Tübingen. Nach Kritik von Amtsinhaber Boris Palmer hat die Landeszentrale für politische Bildung (LpB) die Vorbereitungen für ihren sogenannten Kandidat-O-Maten zur Tübinger OB-Wahl vorerst gestoppt. „Der Fragenkatalog an die Kandidaten hätte so nie herausgehen dürfen“, sagte Lothar Frick, Co-Chef der Landeszentrale. Er stellte sich zugleich vor den Abteilungsleiter der LpB-Außenstellen im Land, Michael Wehner. Der Freiburger Politikwissenschaftler fungiert als Leiter und Initiator des Projekts.
Keine generelle Ablehnung
Beim Kandidat-O-Maten handelt es sich um eine Variante des seit vielen Jahren bei Bundestags- und Landtagswahlen eingesetzten Wahl-O-Maten. Die Nutzer können dabei anhand ausgewählter Fragen überprüfen, mit welcher Partei beziehungsweise Person sie am meisten übereinstimmen. Auch er habe den Wahl-O-Maten schon genutzt, sagte Palmer, dessen Grünen-Mitgliedschaft gerade ruht. Das Instrument lehne er nicht rundheraus ab. Viele der 80 Fragen, die ihm und seinen Konkurrenten vorgelegt worden seien, seien aber irreführend, tendenziös oder schlicht irrelevant. „Herr Wehner verwechselt politische Bildung mit politischer Agitation.“
Allerdings hat sich Wehner die Fragen keineswegs selbst ausgedacht. Sie wurden in Zusammenarbeit mit Studierenden sowie mit Journalisten des örtlichen „Schwäbischen Tagblatts“ und des SWR erarbeitet. „Die Grundsteuer soll gesenkt werden, um Mieter und Mieterinnen zu entlasten“, lautet eine der Thesen, zu denen sich die Kandidaten positionieren sollen. Doch genau damit hat Palmer ein Problem. 60 Prozent des Grundsteueraufkommens stamme gar nicht von Mietern, sondern werde von Firmen und Eigenheimbesitzern erbracht. „Würde man das so formulieren, antworten viele vielleicht ganz anders“, sagte Palmer. „Hier sollen die Teilnehmer gesteuert werden.“
Genervt ist er auch von der Schwerpunktsetzung. Es geht um gendergerechte Sprache und geschlechtsneutrale Toiletten, ums Burkini- oder Oben-ohne-Baden und um die Frage, ob der Indianersteg umbenannt werden sollte. „Zu viel spaltende Identitätspolitik“ lautet Palmers Klage – wobei er daran wohl nicht ganz unschuldig ist. Schließlich meldet sich der OB immer wieder pointiert zu allen möglichen (Identitäts-)Fragen auf Facebook zu Wort. „Provozierende Aussagen sind wichtig, um Debatten anzustoßen“ – auch dazu sollen sich die Kandidaten positionieren.
Schon mehrfach hat der Kandidat-O-Mat im Vorfeld einer OB-Wahl Diskussionen ausgelöst. Erstmals sollte er 2017 in Freiburg eingesetzt werden, der damalige Amtsinhaber Dieter Salomon (Grüne) lehnte eine Beteiligung aber ab. Fragen nur mit Ja oder Nein beantworten zu können werde der Komplexität der Materie nicht gerecht. Seinem Wahlkampf nutzte dies nicht. Er wurde abgewählt.
Vor allem Männer, Menschen mit niedrigerem Bildungsgrad und solche mit schwach ausgeprägten Überzeugungen profitierten von dem Tool, analysierte Wehner in einem Fachartikel. Mehr als ein Fünftel von 3200 befragten Nutzern habe eine motivierende Wirkung auf die eigene Wahlbeteiligung bejaht. Ob der Tübinger Kandidat-O-Mat indes noch zu retten ist, ließ die LpB-Direktion offen. Frick brach seinen Urlaub ab und kündigte den Versuch einer Überarbeitung an.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/politik_artikel,-laender-boris-palmer-wuenscht-sich-bessere-fragen-_arid,1988479.html