Speyer. Eine schwarz angezogene Person mit weißer Maske steht im Tor zur Vorhalle des Speyerer Doms. Auf der Stirn steht „Dunkelziffer“, über dem Mund ist Klebeband mit der Aufschrift „Stumm“ angebracht. Die Gestalt wirkt beängstigend - denn auch das Thema, um das es hier geht, löst alles andere als wohlige Gefühle aus. Es ist eine Gedenkveranstaltung für Betroffene von Missbrauch in der katholischen Kirche, die der Betroffenenbeirat und das Netzwerk Prävention des Bistums Speyer am Mittwochabend ausgerichtet haben. Es geht darum, gemeinsam Licht ins Dunkel zu bringen, die Geschehnisse aufzuarbeiten und dem Unwohlsein - dem Leid - entgegenzutreten statt zu schweigen.
„Wir wollen uns gemeinsam starkmachen gegen den sexuellen Missbrauch von Minderjährigen und dafür sorgen, dass die Betroffenen nicht vergessen werden“, eröffnet die Präventionsbeauftragte des Bistums, Christine Lormes, den Gedenktag. Eigentlich finde der „Europäische Tag zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch“, der den Anlass für die Veranstaltung gegeben hat, am 18. November statt und nicht mitten im Advent. Er wurde in Speyer verschoben, damit auch Bischof Karl-Heinz Wiesemann teilnehmen kann. Er war im November verhindert.
Der Betroffenenbeirat
- Der Betroffenenbeirat des Bistums Speyer besteht aus neun Männern und Frauen, die Missbrauch unter dem Dach der Kirche erfahren haben.
- Sie stehen weiteren Betroffenen zur Seite und tragen als von der Kirche unabhängiges Organ dazu bei, die Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen im Bistum Speyer aufzuarbeiten.
- Den Vorsitz des Beirats hat Bernd Held inne.
An Weihnachten keine Pause
„Wir stehen aber auch bewusst im Kontrast zum Weihnachtsmarkt“, fährt Lormes fort. „Das Leid der Betroffenen macht zu Weihnachten keine Pause“, ergänzt Bernd Held, der Vorsitzende des Betroffenenbeirats. Vor allem in der Adventszeit könne es für Betroffene schwer werden. „Wir sind auch ganz bewusst in der Vorhalle, weil einige Betroffene keine Kirche mehr betreten können. Es ist zu schwer“, macht Held weiter auf lebenslange Wunden aufmerksam.
Diese Leiden gelte es aufzuarbeiten und dort zu helfen, wo Hilfe möglich ist. Auch Rudi Schreiber aus Birkenheide wollte ein Zeichen setzen und hat vor einigen Wochen eine Pilgerreise nach Rom beendet, um Aufmerksamkeit zu generieren. Er berichtet von seiner Reise: 55 Tage sei er unterwegs gewesen. „Ich wollte für jeden Betroffenen einen Tag laufen“, erklärt er.
Doch auch die vielen unbekannten Fälle habe er stets im Hinterkopf gehabt. Am Ziel seiner Pilgerreise in Rom konnte er während einer Generalaudienz den Papst treffen. „Bitte beten Sie für die vielen Betroffenen und sorgen Sie für Recht und Gerechtigkeit, sodass die Menschen ihre Würde wiederbekommen“, habe er dem Oberhaupt der katholischen Kirche gesagt. Diesen Spruch hat er ausgedruckt wieder mitgebracht. „Ich hoffe, dass er den Segen des Papstes mit nach Hause gebracht hat“, sagt er. Ein Zeichen, das mit kleinem Applaus von den versammelten Menschen dankend angenommen wird.
Angereist ist auch eine Betroffene aus dem Raum Würzburg, um auf die hohe Dunkelziffer der Fälle aufmerksam zu machen. Personen, die vom Missbrauch betroffen sind oder jemand kennen, können eine Kerze entzünden. So haben auch Menschen, die nicht über das sprechen möchten, was ihnen geschehen ist oder angetan wurde, die Möglichkeit, etwas Licht ins Dunkel zu bringen - die Dunkelziffer anonym sichtbarer werden zu lassen. Nach einiger Zeit brennen mehr als 30 kleine Flammen auf dem Tisch in der Vorhalle des Doms.
Dunkelziffer nicht schätzbar
Zum Austausch zwischen Betroffenen und dem Bistum ist auch Bischof Wiesemann anwesend. Er hatte im Interview mit dieser Redaktion erstmalig Fehler bei der Aufklärung des systematischen Missbrauchs in der Kirche eingestanden und sich auf die Fahne geschrieben, die Schweigespirale zu durchbrechen. „Deshalb sind wir auch heute ganz bewusst in der Öffentlichkeit“, sagt er. Am schwierigen Thema Missbrauch geht es nicht vorbei, sondern nur durch - wie auch Besucherinnen und Besucher des Doms an diesem Abend durch die Gedenkveranstaltung hindurch gehen müssen.
„Wir schaffen sichere Räume und nehmen uns viel Zeit für die Aufarbeitung“, sagt Wiesemann und betont, dass diese Arbeit von Unabhängigen gemacht wird. „Es melden sich immer mal neue Menschen“, fährt er fort. Eine Zahl der bekannten Fälle kann er - wie eine Schätzung der Dunkelziffer - nicht nennen.
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