Pandemie - Die Inzidenzen in den jüngeren Altersgruppen steigen / Mediziner setzen auf Impfungen, doch viele Eltern verlieren die Geduld

Inzidenzen in den jüngeren Altersgruppen steigen: Trifft es jetzt vor allem Kinder?

Von 
Alessandro Peduto
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Viele Schulen haben die Regeln zum Maskentragen gelockert. Bleibt das so? Die Inzidenzen steigen. © Matthias Balk/dpa

Berlin. Was für Monate! Vielen Eltern steigt noch immer der Puls, wenn sie sich an die Zeit im Lockdown zurückerinnern: Das eine Kind braucht Hilfe bei den Hausaufgaben, das jüngere will endlich auf den Spielplatz, die Chefin ruft schon zum zweiten Mal auf dem Handy an, und die Pasta auf dem heimischen Herd kocht über. Stress! Viele Familien mit jüngeren Kindern stellen sich derzeit bang die Frage: Wird der kommende Corona-Winter wieder so? Die Infektionszahlen gehen derzeit wieder steil nach oben – gerade auch in den jüngeren Altersgruppen. Vielen Müttern und Vätern graut bei der Vorstellung, dass Schulen und Kitas wegen Corona wieder schließen könnten.

Tatsächlich lag die Sieben-Tage-Inzidenz in den Altersgruppen zwischen 5 und 19 Jahren am vergangenen Donnerstag laut Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) weit über 100. Bei den 10- bis 14-Jährigen lag der Wert sogar bei 182. Im neuen Bericht, der an diesem Donnerstag erscheint, dürften die Inzidenzen bei den Jüngeren sogar noch einmal höher sein.

Regelmäßige Testungen

Zugleich haben inzwischen etliche Bundesländer aus pädagogischen Gründen die Maskenpflicht an den Schulen ganz oder zumindest teilweise abgeschafft. Regelmäßige Testungen bleiben damit das zentrale Instrument, um die Infektionslage unter Kontrolle zu halten. Denn Corona-Impfungen sind in Deutschland bislang erst ab zwölf Jahren zugelassen, nicht aber für Jüngere. Kinderärzte setzen jetzt darauf, dass sich das bald ändert – ähnlich wie in den USA. „Wir hoffen darauf, dass in den nächsten Wochen eine europäische Zulassung des Biontech-Impfstoffs für die Altersgruppe der Fünf- bis Elfjährigen kommt, die dann auch in Deutschland übernommen wird“, sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, Jörg Dötsch, unserer Redaktion.

In den USA hatte sich am Dienstag ein Beratergremium der nationalen Arzneimittelbehörde FDA für eine Notfallzulassung des Corona-Impfstoffes für Kinder ab fünf Jahren ausgesprochen. Eine endgültige Entscheidung der FDA wird noch in dieser Woche erwartet. Im November könnte dann die Impfkampagne für die etwa 28 Millionen betroffenen Kinder in den USA beginnen. Laut dem Impfstoffhersteller Biontech/Pfizer liegt der Schutz vor einer Covid-19-Erkrankung nach einer Impfung mit dem Vakzin bei Fünf- bis Elfjährigen bei 90,7 Prozent.

Dötsch argumentierte, eine Impfung erspare den Jüngsten eine Erkrankung und verhindere zudem, dass infizierte Kinder isoliert werden und wieder der Schule fernbleiben müssten. Er betonte: „Wir wissen, dass diese Abwesenheit die seelische Gesundheit der Kinder verschlechtert.“ Auch davor schütze die Impfung, darum sei sie sinnvoll. Dötsch verdeutlichte: „Es geht um den Schutz vor körperlichen wie psychischen Schäden in der Pandemie.“

Neue Zahlen unterstreichen dieses Problem: Nach einer Erhebung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung ist in der Corona-Zeit die Nachfrage nach psychotherapeutischen Leistungen für Kinder und Jugendliche gestiegen. Sie erhöhte sich im ersten Halbjahr 2021 um acht Prozent gegenüber der vorpandemischen Vergleichsperiode 2019. Dötsch betonte, es sei „unbedingt notwendig“, dass sich zum Schutz der Kinder alle Erwachsenen impften, vor allem in pädagogischen, medizinischen und pflegerischen Berufen. „Diese Erwachsenen haben eine besondere Verantwortung“, sagte der Mediziner. Auch müssten sich möglichst viele Kinder ab zwölf Jahren impfen lassen. Für sie ist das Biontech-Vakzin zugelassen.

Schließungen verhindern

Laut RKI liegt die Quote der Zweit-impfungen bei Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren bei 40,6. Die erste Dosis haben bisher 45,5 Prozent in dieser Gruppe erhalten. Insgesamt war zuletzt ein Anteil von 66,4 Prozent der Bevölkerung vollständig gegen Covid-19 geimpft. Um in der kommenden Wintersaison gegen die besonders ansteckende Delta-Variante gerüstet zu sein, hält die Wissenschaft eine Quote von mindestens 85 Prozent für notwendig.

Eltern- und Familienvertretungen fordern angesichts der steigenden Infektionszahlen unter Kindern und Jugendlichen mehr Anstrengungen der Politik. „Leider hat es die Bundesregierung in ihrer Impfstrategie versäumt, bevorzugt Mütter und Väter sowie pädagogisches Personal anzusprechen“, sagte der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Familienverbands, Sebastian Hei-mann. Er forderte, alle Energie müsse sich jetzt darauf konzentrieren, den Betrieb von Schulen und Kindertagesstätten zu gewährleisten. Schließungen gelte es zu verhindern. Zudem seien in Bildungseinrichtungen höhere Personalschlüssel erforderlich, „um Ausfälle auszugleichen“.

Auch die Bundeselternsprecherin für Kinder in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege, Katharina Queisser, äußerte Kritik. Es gebe „kaum Konzepte, um die Jüngsten vor Ansteckungen zu schützen“. Am Ende treffe Corona wieder die Familien. Queisser fügte hinzu, viele Eltern fühlten sich von der Politik in der Pandemie erneut nicht ausreichend wahrgenommen: „Die Lasten und Gefahren der Pandemie sind auch in diesem Corona-Winter bei den Kindern und ihren Familien.“

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