausforderung. Verschiedene Aspekte kommen bei diesem Thema zusammen.

Da ist zum einen die immer noch fest verankerte gesellschaftliche Rollenerwartung, dass Mädchen und Frauen helfen, unterstützen, zuhören und gerne für andere da sind. Viele Mädchen übernehmen unbewusst diese Rollenerwartung. In einem ausgeglichenen menschlichen Miteinander, in dem sich Geben und Nehmen die Waage halten, sind das wunderbare Eigenschaften. Sie ermöglichen echte Zuwendung zu anderen. Oft ist diese Haltung jedoch einseitig und wird von anderen ausgenutzt. Dann überwiegt das empathische Geben, das irgendwann zu großer Erschöpfung und Frustration führen kann.

Zum anderen ist bei Mädchen oft der Wunsch groß, zu gefallen und zu einer Gruppe „dazuzugehören“. Der Gedanke, anzuecken oder andere Menschen gar zu enttäuschen, scheint unerträglich. Die Folge ist, dass diese Mädchen zu oft „Ja“ sagen, wenn sie allenfalls „Vielleicht“ oder eigentlich „Nein“ meinen. Auch das kann zu innerem Ausgebranntsein führen. Ein Leben nach den eigenen Vorstellungen ist das nicht.

Junge Frauen sollten lernen, für sich Grenzen zu ziehen

In beiden Fällen dürfen Mädchen und junge Frauen lernen, für sich Grenzen zu ziehen, diese freundlich, aber bestimmt zu kommunizieren und dann konsequent durchzuhalten. Ja, damit kann frau anecken, das kann anderen missfallen. Die Belohnung ist innere Freiheit, ein Leben nach den eigenen Vorstellungen: „Frei ist, wer missfallen kann.“ Bislang hat das noch jede überzeugt.

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