Herr Klingbeil, freuen Sie sich auf das neue Jahr?
Lars Klingbeil: Ich freue mich, dass ich gerade den Akku etwas aufladen kann und ein paar Tage Zeit mit der Familie habe. Der Wahlkampf startet jetzt mit Beginn des neuen Jahres, und ich gehe da hoch motiviert rein.
Nach Lage der Dinge verliert die SPD nach der Bundestagswahl das Kanzleramt.
Klingbeil: Viele fangen jetzt erst an, sich mit der Bundestagswahl zu beschäftigen. Ich bin mir sehr sicher, dass unser Ergebnis am 23. Februar ein anderes sein wird, als es sich in den Umfragen gerade abzeichnet.
Scholz will jedenfalls nicht Vizekanzler unter Friedrich Merz werden. Würden auch Sie dazu Nein sagen?
Klingbeil: Ich beschäftige mich überhaupt nicht mit der Frage, was Platz 2 mit sich bringen würde. Wir kämpfen um Platz 1. Ich will, dass Olaf Scholz Bundeskanzler bleibt.
Was für ein Verhältnis haben Sie zu Merz?
Klingbeil: Beim Fußball kommen wir überhaupt nicht zusammen. Er ist für Borussia Dortmund, ich bin Bayern-München-Fan. Politisch hat Friedrich Merz die Union ein Stück aus der Mitte weg nach rechts gerückt. Das bietet Potenzial für die Wahlauseinandersetzung. Und jenseits des Wahlkampfs gehen wir persönlich freundlich miteinander um.
Bleiben Sie bei Ihrer Strategie, einen Anti-Merz-Wahlkampf zu führen? Zu sagen, der Mann sei unerfahren, unkontrolliert, abgehoben, herzlos?
Klingbeil: Ich will im Wahlkampf vor allem zeigen, wofür Olaf Scholz und die SPD stehen. Wir wollen, dass die Wirtschaft angekurbelt und Arbeitsplätze in diesem Land gesichert werden. Beschäftigte und Familien sollen mehr Geld in der Tasche haben. Natürlich gehört zum Wahlkampf auch die Auseinandersetzung mit der politischen Konkurrenz. Und Friedrich Merz hat nun mal keine Regierungserfahrung.
Wie wirkt sich der Anschlag von Magdeburg auf den Wahlkampf aus?
Klingbeil: Diese furchtbare Tat von Magdeburg hat uns alle aufgewühlt. Die Hintergründe müssen lückenlos aufgeklärt und dann schnell notwendige Konsequenzen gezogen werden. Im Mittelpunkt steht die Frage: Wie können wir hier sicher leben? Das ist für mich keine Frage des Wahlkampfs. Als Demokraten tragen wir die gemeinsame Verantwortung, dass sich unsere Gesellschaft nicht weiter spaltet.
Der Attentäter Taleb A. hatte mehrfach schwere Gewalttaten angekündigt, er war im Visier der Sicherheitsbehörden. Verstehen Sie, warum er trotzdem zuschlagen konnte?
Klingbeil: Das wird in den Sondersitzungen des Innenausschusses und des Parlamentarischen Kontrollgremiums an diesem Montag genauestens aufgearbeitet. Ich erwarte, dass alles auf den Tisch kommt, was zur Aufklärung beiträgt. Die Innenministerin von Sachsen-Anhalt hat viele Fragen zu beantworten. Etwa warum das Sicherheitskonzept vor Ort nicht richtig umgesetzt wurde. Für mich ist klar: Wir müssen schnell, konsequent und schonungslos aufklären, was da schiefgelaufen ist.
Sind unsere Sicherheitsbehörden in Deutschland überfordert, sobald ein Täter in kein Raster passt? Übersteigt es die Vorstellungskraft der Ermittler, dass ein Islamhasser aus einem muslimischen Land einen Anschlag begeht?
Klingbeil: Wenn die Ermittlungen nach Magdeburg zeigen, dass die Sicherheitsbehörden mehr Befugnisse brauchen, dann können wir noch vor der Bundestagswahl im Bundestag handeln. Ich bin generell dafür, die Sicherheitsbehörden technisch und personell besser auszustatten, damit sie mit Bedrohungslagen besser umgehen können.
Konkret?
