Interview

Lars Klingbeil rät im Steuerstreit zu weniger Aufregung

Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) erklärt im Interview, wie er Deutschland stärken will und was er von seinem Koalitionspartner erwartet.

Von 
Jan Dörner und Jochen Gaugele
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Finanzminister Lars Klingbeil fordert größere Einsparungen. © Reto Klar /Funke Foto Services

Berlin. Lars Klingbeil ist frisch vom Familienurlaub auf Mallorca zurück – und wird von schlechten Umfragen, einer beunruhigenden Konjunktur und erratischen Bemühungen um Frieden in der Ukraine empfangen. Der Vizekanzler, Finanzminister und SPD-Vorsitzende sagt im Interview, wie er Deutschland stärken will.

Lars Klingbeil

Lars Klingbeil, Jahrgang 1978, ist SPD-Vorsitzender neben Bärbel Bas und seit Mai auch Vizekanzler und Finanzminister im Kabinett Merz.

Klingbeil wurde in ­Soltau (Niedersachsen) geboren , in Hannover studierte er Politikwissenschaft, Soziologie und Geschichte.

Klingbeils Vater war Berufssoldat , er selbst verweigerte den Wehrdienst .

Dem Bundestag gehört er mit einer Unterbrechung seit 2005 an. Klingbeil ist verheiratet und hat einen Sohn.

Herr Klingbeil, die Wirtschaft schrumpft und das Ansehen der neuen Regierung ist im Keller. Was muss Schwarz-Rot in den zweiten 100 Tagen gelingen, damit es aufwärtsgeht?

Lars Klingbeil: In den ersten drei Monaten sind uns sehr viele Sachen gelungen. Wir haben zwei Haushalte und das 500-Milliarden-Investitionspaket zur Modernisierung unseres Landes auf den Weg gebracht. Wir haben Anreize für Investitionen und Wachstum gesetzt, um Arbeitsplätze zu sichern. Es hat ein, zwei Punkte gegeben, die das öffentliche Ansehen der Koalition getrübt haben. Darüber ärgere ich mich selbst. Umso mehr gilt jetzt: Wir müssen den Weg, den wir vorher eingeschlagen haben, mit hohem Tempo weitergehen.

Ökonomen fordern einen Herbst der Reformen. Kommt der?

Klingbeil: Wir werden bis Ende des Jahres wichtige Entscheidungen treffen. Dabei wird es auch um Strukturreformen bei Gesundheit, Pflege, Bürgergeld und Rente gehen, damit unser Sozialstaat stark, aber auch bezahlbar bleibt. Und wir müssen das Leben in diesem Land von Bürokratie befreien, damit es wieder Spaß macht, ein Unternehmen zu gründen, einen Verein zu führen oder ein Haus zu bauen.

Hat die Koalition dafür die Kraft? Union und SPD konnten sich nicht mal auf die Wahl von Verfassungsrichtern verständigen.

Klingbeil: Der Streit um die Richterwahl hat der Koalition geschadet. Die Union muss Vereinbarungen künftig einhalten. Jetzt besprechen die Fraktionen, wie wir das lösen. Ich bin dafür, den Fokus wieder auf die Themen zu legen, die über die Zukunft unseres Landes entscheiden: Arbeitsplätze, wirtschaftliche Stärke, Sicherheit. Und ja: Die Kraft für echte Reformen haben wir.

Wir haben im Kabinett ein Rentenpaket verabschiedet, das ein Rentenniveau von 48 Prozent sichert.
Lars Klingbeil (SPD) Finanzminister

Was tun Sie, um die Rente zu sichern?

Klingbeil: Wir haben im Kabinett ein Rentenpaket verabschiedet, das ein Rentenniveau von 48 Prozent sichert. Uns geht es um die Anerkennung der Lebensleistung von Menschen, die hart gearbeitet haben.

Wie tragfähig ist das?

Klingbeil: Wir haben jetzt Reformkommissionen eingesetzt. Das dürfen keine Laberrunden werden, es braucht konkrete Entscheidungen. Ich selbst kann mir vorstellen, die private Altersvorsorge weiter zu stärken. Aber die wichtigste Säule wird die gesetzliche Rente bleiben, und dafür braucht es Ideen.

Was spricht eigentlich dagegen, das Rentenalter an die Lebenserwartung zu koppeln?

Klingbeil: Ich habe manchmal den Eindruck, dass diese Berliner Welt entkoppelt ist von der Lebensrealität vieler Menschen, die 45 Jahre im Handwerk, als Erzieherin oder als Polizist gearbeitet haben. Denen zu sagen, streng dich mehr an und arbeite länger – das wird der Realität doch überhaupt nicht gerecht. Für viele ist es gar nicht möglich, ein Rentenalter von 67 zu erreichen, weil sie nicht mehr können. Wir wollen erreichen, dass es attraktiver wird, freiwillig länger zu arbeiten. Wir führen deshalb die Aktivrente ein, mit der man beruflich aktiv bleiben und seine Erfahrung weiter einbringen kann.

Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm fordert mehr Ehrlichkeit in der Debatte. Leistungskürzungen seien unumgänglich, um die Renten-, Pflege und Krankenversicherung stabil zu halten. Schließen Sie Leistungskürzungen aus?

Klingbeil: Es hat noch nie eine Regierung gegeben, die eine Lücke von 30 Milliarden Euro schließen musste. Der Haushalt 2027 wird eine Herkulesaufgabe für diese Regierung. Jeder am Kabinettstisch muss seinen Beitrag leisten. Wir sind in der Verantwortung, vernünftig mit dem Geld umzugehen. Keine Option kann vom Tisch genommen werden. Wir brauchen Veränderungen, wir brauchen Strukturreformen. Dazu muss jeder und jede seinen Teil beitragen. Und für mich ist das Wichtigste: Am Ende muss es gerecht zugehen.

Bedeutet für Leistungskürzungen?

Klingbeil: Wir brauchen Strukturreformen, um die Beiträge dauerhaft stabil zu halten. Dabei erwarte ich von allen Verantwortlichen mehr Fantasie als einfach nur Leistungskürzungen für die Arbeitnehmer. Bei allen Reformen muss gelten: Wir bleiben ein Land, das Menschen hilft, die in Not geraten, die krank werden und Hilfe brauchen.

Sie haben Steuererhöhungen in Betracht gezogen – obwohl der Koalitionsvertrag das nicht vorsieht. Wer soll mehr abgeben?

Klingbeil: Ich bin gefragt worden, ob ich die Option vom Tisch nehme, Spitzenverdiener und Vermögende stärker in die Verantwortung zu nehmen. Wieso sollte ich das als sozialdemokratischer Finanzminister tun bei einer Haushaltslücke von 30 Milliarden? Das Gesamtpaket muss gerecht sein.

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Klingbeil: Ich finde erst mal richtig, dass alle nun über die richtigen Wege diskutieren, wie wir unser Land modern und gerecht gestalten. Es wird jetzt auch spannend sein, von anderen zu hören, wie sie Lücken schließen wollen. Wenn alle immer nur Nein sagen, lösen wir damit kein Problem. Manchmal frage ich mich, ob sich alle bewusst sind, wie groß die Herausforderung ist.

Sie werden für Steuererhöhungen keine Mehrheit finden. Machen Sie noch Steuerpolitik – oder schon Wahlkampf?

Klingbeil: Ich habe als sozialdemokratischer Finanzminister und Parteivorsitzender eine Grundüberzeugung: Menschen, die sehr hohe Vermögen und Einkommen haben, sollten ihren Teil dazu beitragen, dass es in dieser Gesellschaft gerechter zugeht. Gerade in diesen extremen Zeiten. Diese Meinung sollte niemanden überraschen. Das ist keine Provokation, sondern eine Überzeugung, die ich mitbringe. Ich würde mir wünschen, dass wir rauskommen aus diesen aufgeregten Debatten und weniger hyperventilieren.

Wer hyperventiliert?

Klingbeil: Mir geht es um die besten Lösungen. Wenn Markus Söder oder Jens Spahn mich morgen anrufen und sagen, wir haben ein paar Ideen, wie wir die 30-Milliarden-Lücke schließen, dann höre ich mir die gerne an.

Ihre nächste Bewährungsprobe ist die Kommunalwahl am 14. September in NRW. Sehen Sie die Gefahr, dass die AfD die neue Arbeiterpartei wird?

Klingbeil: Die AfD ist keine Arbeiterpartei, sie macht Politik gegen die Arbeiter. Je mehr Einfluss die AfD hat, desto schlechter ist es für die Wirtschaft und die Menschen, die hart arbeiten. Ich kämpfe dafür, dass die SPD wieder als Partei wahrgenommen wird, die sich um die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kümmert. Wir haben überzeugende Köpfe und werden bei den nächsten Wahlen gut abschneiden.

Was sagen Sie Stahlarbeitern, die um ihren Job fürchten?

Klingbeil: Wir senken die Energiepreise, investieren in die Infrastruktur, lindern den Fachkräftemangel, kurz: Wir stärken den Standort Deutschland. Wir als SPD wollen einen baldigen Stahl-Gipfel. Wir müssen mit Konzernchefs und Betriebsräten diskutieren, wie wir die Stahlindustrie stärken können – etwa durch niedrigere Energiepreise. Und im Zollstreit mit den USA muss es gelingen, beim Stahl eine vernünftige Lösung zu finden.

