Stuttgart. Die Corona-Pandemie bescherte den Journalisten und den Traditionsmedien im vergangenen Jahr einen überraschenden Vertrauensschub beim Publikum. Gleichzeitig sorgen die wirtschaftlichen Einbußen der Medienhäuser aber für neue Sparzwänge. Auch die Berichterstatter stehen aktuell unter Druck, Kritiker bezweifeln ihre Unabhängigkeit, schlimmstenfalls werden sie auf Demonstrationen von sogenannten Querdenkern körperlich angegangen. Selbst Spitzenpolitiker wie CDU-Mann Friedrich Merz setzen auf parteieigene Social-Media-Kanäle und schwadronieren über herkömmliche Medien: „Wir brauchen die nicht mehr.“
„Gespräche im Hintergrund“
Der Platz für die politischen Journalisten ist ungemütlich geworden in den letzten Jahren. Bis weit in die politische Mittelschicht hinein bezweifeln Bürger die Unabhängigkeit der Tageszeitungen und noch mehr des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Es ist Zeit für eine Standortbestimmung über die Rolle der Medien und der Politik.
Schon immer sind Politiker und politische Journalisten aufeinander angewiesen. Die Politiker liefern durch ihre Arbeit die Nachrichten, die von den Berichterstattern gewichtet, bewertet und veröffentlicht werden. Die beiden ungleichen Partner pflegen dabei ein heikles Verhältnis zwischen Nähe und Distanz. Ein gewisses Grundvertrauen ist für das Geschäft mit den Nachrichten notwendig. Denn natürlich suchen wir Journalisten die exklusive Meldung, die der eigenen Zeitung Aufmerksamkeit verschafft. Im Zeitalter der sozialen Medien ist das wichtiger denn je. Die Kehrseite: Kommen Journalisten den Politikern zu nahe, übersehen sie leichter deren Fehler.
Ein bewährtes Instrument für Politiker sind die Hintergrundgespräche, über die nicht berichtet wird. Sie können da problematische Entscheidungen erläutern – und der Berichterstattung in ihrem Sinn eine Richtung geben. Diese Runden sind aber auch gut für den Aufbau einer persönlichen Vertrauensbasis. Die gibt Rückhalt, wenn es mal nicht so gut läuft.
30 solche Hintergrundgespräche hat allein Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann in der vergangenen Legislaturperiode geführt. Als er vor Weihnachten bei den Schulöffnungen einen Zick-Zack-Kurs fuhr, hat ihm das die Kritik der Medienleute dennoch nicht erspart.
Lothar Späth war in den 1980er Jahren der erste Ministerpräsident, der die Nähe zu den Journalisten suchte. Zu fortgeschrittenen Stunden wurde da in der Bibliothek der Staatskanzlei sogar noch gesungen. Späth musste 1991 nach Berichten über von Firmen gesponserte Privat- und Dienstreisen zurücktreten. Für einen Untersuchungsausschuss listete die Regierung hinterher sage und schreibe 550 bezahlte Reisen auf. Das System funktionierte teilweise unter den Augen der Öffentlichkeit. Nur ein Beispiel: Nach einer offiziellen Regierungsreise nach Ungarn flog die Delegation mit einer Linienmaschine zurück. Nur der Ministerpräsident nutzte „aus Zeitgründen“ einen Charterflieger, den eine Firma bezahlt hatte. Groß hinterfragt wurde das damals zu lange nicht. Aber bei den besonders krassen Traumreisen in der Ägäis auf Kosten eines Stuttgarter Elektrokonzerns war kein Journalist dabei.
Viele Abende investierte auch Späths Nachfolger Erwin Teufel in das Vertrauensverhältnis zu den landespolitischen Berichterstattern. Beraten durch seinen damaligen Pressesprecher diskutierte der eher misstrauisch veranlagte Teufel da in der kleinen „Paule-Runde“, benannt nach dem Lokal in einem Stuttgarter Stadtteil, über Gott und die Welt. Teufel hat das zweifellos den Start als Ministerpräsident erleichtert. Aber das Vertrauenskapital war dann irgendwann aufgebraucht.
In den 1990er Jahren waren die Politiker noch auf die Journalisten angewiesen. Selbst nach harscher Kritik konnten sie sich keine Dauerfehde leisten. Das hat sich grundlegend geändert. Die AfD profiliert sich geradezu gegen die etablierten Tageszeitungen und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Spitzenleute setzen auf die direkte Kommunikation mit ihren Anhängern über Facebook oder Youtube. Es ist eine neue Art von Gegenöffentlichkeit im rechten Spektrum.
Aber auch andere Parteien nutzen die Möglichkeiten, die das Internet mit seinen digitalen Kanälen bietet. Sie verlassen sich nicht mehr auf die herkömmlichen Medien, sondern verbreiten ihre politischen Botschaften mit selbst produzierten Film- und Wortbeiträgen. So wollen sie die jungen Leute erreichen, die keine Tageszeitung mehr lesen und um das traditionelle Fernsehen einen Bogen machen. Ob das zum Erfolg der Parteien führt, ist offen. In jedem Fall ist es kontraproduktiv, weil es die wirtschaftliche Basis der Traditionsmedien weiter schwächt.
Partner oder Gegner?
Seit Jahren sinken die Auflagen der meisten Regionalzeitungen, weil jüngere Leute sich das Geld für solche Abos sparen wollen. Ersatzweise müssen sie sich die Käufer ihrer Nachrichten über das Internet suchen. Moderne Technik macht es möglich, in Echtzeit den Erfolg einer Meldung zu verfolgen. Die Redakteurinnen und Redakteure wissen ziemlich genau, welche Themen Abnehmer finden. Schwierige Dinge wie ein Landeshaushalt gehören eher nicht dazu.
Der politischen Kommunikation droht eine Krise. Wenn sich immer weniger Menschen die Zeit für eine Auseinandersetzung mit komplexen Sachfragen nehmen, fehlen der Politik die Abnehmer ihrer Botschaften. Das Internet ist schnelllebiger, aber auch oberflächlicher. Einen Ausweg aus diesem Teufelskreis hat bislang noch niemand gefunden.
Ende einer Ära
- Seit fast 37 Jahren ist Peter Reinhardt landespolitischer Korrespondent dieser Redaktion in Stuttgart. In dieser Zeit haben in Baden-Württemberg fünf Ministerpräsidenten regiert, die der 65-Jährige journalistisch begleitet hat. An diesem Mittwoch geht „pre“, so das Kürzel des Kollegen, in den Ruhestand. Diese Redaktion wünscht ihm alles erdenklich Gute.
- Im August 1981 war Reinhardt, der aus Weikersheim ( Main-Tauber-Kreis) stammt, als Volontär zum „Mannheimer Morgen“ gekommen. Vor dem Wechsel nach Stuttgart war er zwei Jahre Redakteur in der Politikredaktion.
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