Berlin. Als der Bundestag im vergangenen Jahr mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP den Paragrafen 219, das Informationsverbot für Schwangerschaftsabbrüche, abschaffte, war dies der erste Schritt zur Einlösung eines größeren Versprechens der Ampelkoalition: So konträr die Vorstellungen auf anderen Feldern waren, so einig waren sich die Koalitionspartner, dass sich gesellschaftspolitisch einiges ändern sollte in Deutschland – unter anderem, was reproduktive Rechte betrifft.
Gut ein halbes Jahr später macht Familienministerin Lisa Paus nun Druck, dass auf diesen ersten Schritt weitere folgen. Geht es nach der Grünen-Politikerin, ist nach dem Informationsverbot durch Paragraf 219 bald auch Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs Geschichte. Der regelt aktuell, dass Schwangerschaftsabbrüche zwar verboten sind, unter bestimmten Bedingungen aber nicht bestraft werden.
Kommission lässt auf sich warten
„Wer anders als die Schwangeren selbst sollte entscheiden, ob sie ein Kind austragen möchten oder können? Wer anders als die Frauen selbst sollte darüber entscheiden, wann und in welchen Abständen sie Kinder bekommen?“, sagte Paus unserer Redaktion. Es gehe um fundamentale, um existenzielle Fragen, erklärte die Ministerin, um das Menschenrecht auf reproduktive Selbstbestimmung und das Recht von Frauen, über ihren Körper zu entscheiden. „Für mich ist das Strafgesetzbuch nicht der richtige Ort, das zu regeln“, sagte Paus.
Die Gewährleistung von Schwangerschaftsabbrüchen und einer selbstbestimmten und sicheren Schwangerschaft und Geburt würden ebenso wie der Zugang zu sicheren und erschwinglichen Verhütungsmitteln zu den Grundpfeilern reproduktiver Selbstbestimmung gehören. In dieser Legislaturperiode werde die Ampelkoalition daher prüfen, wie Regelungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches aussehen könnten. „Dazu setzen wir eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin ein, um genau diese hochkomplexen juristischen Fragen zu klären“, so Paus.
Dass es eine solche Kommission geben soll, darauf hatten sich die Regierungsparteien schon im Koalitionsvertrag geeinigt. Nicht nur die Regulierung von Abbrüchen, sondern auch andere Fragen aus diesem Bereich sollen die Expertinnen und Experten erörtern, etwa Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und die altruistische Leihmutterschaft.
Bislang allerdings lässt das Gremium auf sich warten. Die Abstimmung innerhalb der Bundesregierung über die Kommission sei noch nicht abgeschlossen, heißt es aus dem federführenden Gesundheitsministerium. Dies betreffe auch Fragen der Zusammensetzung und zu Arbeitsaufträgen. „Ein konkreter Zeitpunkt für die Errichtung der Kommission steht noch nicht fest“, sagte eine Sprecherin auf Anfrage.
Doch auch in der FDP werden jetzt einige ungeduldig. „Bei der Einsetzung der Kommission ist keine Zeit mehr zu verlieren“, sagte Katrin Helling-Plahr, rechtspolitische Sprecherin der liberalen Fraktion, unserer Redaktion. „Ich erwarte vom Gesundheitsministerium, dass die Einsetzung der Kommission noch zu Beginn des Jahres erfolgt und die Arbeit aufgenommen werden kann, damit in dieser Wahlperiode noch gesetzgeberischer Spielraum bleibt.“ Aus dem Justizministerium heißt es, auch Minister Marco Buschmann (FDP) sei daran gelegen, dass die Gruppe „so bald wie möglich“ ihre Arbeit aufnehmen könne. Darüber, auf welches Ergebnis er hofft, schweigt Buschmann sich allerdings aus. Im Politik-Podcast „Lage der Nation“ gab er im November zu bedenken, dass das Bundesverfassungsgericht mit Entscheidungen aus der Vergangenheit hohe Hürden aufgebaut habe für eine Regelung außerhalb des Strafrechts.
Juristinnenbund macht Druck
Das will Céline Feldmann nicht gelten lassen. „Wir können nicht voraussehen, wie das Bundesverfassungsgericht im Zweifel über eine Neuregelung entscheiden würde“, sagt die Juristin. Aber in der neueren Rechtsprechung des Gerichts sei das Selbstbestimmungsrecht des Individuums immer mehr in den Mittelpunkt gerückt, das habe man zum Beispiel in der Entscheidung zur Sterbehilfe gesehen. „Die letzte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Schwangerschaftsabbrüchen ist beinahe 30 Jahre her. Und man kann immer wieder beobachten, dass sich das Gericht an aktuelle Entwicklungen anpasst.“ In einem Papier schlägt der Deutsche Juristinnenbund vor, die Frist für den Abbruch zu verlängern - angelehnt an den Zeitpunkt, an dem ein Fötus eigenständig lebensfähig ist. Das wäre nach dem aktuellen Stand der Medizin frühestens in der 22. Woche.
Nach Rückgängen in den Jahren 2020 und 2021 war die Zahl der Abbrüche in Deutschland zuletzt wieder gestiegen. Laut dem Statistischen Bundesamt lag sie im zweiten Quartal 2022 11,5 Prozent über dem Vorjahreszeitraum. Gleichzeitig hat die Zahl der Kliniken und Praxen, die grundsätzlich Abbrüche durchführen, in den vergangenen Jahren kontinuierlich abgenommen. Gab es 2003 noch mehr als 2000, waren es 2021 nur noch rund 1100.
Bei der aktuellen Gesetzeslage dürfe es deshalb nicht bleiben, sagt Feldmann. „Wir brauchen eine Regelung außerhalb des Strafrechts, die sowohl dem Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Person als auch dem Schutz ungeborenen Lebens Rechnung trägt.“
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