Was ist vernünftig? Die USA nehmen aktuell 50 Prozent beim Stahl ...

Klingbeil: Vernünftig sind niedrige Zölle oder hohe Quoten. Die Amerikaner sind auf unseren Qualitätsstahl angewiesen – etwa beim Flugzeugbau. Ich habe bei meinem jüngsten Besuch in den USA gute Argumente vorgetragen und hoffe, dass die EU-Kommission eine gute Lösung findet.

Wie finden Sie den Deal, den Kommissionspräsidentin von der Leyen mit US-Präsident Trump ausgehandelt hat?

Klingbeil: Das ist kein Ergebnis, bei dem ich jubele, weil noch Schlimmeres verhindert wurde. Wir müssen uns schon fragen, wie es sein kann, dass die Europäische Union mit 27 Staaten und 450 Millionen Bürgerinnen und Bürgern am Ende so schwach dasteht. Ich wünsche mir, dass wir eine europäische Stärke entwickeln und nicht länger am Katzentisch sitzen. Ich bin dem Bundeskanzler sehr dankbar, wie er bei Fragen von Krieg und Frieden dafür sorgt, dass die Europäer mitreden. Deutschland muss vorangehen, Deutschland muss eine europäische Führungsmacht sein.

Nach den Ukraine-Gipfeln in Alaska und Washington: Wie wahrscheinlich ist es, dass sich die Präsidenten Putin und Selenskyj an einen Tisch setzen, um eine Friedenslösung auszuhandeln?

Klingbeil: Ich habe große Skepsis, dass sich Putin auf ernsthafte Friedensgespräche mit Selenskyj einlässt. Es liegt an Russland, endlich ein ernsthaftes Interesse an Frieden zu zeigen. Davon ist noch nichts zu sehen, im Gegenteil: Es sterben weiter Menschen durch die brutalen russischen Angriffe. Und klar ist bei allen weiteren Verhandlungen: Es darf nicht über die Köpfe der Ukrainer hinweg entschieden werden.

Ist die Gefahr, dass sich Russland die Ukraine einverleibt, größer oder kleiner geworden?

Klingbeil: Das hängt am Ende auch von den Sicherheitsgarantien für die Ukraine ab.

Können die Europäer dabei noch auf die USA bauen?

Klingbeil: Es ist ein gutes Signal, dass Trump eine Bereitschaft signalisiert hat, zu den Sicherheitsgarantien beizutragen. Jetzt müssen wir schauen, wie belastbar das ist.

Wir sind und bleiben damit der stärkste Unterstützer der Ukraine in Europa.
Lars Klingbeil (SPD) Finanzminister

Wie sieht der deutsche Beitrag aus?

Klingbeil: Es geht weiter darum, die Ukraine und ihre Armee zu stärken. Das tun wir mit rund neun Milliarden Euro pro Jahr, die wir fest eingeplant haben im Haushalt. Wir sind und bleiben damit der stärkste Unterstützer der Ukraine in Europa. Soldaten aus der Ukraine werden schon heute in meiner Heimatstadt Munster ausgebildet.

Können Sie sich deutsche Soldaten in der Ukraine vorstellen?

Klingbeil: Deutschland wird Verantwortung tragen, um eine Friedenslösung abzusichern. Aber es ist viel zu früh, konkrete Entscheidungen zu treffen. Sicherheitsgarantien müssen mit unseren internationalen Partnern und der Ukraine eng abgestimmt sein. Hieran arbeiten wir intensiv, damit wir auf jedes Szenario vorbereitet sind.

Was würde ein Frieden in der Ukraine für die Kriegsflüchtlinge in Deutschland bedeuten?

Klingbeil: Niemand sehnt sich mehr nach Frieden als die Ukrainerinnen und Ukrainer selbst. Die meisten hoffen, dass sie in ihre Heimat zurückkehren können. Aber wir sollten sie nicht dazu drängen.

Das würde Julia Klöckner vermutlich anders formulieren. Wie kommt die Bundestagspräsidentin von der CDU bei den Sozialdemokraten an?

Klingbeil: Ich habe Julia Klöckner gewählt. Aber ich muss schon sagen, dass ich über manches irritiert bin. Etwa ‚Nius‘ und die ‚taz‘ in einen Topf zu werfen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Wolfgang Schäuble so etwas gemacht hätte.

Würden Sie Klöckner noch mal wählen?

Klingbeil: Ich habe einige Fragen, die ich Julia Klöckner aber lieber demnächst in einem Gespräch mal selbst stelle.

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