Klingbeil: Ich will daran erinnern, dass im Bundesrat ein Sicherheitspaket liegt, mit dem wir als Reaktion auf die Taten in Solingen und Mannheim die Kompetenzen der Bundespolizei und auch die biometrische Gesichtserkennung massiv ausweiten wollen.
Hätte das den Weihnachtsmarkt-Attentäter aufgehalten?
Klingbeil: Es geht darum, der Polizei und den Sicherheitsbehörden alle Möglichkeiten zu geben, die sie brauchen, um die größtmögliche Sicherheit zu garantieren. Zur Wahrheit gehört, dass das Sicherheitspaket von der Union im Bundesrat gestoppt wurde. Die SPD ist sofort bereit, das Paket noch vor der Wahl zu verabschieden. Die Sicherheit in Deutschland muss an erster Stelle stehen.
Zur Vorgeschichte des Attentats von Magdeburg gehört, dass Taleb A. 2014 vor der Ärztekammer mit einem Terroranschlag drohte. An seinem Asylverfahren änderte das aber nichts, Taleb A. wurde 2016 anerkannt. Muss der Staat genauer hinschauen, wem er Asyl gewährt?
Klingbeil: Solche Fragen müssen in die Gewährung von Asyl einfließen.
Wenn ein Asylbewerber – vor oder nach Abschluss seines Verfahrens – mit Terroranschlägen droht: Sind Sie dafür, ihn aus Deutschland abzuschieben?
Klingbeil: Wer mit Terroranschlägen droht, verliert das Recht, in Deutschland zu bleiben.
Ausweisungen müssen auch möglich sein, wenn keine Straftatbestände festgestellt werden – sagt Friedrich Merz.
Klingbeil: Das ist keine neue Erkenntnis. Wir haben dafür gesorgt, dass das Ausweisungsrecht verschärft wurde. Wer mit Terror droht oder ihn verherrlicht, muss das Land verlassen.
Merz spricht von einer „signifikant höheren Ausländerkriminalität“. Sind Migranten krimineller als Deutsche?
Klingbeil: Wir müssen aufpassen, dass wir Fragen zur Sicherheit nicht zu Migrationsdebatten machen. Ich warne davor, das Gegeneinander in dieser Gesellschaft zu verstärken. Alice Weidel und die AfD versuchen, den Anschlag von Magdeburg für ihre rechte Hetze zu instrumentalisieren. Dabei verschweigen sie, dass der Täter selbst AfD-Ideologie geteilt hat. Das Klinikum in Magdeburg hat darauf die richtige Antwort gegeben: Menschen aus über 20 Nationen haben gemeinsam die Opfer und Verletzten versorgt. Nach solchen schrecklichen Taten müssen wir als Gesellschaft zusammenstehen. Gemeinsam gegen diejenigen, die unser offenes und freies Land angreifen.
Unterstützung bekommt die AfD von Elon Musk, Tech-Milliardär und Gefolgsmann des gewählten US-Präsidenten Donald Trump. Wie ordnen Sie das ein?
Klingbeil: Das zeigt, dass unsere Demokratie von außen massiv bedroht ist. Elon Musk versucht nichts anderes als Wladimir Putin: Beide wollen unsere Wahlen beeinflussen und unterstützen gezielt die Demokratiefeinde der AfD. Sie wollen, dass Deutschland geschwächt wird und ins Chaos stürzt. Dagegen müssen Demokraten parteiübergreifend zusammenstehen. Eine solche Einmischung verbietet sich. Deswegen kann ich nicht ganz verstehen, dass Christian Lindner einem Elon Musk hinterherhechelt und sich bei ihm anbiedert.
Sind wir wehrlos gegen Musk?
Klingbeil: Nein, überhaupt nicht. Wir müssen noch viel offensiver werden und die Macht der großen Internetplattformen wie Musks Kurznachrichtendienst X wirksam begrenzen. Hier versucht ein Tech-Milliardär seinen Einfluss zu nutzen, um den Gang der Weltpolitik zu beeinflussen. Dagegen vorzugehen, ist vor allem die EU-Kommission gefordert.
Plädieren Sie dafür, X in Europa zu sperren?
Klingbeil: Es geht um eine strengere Regulierung der großen Plattformen, damit Qualitätsstandards eingehalten werden. Wir brauchen rechtliche Instrumente gegen Fake News, auch um die Macht einzelner Personen zu brechen. Da müssen wir in Europa den Hintern hochkriegen, wenn wir eine große Gefahr für die Demokratie abwenden wollen.
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