Ukraine-Krieg

Ein deutscher Legionär kämpft für Kiew

Seit März hat Mica sechsmal Geburtstag gefeiert, sagt er. Mica ist Deutscher und kämpft freiwillig aufseiten der Ukraine gegen den russischen Aggressor Putin. Was treibt den 32-Jährigen an?

Von 
Jan Jessen
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Mica hat sich ein Tattoo stechen lassen, das seine Verbundenheit mit der Ukraine zum Ausdruck bringt. © Reto Klar/Funke Foto Service

Charkiw.

Seit März hat Mica sechsmal Geburtstag gefeiert, sagt er. Einmal war es sein richtiger Geburtstag, da ist er 32 geworden. Die anderen Male hat er Situationen überstanden, in denen sein Leben akut gefährdet war, in denen russische Granaten nahe seiner Stellung niederprasselten und er zusammengekauert in einem Erdloch auf das Ende des Beschusses wartete.

„Du kannst dann nur hoffen, dass es dich nicht trifft. Mehr kannst du nicht machen. Wer losrennt, der stirbt“, sagt er mit dem Anflug eines Lächelns, zieht an seiner Zigarette, zuckt mit der Schulter und ruckelt seine Waffe zurecht. Mica ist Deutscher und kämpft freiwillig aufseiten der Ukraine. Er hat sich in die Internationale Legion eingeschrieben.

Charkiw, die zweitgrößte Stadt der Ukraine, im Nordosten des Landes, nicht weit von der russischen Grenze entfernt. Der Krieg schlägt hier nicht mehr so erbarmungslos zu wie im Frühjahr, als russische Raketen und Granaten Hunderte Menschen töteten und zahlreiche Gebäude zerstörten. Jedoch lässt der Krieg Charkiw nicht in Ruhe. In der Nacht nach unserer Ankunft werden wir gegen vier Uhr morgens von zwei lauten Explosionen geweckt, russische Raketen sind einen knappen Kilometer entfernt von unserem Hotel eingeschlagen. Charkiw ist der Ort, an dem wir Mica treffen.

Kurz nach dem Beginn des russischen Überfalls am 24. Februar ruft der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi Freiwillige aus dem Ausland dazu auf, in die Ukraine zu kommen und in einer „Internationalen Legion“ an der Seite der ukrainischen Streitkräfte gegen die Invasoren zu kämpfen.

Ein Aufruf, der nach Ansicht des Militärexperten Gustav Gressel von der Berliner Denkfabrik European Council On Foreign Relations nachvollziehbar ist. „Die Ukraine hatte zum Beginn des Krieges viel mehr Raum als Kräfte. Die Frage war, wo sie Leute herbekommen.“

Anfang März sagt der ukrainische Außenminister, dass bereits mehr als tausend Menschen der Aufforderung gefolgt seien, sogar in Japan hätten sich Freiwillige bei der ukrainischen Botschaft gemeldet. Die Bundesregierung teilt mit, sie werde deutsche Staatsbürger nicht daran hindern, an der Seite einer der beiden Kriegsparteien zu kämpfen, eine strafrechtliche Verfolgung sei nicht beabsichtigt. Das deckt sich mit dem Kriegsvölkerrecht. Es erlaubt Staatsangehörigen aus anderen Ländern, sich an Kriegen zu beteiligen, so lange sie nicht als Söldner im Einsatz sind. Zugleich rät die Bundesregierung davon ab, ins Kriegsgebiet zu reisen, um zu kämpfen.

Wie viele Ausländer in diesem Sommer in der Internationalen Legion kämpfen, ist unklar. Die Legion gibt keine Zahlen heraus, auch nicht zu denjenigen, die im Kampf gestorben sind. Die Freiwilligen sollen aus 55 Nationen stammen, etwa ein Drittel aus englischsprachigen Ländern, allen vorweg Kanada, von woher viele Menschen mit ukrainischen Wurzeln angereist sind. Ein großer Teil der Legion kommt aus Mittel- und Osteuropa.

