Berlin. Es gibt Zahlen, die Politiker wie Ökonomen beunruhigen. Statistiken, die Futter liefern für Spekulationen. Elektromeister, Restaurants, Kliniken, Maschinenbauer – sie alle suchen händeringend Angestellte. Zugleich sind Hunderttausende Geflüchtete in Deutschland ohne Job. Wie lässt sich diese Lücke am Arbeitsmarkt tatsächlich erklären?
Baustelle 1: Fehlende Sprachkenntnisse
Es ist das große Hemmnis für viele Berufssuchende: Sie sprechen nicht ausreichend Deutsch. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) finanziert zunächst Kurse bis zum Level B1. „Das reicht aber für viele Branchen nicht aus, hilft eher Kellnern beim Berufseinstieg, aber schon bei Pflegekräften wird es schwierig“, sagt Yvonne Giesing, Migrationsforscherin vom Münchner Ifo-Institut. „Hier ist es notwendig, dass der Staat mehr in die Sprachkurse investiert, die Wartezeiten verringert, mehr Lehrkräfte einstellt.“
In Ländern wie Dänemark oder Polen und Tschechien liegt die Beschäftigung von Geflüchteten etwa aus der Ukraine höher als in Deutschland – laut Experten auch deshalb, weil die Menschen es in den Staaten einfacher mit der Sprache haben und sie die Sprache erst im Job lernen. Bei der Arbeitsagentur aber sieht man diese Integration in den Arbeitsmarkt kritisch. Studien würden belegen, dass das nicht nachhaltig sei, Jobs schnell wieder gekündigt würden. Für Deutschland ist die Strategie also: erst Sprachkurs, dann Arbeit.
Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) teilt auf Nachfrage mit, dass „bei großem Einsatz und Interesse von geflüchteten Menschen, die sprachlichen Barrieren abgebaut werden können, wenn genügend Deutschkurse angeboten werden“. Der Vize-Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Achim Dercks, formuliert es so: Es brauche einen „kreativen Umgang“ mit Sprachbarrieren.
Baustelle 2: Hohe bürokratische Hürden und prekäre Rechtslage
Erst mal gilt: Wer in Deutschland Asyl beantragt, darf drei Monate gar nicht arbeiten. Der Staat will nämlich zunächst den Schutzstatus prüfen. Die Menschen sind zum Nichtstun gezwungen.
Danach beginnt für viele ein Kampf um die Anerkennung von Zertifikaten und Ausbildungsabschlüssen aus ihrer Heimat, der sich erneut Monate hinzieht. Hinzu kommt: Die Anerkennung kostet Gebühren. Und: Je komplexer das behördliche Verfahren, desto gravierender schlagen fehlende Sprachkenntnisse auch hier zu Buche. Dercks von der DIHK sagt: „Es bleibt wichtig, die behördlichen Verfahren weiter zu vereinfachen und die Digitalisierung auch dort voranzutreiben.“
Brisant ist, wenn die Behörden bei Abschiebungen ins Spiel kommen. Oftmals trifft es Geflüchtete, die schon arbeiten. Mehr als 200 000 Menschen sind in Deutschland nur „geduldet“, müssen eigentlich ausreisen. „Das verunsichert nicht nur die Geflüchteten, sondern auch die Unternehmen“, sagt Migrationsforscherin Giesing. „Dann ist die Investition in das Training umsonst gewesen. Wir spüren, dass Unternehmen und Betriebe oftmals Sorge haben, hier Geld in Menschen zu investieren und sie dann zu verlieren.“
Baustelle 3: Fehlende berufliche Qualifikation von Geflüchteten
Asylsuchende arbeiten vor allem im Handel, in Kfz-Betrieben, in der Produktion und im Lager. Ukrainer sind stark im Baugewerbe beschäftigt. Viele geflüchtete Frauen arbeiten in der Pflege oder der Gastronomie. Dort sucht Deutschland Fachkräfte. Es fehlen aber auch Ingenieure, IT-Fachleute, Sozialarbeiter und Lehrerinnen. Genau dafür fehlt vielen Asylsuchenden die berufliche Qualifikation. Das Niveau jener, die kommen, ist ganz unterschiedlich: Polen haben in 40 Prozent der Fälle einen anerkannten Berufsabschluss, aus Indien kommen vor allem Akademiker. Bei Geflüchteten aus Afghanistan und Menschen aus der Türkei liegt die Quote ohne Abschlüsse deutlicher höher.
Laut Fachleuten bedeutet das nicht zwingend, dass sie nicht gute IT-Kenner oder einfühlsame Sozialarbeiterinnen sein können – sie können in ihrer Heimat viele Jahre Erfahrung in dem Beruf gesammelt haben. Doch es fehlt eben ein für den deutschen Arbeitsmarkt notwendiger Abschluss.
Baustelle 4: Mehr Frauen müssen in Arbeit – auch Asylsuchende
Die Quote von beschäftigten Frauen aus den großen Asylherkunftsländern ist gering, liegt bei gut 23 Prozent. Männern aus diesen Staaten sind hingegen zu 53 Prozent beschäftigt. Beim Geschlecht klafft eine große Lücke. Faktoren sind oft auch hier: berufliche Qualifikationen, die junge Frauen in der Heimat nicht erwerben konnten.
Es sind außerdem oft Lebenslagen, die Menschen von der Arbeit abhalten: Krankheiten, fehlende Mobilität im Alter, aber eben auch Betreuung und Pflege – die häufig die Frauen übernehmen. Und selbst bei Frauen mit guten Berufsabschlüssen und Deutschkenntnissen überwiegt manchmal die Sorge, nicht gut genug für den Arbeitsmarkt zu sein.
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