Berlin.
Stromausfall, drohende Flutkatastrophe, Pandemieausbruch, flächendeckende Cyberattacke – die Szenarien für Bedrohungen sind in Deutschland gewachsen. Wer die Debatten verfolgt, hört immer wieder ein Wort: Resilienz. Die Menschen sollen „resilienter“ werden gegenüber Krisen und Katastrophen. Der Begriff aus der Werkstoffphysik bedeutet, dass Material nach einer Erschütterung wieder zurückfindet in die Form, in den Ursprung. Angesichts von Kriegen und Klimakrise sollen die Gesellschaften besser für Ausnahmesituationen und Notfälle gewappnet sein. Training für den Ernstfall – eine Art Krisen-Elastizität, die uns hilft, die Gefahren abzufedern. Ein Baustein dieser Strategie der Regierungen von Bund und Ländern ist der Warntag im Dezember.
Am 8. Dezember wollen Regierungen, Feuerwehren, Wetterdienste, Polizeien, Hochwasserzentralen die Menschen warnen. Auch Deutschlands Cyberabwehrbehörde BSI beteiligt sich. Koordiniert wird der Tag vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, dem BBK, das eine zentrale Funktion im Ernstfall einnehmen soll. An dem Tag soll ein Katastrophenszenario eingeübt werden, die Menschen sollen wissen, wie sie im Ernstfall von der Notlage erfahren. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Warntag:
Was passiert genau an diesem Tag?
Am 8. Dezember geht um 11 Uhr eine Warnung an so viele Menschen wie möglich in Deutschland. Die noch vorhandenen und neu installierten Sirenen heulen auf, Meldungen werden in Radio und Fernsehen gesendet, über digitale Stadtinformationstafeln ausgestrahlt, in einigen Teilen Deutschlands sollen Lautsprecherwagen zum Einsatz kommen. Viele Rathäuser informieren schon jetzt vorab über die geplanten Maßnahmen am 8. Dezember. Auch per Nachricht auf das Handy kommt die Warnung an, etwa wenn die Warn-Apps Nina und Katwarn installiert worden sind. Die Meldung über den Probealarm soll über möglichst viele Kanäle und Medien verbreitet werden – der „Warnmittelmix“ oder das sogenannte Modulare Warnsystem (Mowas).
Die Idee: Menschen sind alarmiert, informieren sich im Internet oder Radio über die Notlage, rufen Freunde und Familie an. In der Regel enthalten Warnmeldungen zudem Hinweise dazu, wie man sich verhalten soll, etwa: Fenster zu schließen, wenn chemische Dämpfe aus einem Industriebetrieb austreten, oder eine Region zu verlassen, wenn dort Flutwellen drohen. Jede Warnung wird von den zuständigen Behörden auch entwarnt. Und zwar am Ende der Übung am 8. Dezember mit einer neuen Meldung, voraussichtlich um 11.45 Uhr.
Warum gibt es den Warntag überhaupt?
Eine Lehre etwa aus der Flut im Ahrtal ist, dass es nicht ausreicht, nur auf Sirenen und Rundfunk zu setzen. Der Text der Warnung, die etwa über den Mobilfunk ausgesendet wird, ist kurz: „Do 08.12.2022 – 11 Uhr – Probewarnung – für Deutschland – Es besteht keine Gefahr“, heißt es etwa. Der Text ist deshalb kurz gewählt, weil vor allem erst mal erreicht werden soll, dass die Menschen erfahren, es besteht Gefahr. Diese erste Sensibilisierung gilt unter Fachleuten als besonders wichtig. Auch hier hat die Ahrtal-Flut gezeigt: Viele Anwohner wussten nicht, welche Fluten auf sie zuströmen. Die einzelnen Rettungswege und Schutzkonzepte sind häufig sehr lokal organisiert – und abhängig von der Notlage: etwa Flut, Cyberattacke oder ein großflächiger Unfall mit Chemikalien.
