Gesellschaft

Queere Selbstbestimmung

Die Ampel will Transmenschen erleichtern, das Geschlecht zu ändern. Was Kritiker befürchten

Von 
Birgitta Stauber
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Viele Städte weltweit feiern den Christoper Street Day. Wie hier in Nürnberg demonstriert die LGBTQ-Community für ihre Rechte. © Daniel Karmann/dpa

Berlin. Bisher ist es ein schwerer Gang: Wer seinen Namen und sein Geschlecht ändern möchte, braucht ein psychologisches Gutachten und eine gerichtliche Entscheidung, was mit intimen Fragen und hohen Kosten verbunden ist. Betroffene, die unter einem enormen Leidensdruck stehen, fühlen sich vielfach durch dieses Verfahren gedemütigt. Das Bundesverfassungsgericht hatte Teile des Transsexuellen-Gesetzes für verfassungswidrig erklärt. Darauf reagiert nun die Ampel-Regierung: Das Kabinett hat nun das Selbstbestimmungsgesetz beschlossen.

An wen richtet sich das Gesetz?

Betroffen sind transgeschlechtliche, nicht binäre und intergeschlechtliche Menschen. Wer mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen geboren wird, sich aber als Mann fühlt, wird als „Transmann“ bezeichnet. Ein als Junge Geborener, der sich weiblich fühlt, als „Transfrau“. Wer sich nicht eindeutig einem Geschlecht zugehörig fühlt, ist „nicht-binär“. Menschen, deren Geschlechtsmerkmale bei der Geburt nicht zugeordnet werden können, sind „intersexuell“.

Wie können Betroffene künftig ihr Geschlecht ändern?

Es soll eine Erklärung und eine Eigenversicherung beim Standesamt reichen. Die Frage, ob es bereits zu Operationen gekommen ist und/oder einer hormonellen Behandlung, um das Geschlecht anzugleichen, spielt keine Rolle mehr. Das ist zum bisherigen Transsexuellen-Gesetz eine enorme Vereinfachung.

Kann der Eintrag rückgängig gemacht werden?

Ja, beliebig oft. Allerdings gibt es eine Sperrfrist von einem Jahr. Der Schwulen- und Lesbenverband rechnet aber nicht damit, dass viele Transmenschen von der Möglichkeit Gebrauch machen – bislang liege der Anteil der Personen, die ihr altes Geschlecht zurück wollen, konstant bei etwa einem Prozent.

Dürfen auch Minderjährige ihr Geschlecht ändern?

Es gibt kein Mindestalter. Allerdings brauchen Kinder und Jugendliche die Zustimmung der Eltern: Bis 14 Jahre müssen sie eine Erklärung gegenüber dem Standesamt abgeben. Bei älteren Kindern reicht die Zustimmung – es sei denn, sie gefährden offenkundig das Kindeswohl, weil sie den dringenden Wunsch des Kindes ablehnen. Hintergrund ist, dass das Gefühl, im falschen Körper zu leben, laut Deutscher Gesellschaft für Transsexualität in den meisten Fällen zu Depressionen und schweren psychosomatischen Problemen führt. Die CDU bezeichnet das als anmaßend: Das Gesetz greife „unverhältnismäßig in die verfassungsrechtlich geschützten Elternrechte ein. Dass laut Gesetzesbegründung bei Uneinigkeit der Eltern sogar der Verlust des Sorgerechts bei einem Elternteil möglich sein kann, gleicht einer Drohung“, sagt Silvia Breher, familienpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dieser Redaktion.

Wie verbreitet ist eine Transidentität bei jungen Menschen?

Nach der Erfahrung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gewinnt das Thema Geschlechtsidentität an den Schulen an Präsenz. In jeder Klasse gebe es statistisch mindestens eine betroffene Person, sagt GEW-Vorstandsmitglied Frauke Gützkow dieser Redaktion.

Für Tomi Neckow, Vize-Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), liege das nicht an einer generellen Zunahme von Transsexualität. „Es gibt heute schlicht mehr Menschen, die ihren Wunsch nicht mehr verschweigen“. Diese Erfahrung macht auch Kinderärztin Angela Schütze-Buchholz.

Viele Jugendliche kämen mit psychosomatischen Beschwerden, und viel häufiger als früher bestätigten die jungen Patienten, dass die Probleme mit ihrer Geschlechtsidentität zusammenhingen. „Es ist auf keinen Fall nur ein großstädtisches Modethema“, sagte sie dieser Redaktion.

Können Kriminelle das Gesetzmissbrauchen?

Dies Befürchtung hatte zunächst das Bundeskriminalamt. Um dies zu verhindern, sollen die Standesämter die Daten an die Meldebehörden und somit auch die Strafverfolgungsbehörden weitergeben, die prüfen können, ob ein Verfahren oder eine Fahndung läuft.

Was wird noch kritisiert?

Frauenrechtlerin Alice Schwarzer hält dagegen die Zunahme von Transsexualität durchaus für eine Modeerscheinung. Dieser Redaktion sagte sie, der Gesetzesentwurf „in der Form gefährdet Kinder und Jugendliche, denen der Geschlechtswechsel verlockend leicht gemacht wird.“ Zudem sorgt sich Schwarzer, dass sich Transpersonen Zutritt in für Frauen geschützte Räume verschaffen. Es gefährde „Frauen, in deren Schutzräume biologische Männer, die sich einfach als Frauen definieren, eindringen könnten.“ Um dies zu verhindern, sieht das Gesetz ein Hausrecht für Betriebe vor. Das wiederum kritisiert die CDU: Das Gesetz überlasse „dem Bademeister oder dem Fitnesstrainer, ob eine Transperson in die Frauenumkleide darf“, sagt Silvia Breher. Dies kontert Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman: „Kein Mann muss seinen Geschlechtseintrag ändern lassen, um in Deutschland eine nackte Frau zu sehen“, sagt sie.

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