Migration

Massengrab Mittelmeer

Es gibt wenig Hoffnung, weitere Überlebende des Schiffsunglücks zu finden. Die Polizei ermittelt gegen Schlepper

Von 
Gerd Höhler und Gudrun Büscher
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Überlebende eines Bootsunglücks schlafen in einem Lagerhaus im Hafen der Stadt Kalamata. © Thanassis Stavrakis/AP/dpa

Athen/Berlin. Der verrostete Fischkutter war völlig überfüllt. Dicht an dicht standen, lagen, saßen Kinder, Frauen, Männer auf und unter den Decks. Sie hofften auf ein besseres Leben, die meisten aber fanden den Tod, als das Schiff vor der griechischen Halbinsel Peloponnes kenterte. 104 Menschen konnten gerettet werden, 79 Leichen wurden bislang aus dem Wasser geborgen. Die Küstenwache Griechenlands schätzt, dass mindestens 500 Menschen auf dem Boot gewesen sein könnten, darunter viele Kinder. Zwei Tage nach dem Unglück besteht kaum noch Hoffnung, Überlebende zu finden. Sie sind verschollen im Massengrab Mittelmeer. Die Suche nach ihnen wird fortgesetzt.

Was ist bei dem Bootsunglück vor Griechenland passiert?

Schlepper hatten die Menschen in Tobruk an der Küste von Libyen aufgenommen und versprochen, sie nach Italien zu bringen. Die griechische Regierung schildert den Ablauf der Tragödie so: Die italienischen Behörden hatten am Dienstagvormittag das überfüllte Schiff gesichtet und Griechenland informiert. Um 15 Uhr entdeckte ein Hubschrauber der griechischen Küstenwache den Kutter. Von da an begleiteten Patrouillenboote der Küstenwache das Boot. Um 18.30 Uhr gelang es der Küstenwache, Kontakt mit dem Kapitän aufzunehmen. Der lehnte Hilfe ab und erklärte, er wolle seine Fahrt nach Italien fortsetzen. Auch vorbeifahrende Frachter hätten Hilfe angeboten, was die Passagiere aber abgewiesen hätten. Alarm Phone, eine Organisation, die Hilferufe von Migrantenschiffen aufnimmt, erklärte hingegen, Passagiere hätten verzweifelt um Hilfe gebeten.

Eine Stunde später ging nach Angaben der Regierung das Schiff der Küstenwache längsseits und lieferte den Migranten Wasser und Lebensmittel. Weitere Schiffe der Küstenwache eskortierten das Migrantenboot, um im Notfall helfen zu können. Um 1.40 Uhr meldete der Kapitän des Bootes einen Maschinenschaden. 20 Minuten später bekam das Schiff Schlagseite, kenterte und sank schnell. Offenbar hatten viele keine Chance zu überleben, weil sie unter Deck waren. Dort sollen sich vor allem Frauen und Kinder aufgehalten haben. Griechenland hat Staatstrauer ausgerufen. Die Staatsanwaltschaft des Obersten Gerichtshofes ordnete eine Untersuchung an.

Wie viele Menschen waren an Bord?

Hilfsorganisationen berichteten unter Berufung auf Telefonate und Textnachrichten vor der Havarie von bis zu 750 Insassen. Fachleute halten 700 Menschen auf einem 30 Meter langen Fischkutter für möglich. Man habe das bereits erlebt, sagte Nikos Spanos, pensionierter Admiral der Küstenwache, im Fernsehen. „Seetüchtig sind solche Boote dann natürlich nicht mehr“, so Spanos. „Eigentlich handelt es sich um schwimmende Särge.“

Was macht die Suche so schwierig?

Das Schiff sank an einem der tiefsten Punkte im Mittelmeer: dem Calypso-Graben, einer Tiefseesenke im Südosten des Ionischen Meeres. Dort beträgt die Tiefe bis zu 5200 Meter, die Bergung von Leichen und Schiff könnte an dieser Stelle fast unmöglich sein.

Was weiß man über die Geflüchteten?

Viele der Geflüchteten sollen 20- bis 30-jährige Männer sein und nach unbestätigten Medienberichten vor allem aus Ägypten, Syrien, Pakistan, Afghanistan und den Palästinensergebieten stammen.

Was geschieht mit den Überlebenden?

Sie kommen in ein Flüchtlingslager nahe Athen. Auch die geborgenen Leichen werden in die griechische Hauptstadt gebracht, um sie dort zu identifizieren

Was weiß man über die Schleuser?

Die Polizei hat neun Menschen ägyptischer Nationalität unter dem Verdacht festgenommen, einer Schlepperbande anzugehören. Laut Hafenbehörden befindet sich darunter auch der Kapitän des Fischerbootes. Überlebende berichteten, die Schleuser hätten pro Passagier 6500 Dollar kassiert. Bei 750 Passagieren hätte die Fahrt den Schleusern fast fünf Millionen Dollar eingebracht.

Über welche Route kommen die Menschen?

Derzeit nutzen sie vor allem die gefährliche Mittelmeerroute. Nach UN-Angaben sind 2023 bisher rund 72 000 Flüchtlinge und Migranten in den Mittelmeeranrainern Italien, Spanien, Griechenland, Malta und Zypern angekommen, die meisten davon an der italienischen Küste. Die große Mehrheit kommt nach Angaben der Europäischen Union über Libyen nach Europa. Dadurch sind in Libyen etablierte und widerstandsfähige Schleuser- und Menschenhändlernetze entstanden. Aber auch aus Tunesien stechen seit Jahresbeginn immer mehr Boote mit Migranten nach Italien in See. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) starben 2023 auf den Routen aus dem Nahen Osten und Nordafrika fast 3800 Menschen, davon 2761 auf See. Die IOM schätzt, dass seit 2014 im Mittelmeer mehr als 20 000 Menschen beim Untergang von Schleuserbooten ertrunken sind. Die Dunkelziffer könnte erheblich höher sein.

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