Rückblick

Auf und Ab in der Politik im Südwesten: Die Gewinner und Verlierer des Jahres

Vom syrischen Flüchtling zum Bürgermeister und vom bekanntesten Kommunalpolitiker Deutschlands zum parteilosen OB: Das sind nur zwei der Gewinner und Verlierer des politischen Jahres im Südwesten

Von 
David Nau, Nico Pointner und Pascal Eichner
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Wer folgt auf Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (links)? Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (rechts) gilt als aussichtsreicher Kandidat. © Marijan Murat/dpa

Stuttgart. Höhenflug und Absturz können in der Politik manchmal recht nah beieinanderliegen. In Baden-Württemberg mussten das so einige Politiker in diesem Jahr erleben. Das sind die Gewinner und die Verlierer im Jahr 2023:

Die Gewinner:

MANUEL HAGEL: Schon länger gilt er als Hoffnungsträger der gebeutelten Südwest-CDU, nun ergriff er das Ruder - und zwar ziemlich geräuschlos. Manuel Hagel ist nicht mehr nur Fraktionschef der CDU in Baden-Württemberg, sondern nun auch Vorsitzender des Landesverbands.

Baden-Württembergs CDU-Landeschef Manuel Hagel. © Bernd Weißbrod/dpa

Die ganze Partei schart sich hinter den 35-Jährigen in einer euphorischer Harmonie, wie sie die CDU lange nicht mehr erlebt hat. «Das politische Erbe von Winfried Kretschmann wird bei uns in guten Händen sein», verkündete Hagel vor kurzem selbstbewusst beim Parteitag in Reutlingen.

Immerhin: Die Chancen für die CDU, endlich wieder in der Villa Reitzenstein einzuziehen, stehen so gut wie seit vielen Jahre nicht mehr - vor allem weil der grüne Amtsinhaber Winfried Kretschmann nicht mehr antreten will. Aber das kann auch nur eine Momentaufnahme sein. Die Doppelrolle an Fraktions- und Parteispitze dürfte Hagel viel abverlangen.

CEM ÖZDEMIR: Er ist auffallend oft im Südwesten unterwegs, zeigt sich gerne an der Seite des Landesvaters und spricht dabei demonstrativ breites Schwäbisch: Nach wie vor ist der grüne Bundeslandwirtschaftsminister der aussichtsreichste Kandidat für die Nachfolge des 2026 scheidenden Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann.

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. © Kay Nietfeld/dpa

Wann immer man mit Grünen über die Nachfolge-Frage spricht, heißt es übereinstimmend: «Wenn der Cem will, dann wird er es.» Ob er aber wirklich will, ist unklar - und dürfte für den 57-Jährigen, der aus Bad Urach stammt und seinen Wahlkreis in Stuttgart hat, auch von der weiteren Entwicklung der Umfragen abhängen.

Die zeigen nämlich, dass die Mission alles andere als ein Spaziergang werden dürfte. In Umfragen liegen die Grünen in letzter Zeit immer häufiger hinter der CDU mit ihrem neuen Hoffnungsträger Manuel Hagel.

RYYAN ALSHEBL: Sein Name ist nicht allzu bekannt, aber seine Geschichte ging trotzdem um die Welt: 2015 war Ryyan Alshebl vor dem Krieg in Syrien geflohen und als Flüchtling nach Deutschland gekommen. Anfang April wurde er zum Bürgermeister von Ostelsheim gewählt.

Bürgermeister Ryyan Alsheblsteht vor dem Rathaus in Ostelsheim. © Bernd Weißbrod/dpa

Die schwäbische Gemeinde im Kreis Calw wählte den gebürtigen Syrer mit einer absoluten Mehrheit von 55,41 Prozent. «Wir haben Geschichte geschrieben», sagte der damals 29-Jährige am Tag nach seiner Wahl. Ostelsheim mit seinen rund 2500 Einwohnern sei zum Symbol für Weltoffenheit und Toleranz geworden.

