Verteidigung

Hält Scholz an Lambrecht fest?

Die Ministerin löst mit ihrem Silvester-Video neue Irritationen aus – auch in der Koalition

Von 
Julia Emmrich u. Thorsten Knuf
Lesedauer: 
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht – hier bei einem Besuch in Lest (Slowakei) – steht in der Kritik. © Kay Nietfeld/dpa

Berlin. Das politische Berlin befindet sich noch in der Winterpause, auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) macht sich rar. Das kann ein vorteilhafter Zustand sein. Wenn irgendwo neue Probleme auftauchen, kann der Chef entscheiden, ob er sich selbst darum kümmert oder die Dinge erst einmal laufen lässt. Notfalls schickt man eben Mitarbeiter vor mit dem Auftrag, erst einmal nichts zu sagen.

Eines der Probleme, die der Bundeskanzler gerade hat, ist Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. Die 57-Jährige – sie ist in Mannheim geboren und lebt in Südhessen – ist bekannt für ihre Fehltritte. In der Silvesternacht erst postete sie bizarre Neujahrsgrüße bei Instagram. Das Video zeigt eine Ministerin mit zerzausten Haaren vor den Stalinbauten der Berliner Karl-Marx-Allee. Böller explodieren, Raketen steigen in den Himmel. Streckenweise ist Lambrecht kaum zu verstehen.

Die Ministerin sagt: „Mitten in Europa tobt ein Krieg. Und damit verbunden waren für mich ganz viele besondere Eindrücke, die ich gewinnen konnte. Viele, viele Begegnungen mit interessanten, mit tollen Menschen.“ Empathie in Kriegszeiten geht anders. Wie der Kanzler das Video denn finde, wird eine Regierungssprecherin tags darauf gefragt. Im Auftrag ihres Chefs antwortet sie: „Ich sehe keinen Anlass, das zu bewerten.“

Die Ampel-Regierung ist seit etwas mehr als einem Jahr im Amt, und Lambrecht hat nach Auffassung vieler in dieser Zeit Fehler an Fehler gereiht. Sie nahm ihren volljährigen Sohn im Regierungshubschrauber mit, rief Innenministerin Nancy Faeser vorzeitig zur SPD-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl in Hessen aus und zeigt sich in fachlichen Fragen oft nicht sattelfest. Die Ertüchtigung der Bundeswehr kommt nicht in Gang. Es fehlt zwar nicht mehr an Geld, aber weiterhin an Waffen, Ausrüstung und Munition. Kritiker im In- und Ausland monieren, dass Deutschland viel zu zögerlich Waffen an die Ukraine liefere.

Das Neujahrsvideo war der eine Fehler zu viel, Scholz müsse jetzt die Reißleine ziehen, fordert am Dienstag die Union. „Der Kanzler darf nicht länger zuschauen“, sagt Fraktionsvize Johann Wadephul (CDU). Lambrecht sei sichtlich fehl am Platz.

Scholz könnte jetzt seiner Ministerin demonstrativ den Rücken stärken. Er tut es aber nicht. Auch in der SPD sind sie in diesen Tagen auffällig ruhig. In der Grünen-Fraktion heißt es hinter vorgehaltener Hand: „Scholz toleriert die Peinlichkeiten und Überforderungen von Frau Lambrecht, da sie von ihm ablenken.“ Während sich alle zu Recht über Lambrecht aufregten, werde Scholz’ „eigenes Versagen in der Zeitenwende“ im Umgang mit Russland und der Unterstützung der Ukraine weniger thematisiert.

Überholte Doppelstrukturen

Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagt unserer Redaktion, sie wolle ihr Urteil über Lambrecht an deren Reformwillen knüpfen. „Die Ministerin sollte man nicht daran messen, ob ein Video geglückt oder weniger geglückt ist, wenngleich die richtige Kommunikation nach innen und außen besonders in diesen Zeiten natürlich sehr wichtig ist. Die Ministerin wird sich daran messen lassen müssen, wie weit sie willens und in der Lage ist, die Bundeswehr zu reformieren.“

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses sagt auch, ein Schwerpunkt müsse die Reform des Beschaffungswesens sein, einschließlich der Überwindung der bisherigen Trennung von Militär- und Zivilverwaltung. „Diese Struktur ist komplett aus der Zeit gefallen.“ Es gebe kein Unternehmen in Deutschland, in dem es solche Doppelstrukturen gebe. In der Bundeswehr träfen dadurch Kulturen aufeinander, die sich gegenseitig behinderten und deshalb nicht die nötige Effizienz hätten, die dringend erforderlich wäre.

Weitere Schwerpunkte seien die Verschlankung der Prozesse und die Zusammenführung der Teilstreitkräfte sowie die Notwendigkeit, die Bundeswehr demografiefest zu machen. Diese Probleme müssten jetzt angegangen werden. „Das wird der Maßstab sein, an dem man sie messen wird“, sagt Strack-Zimmermann mit Blick auf Lambrecht.

Ob der Kanzler die Arbeit seiner Verteidigungsministerin schätzt, ist nicht überliefert. Auf jeden Fall schätzt er ihre Loyalität. Eine Ministerin, zumal von der eigenen Partei, entlässt man nicht mal eben so. Lambrecht selbst ahnt vermutlich, dass ein Rücktritt aus eigenem Antrieb auch ihre gesamte Karriere beenden würde.

Wenn Scholz die Führung des Verteidigungsministeriums in andere Hände geben will, dann dürfte dies im Rahmen einer Kabinettsumbildung geschehen. Innenministerin Nancy Faeser wird wahrscheinlich SPD-Spitzenkandidatin in Hessen bei der Wahl im Herbst. Entschieden ist aber noch nichts. Lambrecht, die aus der Rechtspolitik kommt, träumt davon, Faeser zu beerben. Die Frage ist, ob sie dafür noch das politische Gewicht hat. Auf jeden Fall müsste eine Lösung für das Verteidigungsressort her. SPD-Chef Lars Klingbeil wäre fachlich geeignet. Aber der Kanzler steht bei den Wählern im Wort, das Kabinett paritätisch mit Frauen und Männern zu besetzen.

Allzu lange wird er nicht auf Zeit spielen können: Anfang Februar will sich Nancy Faeser zu ihren Ambitionen äußern. Spätestens dann wird der Kanzler sagen müssen, was aus Christine Lambrecht wird.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen