Gesundheit

Was tun gegen den Pflegekräftemangel?

Überall fehlt Personal. Wie es auch anders gehen kann, verrät Andreas Hoffmann von der Caritas Konstanz

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Christoph Link
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Bis 2030 werden bundesweit voraussichtlich 180 000 Pflegekräfte fehlen. © BILD:

Konstanz. Leise summend rollt Pflegeroboter Lio des Nachts durch die Flure des St. Marienhauses – ein Altenheim der Caritas mit 101 Bewohnern im Zentrum von Konstanz – und desinfiziert alle Türklinken. Lio hat Augen und ein sympathisches Design, aber er ist eine Maschine und zur Pflege noch lange nicht einsetzbar. „Wir hatten Lio bei uns als Modellversuch. Es wird noch zehn Jahre der Entwicklung brauchen, bis Pflegeroboter wirklich eine Hilfe sein können“, glaubt Andreas Hoffmann, Geschäftsführer des Caritasverbandes Konstanz. Mit seinem Reinigungsjob entlastet Lio aber schon ein wenig das Personal, das das Klinkenputzen sonst selbst machen müsste.

Werden Pflegeroboter eines Tages die Zukunft sein? Menschliche Wärme und Zuneigung können sie nicht ausstrahlen – aber Tatsache ist, dass Deutschland auf einen Pflegenotstand zusteuert. Einen Schock löste Ende 2021 der Barmer-Pflegereport aus, wonach deutschlandweit bis 2030 nicht nur fünf, sondern sechs Millionen Menschen pflegebedürftig sein werden und 180 000 Pflegekräfte zusätzlich für ihre Betreuung benötigt werden.

Höhere Gehälter

Aber schon heute ist es schwierig für Kliniken und Heime, genug Personal zu finden. Die Caritas in Konstanz – die insgesamt 850 Mitarbeiter beschäftigt, davon jeden zweiten in der Altenpflege – steht wegen der Nähe zur Schweiz vor einer besonderen Herausforderung. Wegen des hohen Lohnniveaus bei den Eidgenossen lockt es auch Pflegepersonal über die Grenze. „Wir müssen uns immer wieder etwas Besonderes einfallen lassen“, sagt Hoffmann. Mit einem Bündel von Maßnahmen versucht die Caritas ihr Personal zu halten und neues zu gewinnen.

„Ich sehe uns aber nicht als Ikone oder leuchtendes Beispiel“, sagt Hoffmann. Immerhin hat das Sozialministerium in Stuttgart seinen Verband einmal als „Best-Practice-Beispiel“ genannt, und die Deutsche Gesellschaft für Verbraucherstudien hat dem St. Marienhaus den Titel „Top-Arbeitgeber 2022“ verliehen.

Was macht man anders? Zunächst einmal geht es ums liebe Geld, man zahle „einen der höchsten Tarife in der Altenpflege“ und liege im Monat 150 bis 200 Euro über dem Durchschnitt des in Deutschland üblichen Gehalts, so Hoffmann. Gleich danach kommen die Arbeitsbedingungen: „Überstunden fallen an, auch weil Leute einspringen müssen zum Beispiel bei Krankmeldungen von anderen. Aber wir bemühen uns, angefallene Überstunden binnen eines Monats durch Freizeit auszugleichen.“ Eine Überlastung soll erst gar nicht entstehen, die 39-Stunden-Woche soll so gut wie möglich eingehalten werden.

Der Einsatz von Liftern und Tragehilfen in der Altenpflege ist längst Standard, aber die Caritas hat zusätzlich zwei Kinästhetik-Lehrer beschäftigt, die im laufenden Betrieb die Mitarbeitenden darüber aufklären, wie sie Bewegungen der Bewohner sanft unterstützen und dadurch selbst Rücken- und Gelenkprobleme vermeiden.

Da steige ein Kinästhetik-Lehrer auch mal morgens ins Auto und mache einen Tag die Einsätze in der ambulanten Pflege mit. „Bietet man so was nur in Kursen an, schläft die Sache wieder ein“, glaubt Hoffmann. Die Kinästhetik habe einen positiven Effekt auch für Bewohner, denn die mobilisierten sich mehr als zuvor. Gerade um junge Leute der „digitalen Generation“ zu gewinnen, hat Hoffmann alle Arbeitsplätze mit Tablets ausgestattet, mit denen die Dokumentation erledigt wird und mit denen künftig Videoschaltungen zu den rund 20 verschiedenen Hausärzten der Bewohner geplant sind. Wie bei einer Videosprechstunde könnten die Ärzte dann digital etwa bei einem Verbandswechsel „dabei sein“ und Rat geben.

Flexible Arbeitszeiten

Es gibt eine Reihe kleinerer Maßnahmen, die den Arbeitgeber attraktiv machen: Zum Selbstkostenpreis (3,60 Euro) können Mitarbeitende die Mahlzeiten aus der bio-zertifizierten Betriebsküche für ihre Familien mit heimnehmen, auch können sie private Wäsche im Betrieb waschen. Das entlaste das Personal privat, sagt Hoffmann: „Wir achten auf die familiäre Situation der Mitarbeiter, wenn jemand wegen seiner Schulkinder erst morgens um 7.45 Uhr anfangen kann, machen wir das möglich.“ Auch bei der Mobilität hilft die Caritas, so ist das Leasing von Jobrädern gut nachgefragt, am Wochenende kann man ein E-Dienstauto mieten.

Starke Zugkraft dürfte haben, dass die Caritas Wohnraum für ihr Personal bietet: So hat sie 30 eigene Dienstwohnungen und wird 30 weitere bauen, auch hat sie auf dem freien Markt 70 Wohnungen angemietet und „untervermietet“ sie an Mitarbeiter. Die Miete – 11,20 Euro pro Quadratmeter in einem jüngsten Fall – wird dabei nicht subventioniert. Aber oft ist nicht die Miete das Problem, sondern die Schwierigkeit, in Konstanz überhaupt etwas zu finden. Hoffmann sagt, dass er derzeit vier Leute im ambulanten Sektor und sechs im stationären einstellen könne. Ein Personalnotstand sei das nicht. Was den stärksten Effekt bei Mitarbeitern hat, weiß er nicht: „Manchmal wirken die Maßnahmen, manchmal nicht.“ Vielleicht ist die Mischung richtig.

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