Interview

Bundestagspräsidentin Bas: „Wählen mit 16 tut unserer Demokratie gut“

Die Demokratie wird angegriffen, von innen und von außen. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) über den Kampf gegen Rechtsextremismus - und die Bedrohung aus Russland

Von 
Jochen Gaugele
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Bundestagspräsidentin Bärbel Bas eröffnet eine Plenarsitzung im Deutschen Bundestag. © Bernd von Jutrczenka/dpa

Frau Bas, fürchten Sie um unsere Demokratie?

Bärbel Bas: Wir sind herausgefordert, wie wir es uns vor wenigen Jahren noch nicht vorstellen konnten. Ich bin aber zuversichtlicher als noch zum Jahreswechsel. Die gesellschaftliche Mitte, die sich lange zurückgezogen hat, steht auf für unsere Demokratie. Am 2. März findet auch in meinem Duisburger Wahlkreis eine große Demonstration statt, an der ich teilnehmen werde. Die Enthüllungen über das Treffen in Potsdam, wo offenbar über die massenhafte Vertreibung von Menschen mit Einwanderungsgeschichte diskutiert wurde, haben viele Menschen wachgerüttelt. Die Demokratie ist nicht verloren.

Woher kommt die größere Bedrohung – von innen oder von außen?

Bas: Wir müssen uns gegen beides wappnen. Es gibt Verfassungsfeinde im Land, die unsere parlamentarische Demokratie angreifen wollen. Auf der anderen Seite erleben wir Spionage, Manipulation über Social Media und Cyberangriffe aus dem Ausland, vor allem aus Russland. Seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine hat das zugenommen. Man darf nicht die Augen davor verschließen, dass die Gefahren größer geworden sind.

Russlands Überfall auf die Ukraine ist genau zwei Jahre her. Müssen wir uns an den Gedanken gewöhnen, dass es uns auch so ergehen könnte?

Bas: Wir hoffen alle, dass es nie so weit kommt. Und die Nato ist eine starke Verteidigungsgemeinschaft. Klar ist aber: Wir müssen die Bundeswehr wieder besser aufstellen, das bedeutet vor allem, sie fit zu machen für die Landes- und Bündnisverteidigung. Unsere Soldatinnen und Soldaten sind auch in Litauen stationiert, an der Ostflanke der Nato. Vergangenes Jahr war ich in Rukla. Da spürt man, wie nah das Thema ist.

Bärbel Bas

  • Bärbel Bas wurde am 3. Mai 1968 in Walsum (das heute zu Duisburg gehört) geboren.
  • Sie absolvierte unter anderem eine Ausbildung zur Sozialversicherungsfachangestellten und eine eine berufsbegleitende Fortbildung zur Krankenkassenbetriebswirtin.
  • Die SPD-Politikerin ist seit Oktober 2021 Präsidentin des Deutschen Bundestages.

„Kriegstüchtig“ werden – so nennt es Verteidigungsminister Boris Pistorius.

Bas: Den Begriff mache ich mir nicht zu eigen. Richtig ist, dass wir die Fähigkeiten haben müssen, unser Land zu verteidigen. Dafür müssen unsere Soldatinnen und Soldaten gut ausgebildet und ausgestattet werden. Es geht aber auch darum, dass wir – die Politik und die Gesellschaft – hinter unserer Bundeswehr stehen und sie wertschätzen.

Gehören zur Verteidigungsfähigkeit auch europäische – oder deutsche – Atomwaffen? Die Vereinigten Staaten könnten als Schutzmacht ausfallen, wenn Donald Trump wieder Präsident wird.

Bas: An dieser Debatte beteilige ich mich nicht. Wir müssen jetzt wirklich schauen, wie wir die Ukraine unterstützen, damit Russland diesen Krieg nicht gewinnt. Mord und Terror dürfen sich nicht durchsetzen. Es geht um Frieden, Freiheit und Demokratie in Europa.

Tut Deutschland dafür genug?

Bas: Wir tun sehr viel für die Ukraine – militärisch, finanziell und humanitär. Bundeskanzler Olaf Scholz hat jetzt ein neues Sicherheitsabkommen geschlossen. Im Juni gibt es eine Wiederaufbaukonferenz der Bundesregierung in Berlin. Mit dem ukrainischen Parlamentspräsidenten Ruslan Stefantschuk stehe ich in ständigem Austausch. Die Zusammenarbeit mit dem ukrainischen Parlament ist auf allen Ebenen sehr eng – politisch, aber auch zwischen den Ausschüssen und den Verwaltungen beider Häuser. Wichtig ist, das Material schnell zu liefern, das die Ukraine jetzt braucht.

Welches meinen Sie?

Bas: Von einer Debatte über einzelne Waffensysteme, die angeblich alles ändern, halte ich nichts. Es ist Sache der Regierung, hierüber besonnen und in enger Absprache mit den Partnern in der Nato zu entscheiden.

