Migration

Streit ums Geld für Flüchtlinge

Die Kommunen rechnen damit, dass viele länger in Deutschland bleiben werden. Aber wer trägt die Kosten?

Von 
Christian Unger
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Angekommen: Flüchtlinge warten am Flughafen in Erfurt, um zu erfahren, wohin es weitergeht. © Michael Reichel/dpa

Berlin. Es sind lokale Nachrichten, die kaum durchdringen im Rauschen großer Debatten über Krieg, Klima und Corona. Vor einigen Tagen meldet die Stadt Hannover, sie kaufe eine ehemalige Unfallklinik – und bringt dort Geflüchtete unter. Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen bittet Kirchen um Hilfe bei der Flüchtlingsversorgung. Berlin will bis Jahresende 10 000 neue Plätze in Unterkünften schaffen. Turnhallen, Schulgebäude, Kasernen in der ganzen Republik werden wieder zu Notfallheimen. Es sind Meldungen, die erst in ihrer Häufigkeit ihre politische Wucht entfalten.

Ab heute tagen die Innenminister der Länder mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in München. Wieder geht es um die Lage der Geflüchteten. Schon Mitte Oktober, und zuletzt Mitte November, hatte es Krisengipfel von Bund, Ländern und Kommunen in Berlin gegeben. Immer geht es darum, wie der Bund den Kommunen am Limit doch noch mehr helfen kann, obwohl qua Gesetz die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten Aufgabe der Länder ist. Immer geht es darum, wie viel Geld der Bund den Ländern gibt, dafür, dass sie diese Aufgabe stemmen müssen.

Und nun will Innenministerin Faeser für den Sicherheitsgipfel in München noch ein Thema auf die Agenda setzen: Den Schutz der Einrichtungen. Im Innenministerium ist man besorgt, wie deutlich die Zahlen der Übergriffe auf Unterkünfte zuletzt wieder hochgeschossen waren. Im zweiten und dritten Quartal registrierte die Polizei bundesweit 46 Attacken – weitaus mehr als im Zeitraum der Vorjahre.

Mehr als eine Million Menschen sind aus der Ukraine seit Beginn des Krieges in Deutschland registriert. Ein Teil ist wieder zurückgekehrt. Ein Teil ist weitergezogen in einen anderen EU-Staat. Hinzu kommen knapp 200 000 Asylsuchende, die über Mittelmeer, Balkan und vor allem aus Griechenland oder Italien nach Deutschland geflohen sind. Das ist zwar ein leichter Anstieg etwa von geflohenen Syrern, Afghanen, Somaliern im Vergleich zum Vorjahr, wäre aber kaum eine Debatte in Deutschland. Entscheidend für die deutsche Asylpolitik ist, was in der Ukraine passiert.

„Wir müssen damit rechnen, dass vor dem Hintergrund des Krieges und eines harten Winters in der Ukraine eher mehr als weniger Menschen in den kommenden Wochen und Monaten zu uns kommen werden“, sagt Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) unserer Redaktion. „Die aktuelle Lage bei der Aufnahme von Menschen aus der Ukraine und Asylbegehrenden aus anderen Ländern ist sehr herausfordernd.“

Je länger der Krieg dauere, desto mehr Menschen würden die Ukraine verlassen müssen, sagt auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, unserer Redaktion. „Deshalb müssen die Städte umgehend einbezogen werden, wenn Bund und Länder über Fluchtbewegungen und Lagebilder sprechen. Die Städte brauchen außerdem klare Ansagen von Bund und Ländern, wie viele Plätze sie für den kommenden Winter vorhalten sollen. Auch wenn niemand die Zukunft vorhersagen kann, wir brauchen Planungsgrundlagen, damit Container aufgestellt, Betten gekauft und Zeltstädte errichtet werden können.“ Dedy fordert zudem, dass die Länder die Plätze in ihren eigenen Aufnahmeeinrichtungen „deutlich aufstocken und zusätzliche dauerhafte bezugsfertige Unterkünfte errichten“.

Um die Kosten wird nun wieder gerungen. Die Bundesregierung hilft mit 3,5 Milliarden Euro in diesem Jahr und noch einmal knapp drei Milliarden 2023. Zudem stellt der Bund rund 300 Liegenschaften mit knapp 70 000 Plätzen für Notunterkünfte bereit. „Auf dem Immobilienmarkt gibt es viel weniger Angebote als noch vor fünf, sechs Jahren – und schon damals war es eng“, sagt Minister Pistorius. Bis März will Niedersachsen „einige ehemalige Kasernen und Jugendherbergen“ für Geflüchtete bereitstellen.

Auch weitere Immobilien des Bundes sollen überprüft werden. Die Not an Plätzen ist akut. Mit Sorge blicken deutsche Innenpolitiker und Sicherheitsfachleute auf die Wintermonate. Die Ukraine musste russische Angriffe auf Infrastruktur hinnehmen. Viele Menschen sind ohne Wasser und Strom. Bisher sieht man in den Sicherheitsbehörden keine neuen starken Fluchtbewegungen aus der Ukraine. Aber: Vieles hängt davon ab, wie schnell die Ukraine repariert.

Auch deshalb investieren die EU-Staaten Milliarden an Hilfen in die Ukraine. Nicht nur militärisch, sondern auch humanitär. Allein das Deutsche Rote Kreuz hilft nach eigenen Angaben mit 7000 Heizöfen, 100 Generatoren und 20 mobilen Tankanlagen. Mehr als 600 Millionen Euro Hilfe für die Ukraine kamen schon in den ersten Monaten des Krieges aus Deutschland. Hilfsorganisationen arbeiten jetzt auch daran, Unterkünfte in den Teilen der Ukraine für Geflüchtete aus dem Land winterfest zu machen, in denen weniger Beschuss herrscht.

Eine andere Gewissheit: Die Menschen aus der Ukraine, die schon hier sind, könnten bleiben. Noch im Mai erklärte Innenministerin Faeser, sie rechne damit, dass die Mehrheit der Kriegsflüchtlinge zurückkehren werde. Mittlerweile werden Stimmen lauter, die sagen: Viele Geflüchtete werden bleiben, vielleicht über Jahre. Vielleicht für immer.

„Wir sehen in der Migrationsforschung, dass die meisten Menschen nicht dann fliehen, wenn der Krieg am schlimmsten ist. Sondern dann, wenn sie ihre Hoffnung auf Frieden verlieren. So war es auch im Syrien-Krieg“, sagt Migrationsexperte Aladin El-Mafaalani unserer Redaktion. „Deutschland und die EU müssen sich darauf einstellen, dass Geflüchtete aus der Ukraine dauerhaft hierbleiben werden und auch ihr Leben hier aufbauen werden.“ Ähnliches sagt der Städteverband. Bund und Länder sollten sich verständigen, „wie die langfristige Integration finanziert werden soll, und dürfen das nicht verschlafen“, so Hauptgeschäftsführer Dedy. „Wir brauchen zusätzliche Kitaplätze, mehr Schulen und Wohnraum. Diese Investitionen müssen die Städte jetzt planen. Notwendig sind konkrete Finanzierungszusagen.“ Gerade Kinder und Jugendliche – mehr als 300 000 aus der Ukraine – zu versorgen, ist herausfordernd.

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