Wahl

Klares Votum der Türken in Deutschland

Präsident Erdogan findet gerade hierzulande Unterstützung

Von 
Theresa Martus
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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kann auch in Deutschland auf Unterstützung zahlreicher hier lebender Türken zählen. © Ali Unal

Berlin. Wenn in gut zwei Wochen eine Stichwahl darüber bestimmt, wer künftig die Türkei regieren wird, dann können dabei auch sehr viele Menschen mitentscheiden, die nicht in Istanbul, Ankara oder Gaziantep leben, sondern in Hamburg, Köln oder München.

Dann wählen in der Türkei auch Bürgerinnen und Bürger des Landes, die im Ausland leben. 1,5 Millionen türkische Wahlberechtigte gibt es allein in Deutschland – und schon für die erste Runde der türkischen Präsidentschaftswahlen am vergangenen Sonntag hatte sich rund die Hälfte von ihnen in eines der deutschlandweit 17 Wahllokale aufgemacht, um ihre Stimme abzugeben.

Am Montag stand fest: Der klare Favorit der türkischen Gemeinschaft in Deutschland war der amtierende Präsident, Recep Tayyip Erdogan – wieder einmal. Seit Jahren holen Erdogan und seine AKP unter Türkinnen und Türken in Deutschland bei Wahlen bessere Ergebnisse als in der Türkei.

Im Land selbst verpasst Erdogan die nötige 50-Prozent-Marke in der ersten Runde knapp. Hätten dagegen nur die Stimmen aus Deutschland gezählt, wäre er mit bequemem Vorsprung wieder zum Präsident gewählt worden: Hier erhielt er im Schnitt 65 Prozent, in Teilen des Ruhrgebiets sogar deutlich über 70 Prozent. Die AKP als Partei dagegen verlor leicht.

Während Türkeistämmige sich in der Vergangenheit bei deutschen Wahlen überwiegend für Parteien des linken Spektrums entschieden haben, setzen viele für ihr Herkunftsland offenbar auf einen deutlich konservativeren Kurs.

Regionale Herkunft von Bedeutung

Direkt vergleichen lässt sich das nur schlecht, sagt Zeynep Yanasmayan, die am Deutschen Zentrum für Integration- und Migrationsforschung (DeZIM) die Abteilung Migration leitet. Nur eine kleine Gruppe von Menschen – rund 300 000 – habe beide Staatsbürgerschaften und könne in beiden Ländern wählen. „Aber man sieht zum Beispiel in Belgien, wo die doppelte Staatsbürgerschaft häufiger ist, dass auch dort Erdogan bessere Ergebnisse bekommt als in der Türkei.“

Generell gebe es zwei Ansätze, um das zu erklären, sagt die Sozialwissenschaftlerin. Der erste zieht einen Zusammenhang zwischen dem Wahlverhalten in türkischen Wahlen und der Gegend, aus der die Wähler oder ihre Familien ursprünglich kommen. „In der Türkei ist das Wahlverhalten regional sehr unterschiedlich. Und wenn man schaut, woher die Leute stammen und wen sie wählen, ahnt man schon einen Zusammenhang“, sagt Yanasmayan.

Viele Türkeistämmige in Deutschland haben ihre Wurzeln etwa in Zentralanatolien – einer konservativ geprägten Gegend und einer Hochburg der AKP. Die Hochburgen der CHP aber – der Partei von Erdogans Kontrahent Kilicdaroglu – liegen im Westen des Landes und in urbanen Zentren, zudem hatte er große Unterstützung aus den kurdischen Gebieten im Osten.

In Berlin, wo viele Menschen leben, die etwa in den 1980er- und 1990er-Jahren oder erst kürzlich aus der Türkei geflohen sind, stimmte weniger als die Hälfte der Wählerinnen und Wähler für den AKP-Politiker.

„Gruppe erhält Anerkennung“

Auch wenn der Umzug nach Deutschland teilweise schon mehrere Generationen zurückliegt, können diese Verbindungen noch nachwirken, sagt auch Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen. „Wertvorstellungen werden innerhalb der Familien weitergegeben, auch wenn sie natürlich nicht eins zu eins erhalten bleiben“, erklärt er.

In Deutschland dagegen orientiere man sich bei der Wahlentscheidung auch daran, wie die Parteien zu der eigenen Position als Migrant stehen – und näher „am Alltag und an den politischen Interessen“ seien da eben lange Parteien wie die SPD und die Grünen gewesen.

Gerade bei Menschen mit türkischen Wurzeln, die schon in der dritten oder vierten Generation in Deutschland sind, ist aber nach Ulusoys Worten auch der zweite häufig genannte Erklärungsansatz für den Erfolg Erdogans in Deutschland relevant. Der besagt, dass es nicht zuletzt Erfahrungen mit Ausgrenzung und Ablehnung aufgrund der Herkunft in Deutschland sind, wegen denen hier lebende Menschen Erdogan wählen.

„Für Türkeistämmige in der dritten, vierten Generation, die Teil dieser Gesellschaft sind, stellt sich immer die Frage, ob sie als Teil Deutschlands akzeptiert werden – mit ihrer Religion, ihrer Herkunft und Kultur“, sagt Ulusoy. Viele hätten Ausgrenzung erlebt. „Von Erdogan bekommt diese Gruppe Anerkennung, Zugehörigkeit und Respekt.“ Ihm gelinge es besser als anderen, diese emotionale Ebene anzusprechen.

Sicher wissenschaftlich bestätigt sei allerdings keine der beiden Erklärungen, sagt Yanasmayan. „Wir brauchen mehr empirische Daten.“ Neben den übergeordneten Trends könnten auch aktuelle politische Themen eine Rolle spielen – so habe sich etwa in einer Panelbefragung gezeigt, dass die Unzufriedenheit mit der Reaktion der Regierung auf das verheerende Erbeben Anfang des Jahres eng verbunden war mit einer Ablehnung der AKP. Sie warnt deshalb vor „zu einfachen Antworten“.

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