Interview

Jean Asselborn in Schwetzingen: „Viele sehen Europa als Schutzschirm für Demokratie“

Der ehemalige luxemburgische Außenminister Jean Asselborn wirbt in Schwetzingen für Europa und seine Biografie. Im Interview mit dieser Redaktion nimmt er Stellung

Von 
Dirk Jansch
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Der ehemalige Außenminister Luxemburgs, Jean Asselborn, im Gespräch mit Hendrike Brenninkmayer bei einer Veranstaltung im Alten Kino Franklin unter dem Motto „Ideen für Europa“. © masterpress

Jean Asselborn hält nicht nur Vorträge über Europa und seine Herausforderungen, aktuell ist er auch unterwegs, um die über ihn erschienene Biografie „Die Tour seines Lebens“ zu promoten. Wir trafen ihn bei einer Signierstunde in Schwetzingen.

Herr Asselborn, Sie sind ein viel beschäftigter Mann. Gestern noch in Heilbronn, heute in Schwetzingen – wo verschlägt es Sie als Nächstes hin, um für ein gemeinsames Europa zu werben?

Jean Asselborn: Ich bin morgen für ein Interview bei Radio RTL angefragt und habe weitere Termine in Trier, Arlon in Belgien, in Berlin und in Luzern. Das geht so weiter noch bis Ende November. Also ja, ich komme momentan viel rum.

Ich habe schon das Gefühl, dass die Wichtigkeit Europas weiter zunimmt

Wie ist die Resonanz auf Ihre Vorträge? Haben Sie das Gefühl, die Menschen teilen Ihr leidenschaftliches Eintreten für eine starke europäische Gemeinschaft?

Asselborn: Unbedingt. Am 3. Oktober war ich auf der Gartenschau in Baiersbronn, und die Leute haben trotz der Kälte ausgeharrt, in Heilbronn waren es zuletzt 700 Leute. Ich glaube, dass bei allem, was auf der Welt momentan geschieht, viele Menschen in Europa einen Schutzschirm sehen, der die Demokratie verteidigt. Ich habe schon das Gefühl, dass die Wichtigkeit Europas weiter zunimmt. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied zu der Zeit vor 20 Jahren, als ich als Minister angefangen habe: Damals gab es noch unheimlich viel Hoffnung, heute dominiert eine gewisse Angst unter den Menschen.

Die Herausforderungen für die EU sind auch enorm – von innen wie von außen. Fangen wir mit den äußeren Einflussfaktoren an: Trumps Protektionismus. Glauben Sie, die Europäische Kommission hat das richtige Werkzeug, um im Zollstreit mit den USA zu bestehen?

Asselborn: Der von Trumps Maga-Arroganz (Maga = Make America great again, Anm. d. Redaktion) geleitete Zollstreit bringt in Europa Existenzen und Arbeitsplätze in Gefahr. Und im Vergleich zu China mit seinen seltenen Erden haben wir kein Druckmittel. Klar, wir haben Zölle, aber die müssen wir mit Bedacht einsetzen, damit das Ganze nicht politisch weiter eskaliert.

Außenpolitisch wird Europa, aber auch die Nato, vor allem von Russland herausgefordert. Wie werten Sie die jüngsten Drohnenvorfälle in Deutschland, aber auch in Ländern wie Schweden, Dänemark oder Polen? Wie will man Putin von solchen Manövern abhalten, die offensichtlich darauf abzielen, die Reaktionsfähigkeit der Nato zu testen?

Asselborn: Es gibt vielleicht 1.000 oder 10.000 Drohnen, die in Deutschland herumschwirren, und wir dürfen jetzt nicht jede Drohne als ausländische Bedrohung ansehen. Mit den Vorfällen in Schweden, Dänemark und Polen verhält sich das natürlich anders. Putin testet uns, und er testet die Nato. Ich hoffe, dass es bei diesen Tests bleibt und er nicht auf die Idee kommt, ein weiteres Land anzugreifen. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen: Trump hat bisher keine Zusage gemacht zu Artikel 5, der besagt, dass ein Angriff auf ein Mitglied der NATO als Angriff auf alle Mitgliedsstaaten gewertet wird.

