Stuttgart. So oft wie nie zuvor haben sich Menschen in Baden-Württemberg im vergangenen Jahr wegen psychischer Erkrankungen bei der Arbeit krankgemeldet. Damit steigt die Zahl der Fehltage im Zehnjahresvergleich um 50 Prozent an. Das teilt die Krankenkasse DAK Gesundheit in ihrem „Psych-Report 2024“ am Dienstag mit. „Der neue Höchststand bei den psychischen Erkrankungen ist besorgniserregend. Hinzu kommt, dass zunehmend jüngere Erwachsene wegen dieser Erkrankungen bei der Arbeit ausfallen“, sagt Siegfried Euerle, Landeschef der DAK Gesundheit in Baden-Württemberg.
Die seelische Gesundheit müsse am Arbeitsplatz eine größere Rolle spielen. Andernfalls würden Beschäftigte früh ausbrennen und unter Umständen früh aus dem Beruf aussteigen. Junge Männer fehlen inzwischen psychisch bedingt am häufigsten. In Baden-Württemberg hatten im Vergleich zu 2022 die erwerbstätigen Männer zwischen 20 und 24 Jahren den stärksten Anstieg bei den psychisch bedingten Fehltagen: plus 46 Prozent. Auch bei den weiblichen Beschäftigten gingen in dieser Altersgruppe die Fehlzeiten mit 37 Prozent am stärksten hoch. Die 15- bis 19-jährigen Männer hatten mit einem Plus von 34 Prozent ebenfalls deutlich mehr Fehltage als gleichaltrige Frauen im Vorjahr.
Die „einsamste Generation“
Die Zahl der Krankheitstage in dieser Altersgruppe entspricht auch anderen Studien, wonach die derzeitige Generation zwischen 15 und 25 Jahren als psychisch am schwersten belastet gilt. Ursachen dafür sehen Wissenschaftler vor allem in der Coronapandemie, aber auch der intensiven Nutzung von sozialen Netzwerken sowie dem Wegbrechen von klassischen sozialen Strukturen.
Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Glocalities im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung sorgen sich rund 41 Prozent der 18- bis 30-Jährigen dauerhaft um ihre psychische Gesundheit – zudem gilt diese Altersgruppe als „die einsamste Generation“. Einsamkeit begünstigt die Entstehung von psychischen Krankheiten wie Depressionen, Angsterkrankungen und Essstörungen.
Ein Rekordhoch gab es laut der DAK Gesundheit auch eben bei Depressionen, gefolgt von Belastungs- und Anpassungsstörungen. Letztere hatten insgesamt den stärksten Anstieg zu verzeichnen mit einem plus von zwölf Prozent. Dazu kommt: Eine Krankschreibung wegen psychischer Erkrankungen dauert in der Regel sehr viel länger – im Durchschnitt 33,1 Tage. Auffällig ist an den Zahlen, dass vor allem Menschen, die im Gesundheitswesen tätig sind, am stärksten betroffen sind. In Baden-Württemberg kamen in dieser Branche im Jahr 2023 bezogen auf rund 100 DAK-Versicherte insgesamt 399 Fehltage. Das sind laut der Krankenkasse im Durchschnitt 130 Tage mehr als in allen anderen Branchen. Für Euerle ein klarer Hinweis: „Es ist offensichtlich, dass das Gesundheitswesen im Südwesten bis an die Grenzen belastet ist.“
Aber, positiv immerhin ist, dass die Baden-Württemberger unter dem Bundesniveau liegen – und zwar um 17 Prozent. Die Beschäftigten im „Ländle“ seien im bundesweiten Vergleich durchschnittlich trotzdem nicht so häufig und lange krank. Insgesamt hat das Berliner IGES Institut für die Krankenkasse die Daten von 271 000 DAK-Versicherten in Baden-Württemberg ausgewertet.
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