Politik

Deutschlands oberster Zivilschützer über nationale Reserven, Schutzräume und private Notvorräte

Ob Klimakrise, Ukraine-Krieg oder Cyberangriff - Ralph Tiesler, Deutschlands oberster Zivilschützer, plädiert angesichts neuer Bedrohungsszenarien für pragmatische Lösungen bei der Bereitstellung öffentlicher Schutzräume.

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Christian Unger
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Ralph Tiesler schlägt vor, im Falle eines Krieges auch Tiefgaragen, U-Bahn-Tunnel oder Kellerräume als Schutzräume zu nutzen. © Bild. Carsten Koall/dpa

Berlin. Seit dem 15. Juni ist Ralph Tiesler als Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) Deutschlands oberster Zivilschützer. Zum ersten Jahrestag der Flutkatastrophe muss sich der 62-Jährige nicht nur um extreme Wetterereignisse, sondern auch um die Auswirkungen des Angriffskriegs in der Ukraine sorgen.

Herr Tiesler, am 14. Juli jährt sich die Flutkatastrophe zum ersten Mal. Wie haben Sie die Flut erlebt?

Ralph Tiesler: Da ich nur ein paar Kilometer vom Ahrtal entfernt wohne, war diese Katastrophe ein Schock für mich. Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, was ich auf den Bildern gesehen habe. Wir haben den Menschen im Ahrtal in diesen Tagen persönlich geholfen. Auch das Bundesamt war betroffen, 55 Mitarbeiter wohnen in dieser Region und waren plötzlich selbst Teil der Katastrophe. Einige Mitarbeiter engagieren sich zudem neben ihrem Beruf ehrenamtlich im Katastrophenschutz. Viele haben mit angepackt, wo sie nur konnten. Bis heute macht es mich traurig, wenn ich an die Ahr fahre.

Muss sich Deutschland langfristig auch auf Klimaflüchtlinge im eigenen Land einstellen?

Tiesler: Ob Menschen tatsächlich aus einzelnen Regionen Deutschlands in andere Landesteile fliehen müssen, lässt sich heute nicht sagen. Fest steht, dass wir in immer unsicheren Zeiten leben. Krisen werden immer häufiger. Corona fesselt uns nun schon mehrere Jahre, der Klimawandel wird in Zukunft noch weitere Herausforderungen an uns stellen und in der Ukraine herrscht Krieg. Ein Thema, von dem ich vor ein paar Monaten noch gedacht habe, dass uns das nie treffen würde. Teilweise lösen sich die Krisen ab, teilweise treten sie gleichzeitig auf. Der Krisenmodus muss jetzt zum allgemeinen Bewusstsein dazugehören, wir müssen lernen, dass die Krise zum Alltag gehört.

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zg
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Gehen Sie davon aus, dass bestimmte Regionen in Deutschland unbewohnbar werden?

Tiesler: Welche Auswirkungen des Klimawandels auch uns in Zukunft treffen werden, kann noch niemand mit Sicherheit sagen. An der Ahr ist die Wiederbesiedlung in Ufernähe schwierig und ein Sicherheitsrisiko. Manche Menschen wollen nicht wieder in die Dörfer an der Ahr zurückkehren, weil sie Angst haben. Andere sagen, dass sie ihre Heimat nicht aufgeben wollen. Als Bevölkerungsschützer sage ich, dass manche Flächen aufgrund des Klimawandels und der akuten Bedrohung durch Unwetterkatastrophen und Flutkatastrophen nicht wiederbesiedelt werden sollten. Auch an den Küsten stellt sich diese Frage. Noch haben wir Zeit, Schutzkonzepte gegen die Auswirkungen der Klimakrise zu entwickeln und in der Raumplanung zu berücksichtigen. Und es gibt keinen Ort oder Landstrich in Deutschland, bei dem wir nicht genau hingucken müssen.

Die Abstimmung und Koordination der unterschiedlichen Akteure hat während der Flut nicht optimal funktioniert.

Tiesler: Um künftig eine bessere Kooperation und Koordination sicherzustellen, haben Bund und Länder das Gemeinsame Kompetenzzentrum für Bevölkerungsschutz beim BBK eingerichtet. Hier sitzen alle Akteure an einem Tisch, hier können wir im Ernstfall schnell Informationen austauschen und uns zwischen allen Ebenen abstimmen.

Wie gut wäre Deutschland auf einen Krieg vorbereitet?

Tiesler: Wir haben alle nicht mehr an einen Krieg in Europa geglaubt und deshalb viel von der Schutzinfrastruktur wie etwa Bunker und das Sirenennetz zurückgefahren. Wir sind dabei, viele dieser Schutzvorkehrungen zu reaktivieren oder neu zu denken. Ich glaube nicht, dass wir ein Ort kriegerischer Auseinandersetzungen werden. Wir brauchen aber nationale Reserven wie zum Beispiel im Gesundheitsschutz und mehr mobile Betreuungseinrichtungen. Was uns wirklich konkret drohen kann, sind Angriffe wie Cyberattacken.

Schutzräume wurden lange zurückgebaut, das ist mittlerweile gestoppt worden. Wie viel muss Deutschland in diese Kriegsinfrastruktur investieren?

Tiesler: Zurzeit wissen wir nicht, wie wir bei Schutzräumen aufgestellt sind. Wir ermitteln gerade, wie viele öffentliche Schutzräume noch vorhanden sind und in welchem Zustand diese sind und ob sie, obwohl sie Jahrzehnte nicht gewartet wurden, noch Schutzwirkung entfalten können. Schutzräume für alle Menschen in Deutschland gibt es aber nicht. Deshalb muss man auch überlegen, ob beispielsweise Tiefgaragen, U-Bahnen oder Kellerräume genutzt werden könnten. Es ist langwierig und teuer, völlig neue Schutzräume zu bauen. Daher prüfen wir aktuell Lösungen und Alternativen.

Was raten Sie den Bürgerinnen und Bürgern bei einem Notvorrat?

Tiesler: Ein Notvorrat für mehrere Tage ist ein guter Tipp. Am besten ist, wenn man sich nicht nur um sich selbst sorgt, sondern auch beispielsweise Nachbarn helfen kann. Die ersten, die am Unfallort sind, sind nicht die Rettungskräfte, sondern zum Beispiel die Nachbarn. Wir brauchen diesen Zusammenhalt in der Gesellschaft. Die Tausenden Helferinnen und Helfer an der Ahr haben gezeigt, wie das funktioniert.

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