Jean Asselborn: Überzeugter Europäer

Jean Asselborn wurde am 27. April 1949 in Steinfort geboren .

Fast 20 Jahre lang, von 2004 bis Ende 2023, war er Außenminister von Luxemburg .

Bis Dezember 2013 war Jean Asselborn außerdem Vize-Premierminister von Luxemburg.

Er ist Mitglied der Luxemburger Sozialistischen Arbeiterpartei (LSAP) und war ehemaliger Vorsitzender dieser Partei (1997-2004) sowie ehemaliger Vizepräsident der Sozialdemokratischen Partei Europas (2000-2004).

Am 14. Dezember 2010 wurde mit dem Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

Jean Asselborn ist seit 1980 verheiratet und hat zwei Töchter .

In seiner Freizeit fährt Asselborn gerne Fahrrad .

Was meinen Sie, sind Tomahawks im Ukraine-Krieg der Gamechanger?

Asselborn: Die Ukrainer haben keinerlei Schutz gegen Russlands Angriffe auf ihre Infrastruktur. Es gibt immer wieder Tote und Verletzte. Sie müssen in die Lage versetzt werden, dort anzugreifen, wo die Wurzel des Übels ist – und das ist weit hinter der ukrainisch-russischen Grenze. Ich halte es für ein gutes Zeichen, dass Putin davor gewarnt hat, dass die Beziehungen zu Amerika im Falle einer Tomahawk-Lieferung an die Ukraine schlechter werden. Das zeigt, dass das möglicherweise doch der einzige Weg ist, Putin an den Verhandlungstisch zu bringen. Es birgt aber auch die Gefahr, dass der Krieg noch heftiger wird.

Israel hat ein Recht auf Frieden, genauso wie die Palästinenser

Dann ist da noch Israels Kampf gegen die Hamas. Glauben Sie, mit Trumps 21-Punkte-Friedensplan lässt sich der Gaza-Konflikt dauerhaft befrieden? Die geplante Kontrolle durch eine palästinensische Autonomiebehörde ohne Beteiligung der Hamas ist ja von der von Ihnen befürworteten Zwei-Staaten-Lösung noch weit entfernt.

Asselborn: Wenn sich das weiter so entwickelt, sind zwei ganz entscheidende Schritte gemacht: Die Geiseln sind befreit und die Hamas legt die Waffen nieder. Aber das ist erst der Anfang einer neuen Chance, um Frieden herzustellen. Meiner Meinung nach kann ein dauerhafter Frieden nur über eine Zwei-Staaten-Lösung gelingen. Israel hat ein Recht auf Frieden, genauso wie die Palästinenser. Aber die Kolonialisierung muss endlich aufhören. Vor 20 Jahren gab es 200.000 Siedler im Gaza-Streifen, mittlerweile sind es 700.000 – das zerstört die Hoffnung auf einen Staat Palästina.

Die Bedeutungslosigkeit Europas in diesem Vermittlungsprozess dürfte einen langgedienten Außenminister wie Sie doch sehr schmerzen …

Asselborn: Das tut sie in der Tat.

Vielleicht liegt das auch daran, dass Europa nach außen nicht mit einer Stimme spricht.

Asselborn: Wir hatten 2008 bis 2016 eine gemeinsame Position, aber seit dem Brexit war die EU nicht mehr in der Lage, auf einem Blatt Papier zu schreiben, dass Jerusalem die Hauptstadt von Israel und Palästina ist und für Palästina die Grenzen von 1967 gelten. Ich glaube, dass wir nur über eine Zwei-Staaten-Lösung zu einer gemeinsamen Linie zurückfinden können. Die Uno müsste in dieser Frage auch eine wesentlich stärkere Rolle spielen.