Im Juli wurde Alshebl offiziell in seinem Amt vereidigt und verpflichtet. Seitdem ist er Rathauschef in Ostelsheim und erzählt seine Geschichte. Im Oktober war er beispielsweise Gast bei Markus Lanz.

Die Verlierer:

THOMAS STROBL: Er selbst würde sich wohl nicht zu den Verlierern zählen. Aber das gebietet die politische Logik der Gesichtswahrung. Fakt ist: Nach zwölf Jahren im Amt hat Thomas Strobl den Posten des CDU-Landeschefs geräumt - ausgerechnet für Manuel Hagel, den Mann, den er selbst politisch groß gezogen hat.

Thomas Strobl (CDU), Innenminister von Baden-Württemberg. © Bernd Weißbrod/dpa

«Wir haben es uns nicht immer leicht gemacht», sagte er selbst seinen Parteifreunden zum Abschied. Strobl spricht mit Blick auf das Machtbeben in der CDU von seiner souveränen Entscheidung. «Überhaupt niemand hat mich unter Druck gesetzt.»

Aus der Partei sind auch ganz andere Töne zu hören. Strobl bleibt Innenminister und Vize-Regierungschef, gilt aber als politisch geschwächt - vor allem weil die Affäre um den Polizei-Inspekteur und der damit verbundene Untersuchungsausschuss weiter schwer auf seinen Schultern lastet.

WINFRIED HERMANN:  Die Verkehrswende ist eines der wichtigsten Projekte für die Grünen und ihren Verkehrsminister Winfried Hermann. Und trotzdem kommt das Vorhaben nur stockend voran. Im Oktober sprach der Klima-Sachverständigenrat des Landes vom Verkehrssektor als «Problemkind» und monierte, dass die Emissionen im Jahr 2022 sogar wieder angestiegen waren.

Winfried Hermann (Bündnis 90 / Die Grünen), Landesverkehrsminister von Baden-Württemberg. © Philipp von Ditfurth/dpa

Für Hermann nicht der einzige Dämpfer: Ein Mobilitätsgesetz, das Leitlinien einer klimafreundlichen Mobilität festschreiben soll, verzögerte der Koalitionspartner CDU wegen Bürokratiebedenken. Auch die eigentlich versprochene Mobilitätsgarantie, die laut Koalitionsvertrag bis 2026 in den Hauptverkehrszeiten garantieren soll, dass mindestens einmal pro Stunde ein Bus oder eine Bahn fährt, musste der Verkehrsminister mangels Geld vorerst zu einem unverbindlichen Leitbild herabstufen. Eine geplante Lkw-Maut für Landes- und kommunale Straßen kommt nicht vor 2027.

BORIS PALMER:  Es war wohl eine Provokation zu viel: Nachdem er noch im Herbst 2022 mit starkem Ergebnis als Tübinger OB wiedergewählt worden war und eine Versöhnung mit seiner Partei nur als eine Frage der Zeit gesehen wurde, kam Ende April dann der tiefe Fall.

Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen. © Bernd Weißbrod/dpa

Skandal um eine Äußerung zum Judenstern, Austritt bei den Grünen, Auszeit als OB. «Ein ziemliches Drama» nannte das Ministerpräsident Winfried Kretschmann, andere Grüne atmeten hörbar auf. Palmer selbst sagte Monate später: «Die Partei und ich, wir haben uns auseinanderentwickelt. Und das muss man irgendwann auch mal akzeptieren. Es nutzt nichts, sich da was vorzumachen.»

Auch nach der Auszeit löste Palmer mit Äußerungen und Briefen immer wieder kleinere Aufregungen aus. Immerhin eine neue kommunalpolitische Heimat scheint er inzwischen gefunden zu haben: Bei der Kommunalwahl kandidiert er auf der Liste der Freien Wähler Vereinigung (FWV) für den Kreistag. Dort könne er die Höhe der Kreisumlage mitbestimmen und darüber, wie viel Geld in seine Stadt für Projekte zurückfließe. (lsw)

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