Kanzler Olaf Scholz will den Wehretat deutlich aufstocken.

Bas: Die Aufstellung des Bundeshaushalts 2025 wird eine besondere Herausforderung. Wir haben auch innenpolitisch genug Baustellen: soziale Gerechtigkeit, Bildungsgerechtigkeit, Infrastruktur oder die ökologische Transformation unserer Industrie. Das Geld wird knapper, wir können nicht mehr alle Wünsche erfüllen. Aber wenn wir das eine gegen das andere ausspielen, droht unsere Gesellschaft auseinanderzudriften und die Menschen verlieren auch die Solidarität zur Ukraine.

Ergo?

Bas: Die Schuldenbremse ist richtig und wichtig. Aber wir müssen die Debatte führen, ob sie angepasst werden muss, um mehr Spielräume für wichtige Zukunftsinvestitionen zu bekommen.

Wird es auch Zeit, zur Wehrpflicht zurückzukehren?

Bas: Wir haben die Wehrpflicht ja nicht abgeschafft, sondern nur ausgesetzt. Im schlimmsten Fall können wir darauf zurückgreifen. Die alte Wehrpflicht möchte aber kaum jemand zurück. Der Verteidigungsminister lässt jetzt verschiedene Modelle prüfen. Nach dem Angriff auf die Ukraine hat sich auf jeden Fall das Bewusstsein bei vielen Menschen verändert. Die Wertschätzung für die Bundeswehr ist aus meiner Sicht gewachsen. Diese Anerkennung haben unsere Soldatinnen und Soldaten auch verdient. Kürzlich bin ich von Schülern gefragt worden, ob ich bereit wäre, selbst zu kämpfen.

Was haben Sie geantwortet?

Bas: Ich kann das nicht ausschließen. Aufgrund unserer Geschichte war ich grundsätzlich pazifistisch eingestellt, aber die Zeitenwende findet auch in meinem Kopf statt. Spätestens seit ich im Jahr 2022 in Butscha und Irpin die schrecklichen Konsequenzen des Krieges mit eigenen Augen gesehen habe. Fest steht in jedem Fall für mich: Die Ukrainerinnen und Ukrainer, die ihr Land so tapfer verteidigen, verdienen unseren höchsten Respekt.

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Ist die Wehrpflicht ein Thema für die Bürgerräte?

Bas: Ja, es ist ein mögliches Thema für den nächsten Bürgerrat. Die Frage dürfte allerdings nicht allein auf die Wehrpflicht – ja oder nein – verengt werden, sondern müsste sich auf gesellschaftliches Engagement allgemein beziehen: Was müsste der Staat tun, damit ich mich ehrenamtlich engagiere? Der Bürgerrat könnte dabei auch die Meinung junger Menschen einbeziehen.

Im Herbst wählen Thüringen, Sachsen und Brandenburg – und die AfD liegt in den Umfragen vorn. Könnte Deutschland einen rechtsextremen Ministerpräsidenten verkraften?

Bas: Meine Hoffnung ist, dass sich die Demonstrationen auch in Wahlergebnissen niederschlagen. Mich hat erschreckt, dass eine ehemalige AfD-Abgeordnete, die wegen Terrorverdachts in Untersuchungshaft sitzt, bei der Nachwahl in Berlin noch mehr Stimmen bekommen hat. Ein rechtsextremer Ministerpräsident würde dem Ansehen unseres Landes massiv schaden. Dass ausgerechnet in Deutschland wieder verfassungsfeindliche Kräfte im Aufwind sind, macht im Ausland vielen Angst. Das gefährdet auch unseren Wirtschaftsstandort, weil Fachkräfte abgeschreckt werden.

Was können die Schulen leisten, um die Demokratie zu stärken?

Bas: Medienkompetenz ist ganz entscheidend. Die Schülerinnen und Schüler müssen lernen, sich nicht nur auf Tiktok oder Youtube zu informieren – und Informationen von Falschnachrichten zu unterscheiden. An unseren Schulen sollte immer auch der Wert der Demokratie vermittelt werden. Es geht aber auch um Erwachsenenbildung. Politische Bildung ist sehr wichtig.

Hilft es, das Wahlalter zu senken?

Bas: Bei der Europawahl im Juni dürfen zum ersten Mal auch 16-Jährige wählen. Das tut unserer Demokratie gut. Wir sollten mit der Bundestagswahl und den Landtagswahlen nachziehen. In einigen Bundesländern kann man schon mit 16 wählen, etwa in Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein oder in Brandenburg. Manche haben Bauchschmerzen, wenn Jugendliche vor der Volljährigkeit das Wahlrecht haben. Ich werde aber nicht aufhören, für eine verfassungsändernde Mehrheit zur Absenkung des Wahlalters auf 16 zu werben. Für mich ist das Teil der Demokratieerziehung. Studien zeigen: Je früher Menschen wählen gehen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie auch zukünftig regelmäßig an Wahlen teilnehmen.

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