Länder wie Ungarn, Slowakei oder auch Tschechien legen sich immer wieder quer. Sie haben deshalb schon vor einer Orbanisierung der EU gewarnt …

Asselborn: Die EU muss aufpassen, dass da nicht ein Trio entsteht, das die Gemeinschaft von innen heraus torpediert. Man kann die nicht noch 15 Jahre mitschleppen. Es gibt in der EU immer noch den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit. Ich glaube, es kommt der Punkt, an dem sich die anderen Mitgliedstaaten die Frage stellen müssen, wie lange man sich das noch gefallen lassen will. Solche Länder haben nichts verloren in einer Gemeinschaft, die auf Werten basiert.

Die Feinde im Inneren kommen auch von rechts. Das Bündnis „Patrioten für Europa“ – so nennt sich die Allianz der rechtspopulistischen Parteien FPÖ aus Österreich, Fidesz aus Ungarn und ANO aus Tschechien – hat sich zum Ziel gesetzt, die EU zu schwächen und die liberale Demokratie zu untergraben. Die können das Parlament richtig ausbremsen. Kommissionspräsidentin von der Leyen hat sich bereits mehreren Misstrauensvoten stellen müssen.

Asselborn: Das gehört zum parlamentarischen Alltag. Das Problem ist, dass man beobachten kann, dass die EVP in einigen Punkten auf die Position der Rechtspopulisten einschwenkt. Das ist brandgefährlich und kann dazu führen, dass eines Tages ein Misstrauensvotum nicht mehr abgelehnt wird.

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Der EU-Motor Frankreich und Deutschland ist mächtig ins Stottern geraten. Auch hier werden die EU-feindlichen Kräfte immer stärker. Sehen Sie darin eine Gefahr für den Zusammenhalt?

Asselborn: Frankreich hat faktisch seit Juli 2024 keine Regierung mehr. Die Auflösung des Parlaments durch Emmanuel Macron war eine Katastrophe. Ich hoffe, dass sich die Franzosen der Gefahr bewusst sind. Die Fünfte Republik war immer darauf aufgebaut, zwischen linken und rechten Kräften auszugleichen. Mittlerweile haben wir eine Dreierkonstellation: Eine zerstrittene Linke, eine zerstrittene Mitte und eine immer stärker werdende Rechte, die sich stark antieuropäisch positioniert. Wichtig ist, dass am kommenden Montag eine Regierung gebildet wird, die endlich einen Haushalt auf den Weg bringt. Das ist nicht mehr Sache von Europa – das müssen die Franzosen entscheiden.

Sie bewerben gerade die über Sie erschienene Biografie „Die Tour seines Lebens“, für die sie mit dem Rad mehr als 1.000 Kilometer durch Frankreich gefahren sind. Was für einen Eindruck haben Sie von unserem Nachbarland gewonnen?

Asselborn: Ich fahre schon seit 1995 durch Frankreich, damals war ich noch groß und stark und habe bis zu 120 Kilometer am Tag geschafft. Ich liebe Frankreich. Hier gilt nach wie vor der Spruch „Leben wie Gott in Frankreich“. Es ist das Land, das am meisten Touristen anzieht. Ich hoffe, dass sich die Franzosen nicht jemandem anvertrauen, der die Demokratie für Illiberalität opfern will.

Wäre so eine Radtour nicht auch mal ein Vorhaben für Deutschland?

Asselborn: Wenn Sie in der Mitte von Europa leben, zieht es Sie mehr in den Süden – immer der Sonne entgegen. In Richtung Norden droht Gegenwind – das ist für Radfahrer sehr anstrengend. Aber es gibt tatsächlich die Überlegung für eine Tour von Hamburg aus an der Donau entlang bis zur Donauquelle in der Tschechei. Wir müssen sehen, ob sich das verwirklichen lässt …

Redaktion Redaktionsleiter Schwetzinger Zeitung

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