Mica trägt eine Uniform in Flecktarn, auf den Schultern sind ukrainische Hoheitszeichen angebracht, auf der Splitterschutzweste prangt die ukrainische Fahne. Bewaffnet ist Mica mit einer M4, einem amerikanischen Sturmgewehr. Er ist groß, seine Arme sind tätowiert, auf dem Kopf trägt er eine Baseballkappe, den Schirm lässig nach hinten gedreht. „Ich bin in die Ukraine gekommen, um Europa und die Bevölkerung in der Ukraine zu schützen, gerade diejenigen, die sich nicht selbst verteidigen können, wie Kinder, ältere Frauen und ältere Männer“, sagt er.

Mica ist sein Kampfname, Klarnamen veröffentlicht die Legion nicht. Der 32-Jährige stammt aus Bad Segeberg in Norddeutschland. Er war vier Jahre Panzergrenadier bei der Bundeswehr und hat einen Einsatz in Afghanistan absolviert, erzählt er. In Masar-I-Scharif sei er auf Patrouillenfahrten gewesen, habe Feuergefechte mit den Taliban erlebt. Nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst im Jahr 2013 habe er in der Logistikbranche gearbeitet. „Ich habe den Dienst wegen meiner Familie quittiert. Ich habe eine Tochter.“

Als der Überfall Russlands auf die Ukraine beginnt, verfolgt Mica intensiv die Berichterstattung. „Ich habe die Bilder im Fernsehen gesehen, was die Russen mit der Zivilbevölkerung anstellen und was sie für Kriegsverbrechen begehen.“ In ihm reift der Entschluss, etwas zu tun. „Ich wollte helfen. Ich kann kämpfen und bin körperlich noch gut dabei. Also habe ich mich bei der ukrainischen Botschaft registrieren lassen.“ Seine Tochter ist jetzt 14. „Sie ist mit dem einverstanden, was ich mache.“ Anfang März reist Mica los. Wie gefährlich der Einsatz werden kann, zeigt sich wenige Tage nach seiner Ankunft. Am 13. März schlagen russische Raketen in einem der wichtigsten Ausbildungscamps für ausländische Freiwillige in Jaworiw nahe der polnischen Grenze ein. Dutzende Menschen sterben. Mica erlebt das Inferno hautnah mit. Details darf er nicht erzählen.

Der Krieg, mit dem die Freiwilligen konfrontiert werden, ist einer, den keiner von ihnen so vorher erlebt hat. „Wir sind in der Unterzahl, die Feuer- und Artillerieüberlegenheit liegt bei den Russen“, sagt Mica nüchtern. „Die psychologische Belastung in dieser Kriegssituation ist horrend. Das haben enorm viele Leute unterschätzt“, sagt Militärexperte Gressel. „Es gibt sehr viele, die nach den ersten Gefechten die Waffen abgegeben haben und nach Hause gegangen sind.“ Mica bleibt.

Die Internationale Legion ist in die reguläre ukrainische Armee eingegliedert, die Freiwilligen erhalten den gleichen Sold wie ukrainische Soldaten, umgerechnet etwa 3000 Euro im Monat. Mica wird an der Front eingesetzt, steht immer wieder unter massivem Beschuss. „Der erste Artillerieschlag war ein Schock.“ Jetzt, sagt er, zittere er nicht mehr, wenn er einen Feuerhagel überstanden hat. „Ich stecke nur noch meine Stöpsel ins Ohr und warte, bis es vorbei ist.“ Auch er erlebt den Verlust von Kameraden. „Ich habe zwei sehr gute Freunde verloren.“

Wie viele Deutsche im Ukraine-Krieg kämpfen, ist nicht bekannt. Das Innenministerium registriert nur Ausreisen von Menschen, die als Extremisten bekannt sind. „Es besteht zumindest die abstrakte Gefahr, dass zurückkehrende Extremisten über Waffen verfügen und mit Kampferfahrung und Waffen zurückkehren“, so eine Sprecherin.

Bislang seien 31 Ausreisen von „Personen mit Extremismusbezug“ bekannt. Mica betont: „Ich bin absolut kein Nazi. Ich kämpfe zusammen mit farbigen Kameraden, mit Muslimen und Juden. Wenn wir bluten, bluten wir alle das gleiche Blut.“

Zurück nach Deutschland will er nicht mehr. „Ich bleibe in der Ukraine, wenn wir die Russen geschlagen haben. Hier bin ich freier als in Deutschland.“ In wenigen Wochen will er heiraten. Er hat eine Ukrainerin kennen und lieben gelernt.

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