Zudem ist der Warntag ein Stresstest nicht nur für das Verhalten der Menschen in Notlagen – sondern auch für die Infrastruktur. Welche Sirenen funktionieren? Wie läuft die Abstimmung zwischen den Behörden? Wo sind Schwachstellen? Die Flutkatastrophe 2021 hat gezeigt, wie fatal mangelnde Investitionen etwa in traditionelle Sirenen sind. Vielerorts funktionierte die Warnung zudem nicht, weil das Stromnetz unter den Wassermassen zusammengebrochen war.
Schon 2020 war ein bundesweiter Warntag geplant gewesen – und scheiterte. Das Bundesamt leitete die Warnmeldung verzögert weiter, Bund und Länder stimmten sich ungenügend ab. Der BBK-Chef wurde entlassen.
Sollen sich die Menschen auf den Tag vorbereiten?
Um Warnungen etwa vor Unwettern oder Unfällen mit giftigen Chemikalien zu erhalten, werben die Sicherheitsbehörden für das Installieren von Warn-Apps, etwa Katwarn und Nina. Das funktioniert kostenlos und einfach über den App-Store auf dem Smartphone. Dabei ist wichtig, auf die Einstellungen im Mobiltelefon zu achten, sodass etwa Push-Nachrichten über Notfälle auf dem Display sichtbar sind.
Was verbirgt sich hinter dem Begriff „Cell Broadcast“?
Erstmals setzen die Behörden am Warntag „Cell Broadcast“ ein. „Mit keinem anderen Warnmittel können wir mehr Menschen erreichen“, heißt es beim Katastrophenschutz-Bundesamt. In Zusammenarbeit mit den Mobilfunkanbietern senden die Behörden Nachrichten an alle Smartphones und ältere Handys, die in ein Mobilfunknetz zum Zeitpunkt der Warnung eingeloggt sind. Das ist in der Regel automatisch der Fall, wo Handyempfang ist. Die Behörden benötigen keine Telefonnummern, die Anwohner keine Apps.
Telefonate werden durch das massenhafte Warnsignal nicht beeinträchtigt. Allerdings: Das Handy muss an sein. Und: Es muss technisch so gerüstet sein, dass es „Cell Broadcast“ empfangen kann. Das Betriebssystem muss mit Updates der Hersteller aktualisiert sein. Im Februar kommenden Jahres startet „Cell Broadcast“ auch offiziell.
Wie gut ist die Warninfrastruktur in Deutschland?
Über Jahrzehnte baute Deutschland Sirenen ab, schloss Bunker, sparte bei Vorräten für den Ernstfall, mit dem niemand mehr so richtig rechnete. Mit der Pandemie, dem Klimawandel und dem Krieg in der Ukraine ist die Politik zum Kurswechsel gezwungen. Die Flut im Ahrtal hat die Schwächen der Warninfrastruktur bitter vor Augen geführt. Nun investieren die Länder und Kommunen wieder in Sirenen und Löschfahrzeuge. Auch der Bund stellt das Bundesamt besser auf, stockt Personal und Mittel auf. 330 Millionen Euro gibt die Ampelkoalition 2023 für Bevölkerungsschutz aus, etwa die „Cell Broadcast“-Technik.
Werden die geplanten Maßnahmen ausreichen?
Die Grünen-Politikerin und parlamentarische Geschäftsführerin Irene Mihalic setzt sich für besseren Schutz in Notfällen ein. Sie fordert „dringend eine nationale Resilienz-Strategie zur besseren Abstimmung der Maßnahmen zwischen Regierungen, Landesämtern und Behörden“ wie Polizei und Feuerwehr. Mihalic will zudem die Forschung in Krisenmanagement stärken. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe arbeitet derzeit bereits an neuen Techniken für den „Warnmix“, beispielsweise Warnung über „smarte Laternen“, also mit zusätzlicher Technik ausgestattete Straßenbeleuchtungen.
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