Mittelalterlich Phantasie Spectaculum

Trinkhörner und Felle rund um den Dom: Mittelalterfest in Speyer

Trinkhörner, Felle aller Art, Handwaffen, Blumenkränzchen und Flechtkörbe: Die Besucher legen sich in Speyer ins Zeug, um die Zeitreise in die Vergangenheit authentisch zu gestalten.

Von 
Susanne Kühner
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Auch Ritter gehen mit der Zeit – und halten die Aufführungen beim Spectaculum mitunter mit dem Handy fest. © Venus

Speyer. Die Trinkhörner sind der Kult schlechthin auf dem Mittelalterlich Phantasie Spectaculum (MPS) in Speyer. Das Gleiche gilt für Felle aller Art, Handwaffen, Blumenkränzchen und Flechtkörbe: Die Besucher legen sich ins Zeug, um die Zeitreise in die Vergangenheit authentisch zu gestalten.

Der Mann mittleren Alters in der grünen Tunika, die von einem Ledergürtel samt Haltegurt für ein Trinkgefäß markiert wird, nennt sich Tristan. Im normalen Leben heißt er Henning Scheuer, ist 34 Jahre alt und arbeitet als Informatiker. Für die Verwandlung zum mittelalterlichen Bürger hat er etwa 84 Kilometer mit dem Wohnwagen auf sich genommen: Scheuer kommt aus Michelstadt im Odenwald.

„Das Mittelalter ist seit zehn Jahren mein Hobby. Ich mag die Atmosphäre bei Märkten und die Menschen dort“, erzählt er. Eine große, eingeschworene Gemeinschaft seien die Gleichgesinnten. Damit spricht Henning Scheuer wohl allen aus dem Herzen, die zuhauf auf die großen Rasenflächen im unteren Domgarten und auf der Klipfelsau strömen.

Auf diese beiden Standorte ist das MPS verteilt – der Straßenwechsel macht keine Probleme. Die Mittelalterfreunde sind gesittet. Marietta Stauder (42) ist mit ihrem Lebensgefährten Erik (50) und dem gemeinsamen Sohn Darian (5) von Heidelberg mit dem Zug angereist. Was sie in ihrem geflochtenen Korb mit Deckel hat? Stauder gewährt einen Blick hinein: ein Mini-Trinkhorn, ein Taschentuch aus Stoff, einige Goldmünzen, die sie als Zahlungsmittel gegen den modernen Euro eingetauscht hat und – die Neuzeit lässt sich doch nicht ganz leugnen – ein Mobiltelefon.

„Wir freuen uns, endlich wieder unsere Leidenschaft ausleben zu können“, sagt die Einzelhandelskauffrau. Lange haben sie auf das MPS in Speyer hingefiebert, das für sie im Schatten des Domes und in der Nähe des Rheins eine besondere Atmosphäre hat. „Ich war schon als Kind vom Mittelalter begeistert, weil es dort so viele verschiedene Charaktere zu entdecken gab“, betont Stauder. Vom Bettel- bis zum Edelmann reicht die Palette. Sie selbst ist als Wirtin im schicken gerafften Kleid aus einem schweren Stoff unterwegs.

Sieben Bands spielen auf

Während auf den drei Bühnen, die auf die beiden Standorte verteilt sind, sieben Bands im Wechsel die Massen in Bewegung bringen, macht sich Bruder Rectus als Fürsprecher für Beerenwein in allen Variationen bemerkbar. Auf der Bühne der Spielleute gibt es zudem über Stunden ein Heidenspektakel, das auch Kindern Kurzweil bringt.

Wem noch etwas zum mittelalterlichen Glück fehlt, findet es gewiss an den Verkaufsständen. Felle, Trinkhörner in allen Größen, Lederwaren, Schmuck, Körbe, Ausstattung vom Dolch bis zu Pfeil und Bogen sowie robuste Kleidung werden zum Verkauf angeboten. Bemerkenswert: Selbst ein Einhorn hat Einzug gehalten – auf einem rosa unterlegten Schild zur Abwehr, für Mädchen gedacht.

Hunger und Durst leiden muss niemand. Der Duft von Sauerkraut legt sich über die Klipfelsau, während Jens Markowitz – heute als Ritter Herold in Perfektion unterwegs – lieber herzhaft in einen Räuberspieß beißt. „Kampf macht Hunger“, kommentiert er grinsend unter seinem Nasenschild heraus. Markowitz kommt aus Berlin und hat das MPS mit einem Kurzaufenthalt in der Pfalz verbunden. „Ich nutze beide Festivaltage voll aus“, lässt er wissen. 22 Stunden kann er demnach dem 21. Jahrhundert entfliehen.

Sabrina Meisen und Stefanie Jacob fallen in ihrem bunten Federflügelkleid auf. „Das hab ich mal für eine Fantasyparty bei Stefanie gemacht. Ich wollte etwas Cooles und ein Phönix sein“, verrät Meisen. Corona habe bisher das Tragen verhindert. Auf dem MPS feiert das Kostüm also Premiere. Die Anfahrt aus Clewe hat sich für sie gelohnt. „Das Setting hier stimmt“, meint Meisen, die zum ersten Mal dabei ist.

Jacob, in Göppingen zuhause, hat in Speyer bereits Erfahrung. „Das MPS hier ist kleiner als andere, aber gemütlich und die Stimmung ist wunderschön“, betont sie. Eine Amphitere stellt sie da – eine geflügelte Schlange. Vier Monate hat sie in den Abendstunden am Kostüm genäht.

Pralles Leben herrscht auf der Veranstaltungsfläche bis gen Mitternacht am Samstag. Der Sonntag geht früher, aber nicht weniger stimmungsvoll zu Ende. Die Beerenweine und Bierfässer werden gut geleert, frei nach dem Motto, das die Gassenpoeten von der Folk-Bühne aus mit auf den Weg geben: „Denn wenn du trinkst, vergisst du, wer du bist, drum trinke auch, wenn du alleine bist.“

Speyer

Speyer: Mittelalterlich Phantasie Spectaculum lädt zur Zeitreise ein

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