Bildung

Warum angehende Lehrer aufgeben

Zahlreiche Studenten und Referendare brechen die Ausbildung ab. Das schlechte Image des Berufs und die Arbeitsbelastung sind zwei von vielen Gründen

Von 
Carlotta Richter
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Bis 2025 könnten 25 000 Lehrerinnen und Lehrer fehlen. Früher war der Beamtenstatus ein großes Plus. Das hat sich geändert. © Julian Stratenschulte/dpa

Berlin. 2017 hat Rebecca L. ihr Lehramtsstudium begonnen. Biologie und Deutsch fürs Gymnasium. „Es war mein Traumberuf“, erzählt sie. Bis sie die „bittere Realität“ gesehen habe. Schon während der ersten Studienjahre seien ihr Zweifel gekommen, aber das positive Feedback und die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern hätten diese aus dem Weg geräumt. Also machte die 29-Jährige ihr Erstes Staatsexamen.

Doch dann kam der finale Teil der Ausbildung, das Referendariat, und damit waren die Zweifel zurück. Durch Freundinnen und Freunde habe sie schon immer mitbekommen, wie unglaublich anstrengend diese Zeit sei. Zusätzlich zum Stressfaktor seien dann noch die niedrige Bezahlung im Referendariat und die Aussicht auf eine hohe Belastung im Beruf gekommen. „Ich habe Freundinnen und Freunde, die beim Lehramt geblieben sind, die jeden Abend bis 23 Uhr Unterlagen vorbereiten“, sagt Rebecca. Als sie dann nur einen Platz rund 350 Kilometer von ihrem Wohnort entfernt erhielt, stand ihre Entscheidung fest. „Plötzlich haben all die negativen Punkte überwogen“, erinnert sie sich. Also sagte die 29-Jährige ab. Heute arbeitet sie in einem anderen Bereich. Bereut hat sie die Entscheidung nicht. Im Gegenteil: Es sei die beste Entscheidung gewesen, die sie dieses Jahr getroffen habe, sagt sie.

In den kommenden Wochen starten die ersten Bundesländer in das neue Schuljahr. Schon jetzt sind Tausende Stellen für Lehrkräfte unbesetzt, und die Aussichten sind schlecht: Bis 2025 könnten laut Kultusministerkonferenz rund 25 000 Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland fehlen – andere Schätzungen gehen von noch höheren Zahlen aus. Umso wichtiger wäre ein großer Nachwuchs an Lehrkräften. Genau wie Rebecca brechen allerdings zahlreiche angehende Lehrkräfte das Studium ab.

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Laut einer aktuellen Studie des Stifterverbands haben in den vergangenen Jahren von rund 52 500 jungen Menschen, die durchschnittlich pro Jahr ein Lehramtsstudium begonnen haben, nur 28 300 das Referendariat beendet. Das heißt: Etwas weniger als die Hälfte der Studierenden brach entweder im Laufe des Studiums oder im Referendariat die Ausbildung ab. Den größten Schwund gab es dabei in den ersten Studienjahren – hier entschieden sich durchschnittlich 20 000 Studierende gegen eine Fortsetzung der Ausbildung.

Das Fazit des Stifterverbands: Selbst wenn alle, die ein Lehramtsstudium beginnen, am Ende auch unterrichten würden, könnte der Bedarf an Lehrkräften nicht gedeckt werden. Theoretisch müssten also nicht nur deutlich mehr Studierende einen Abschluss machen, sondern auch deutlich mehr Personen überhaupt ein Studium beginnen. Doch wodurch entsteht diese Lücke?

Zum einen gibt es dafür demografische Ursachen. „Grundsätzlich ist es so, dass wir aktuell zu wenig junge Menschen haben für viel mehr zur Verfügung stehende Ausbildungsplätze, für Studienplätze und weitere berufliche Tätigkeiten“, sagt die Vorsitzende des Deutschen Philologenverbands, Susanne Lin-Klitzing. Das betreffe nicht nur das Lehramt, sondern fast alle Bereiche. Daneben spielen aber auch andere Gründe eine Rolle, etwa das schlechter werdende Image des Berufs. „In der letzten Zeit wird immer deutlicher, dass das ein Beruf ist, der anstrengend und hoch belastend ist“, erklärt Lin-Klitzing. Neben der eigentlichen Tätigkeit, nämlich dem Unterrichten, hätten Lehrkräfte mittlerweile zahlreiche andere Aufgaben zu erledigen, für die sie häufig gar nicht ausgebildet seien. Hinzu kämen ein sowieso schon hohes Arbeitspensum und nicht immer gute Arbeitsbedingungen.

Laut dem Präsidenten des Deutschen Lehrerverbands, Stefan Düll, ist auch die sich wandelnde Vorstellung von Arbeit ein Grund dafür, dass sich nicht genug junge Menschen für den Beruf entscheiden. „Es ist so, dass junge Menschen heute sehr viele verschiedene Möglichkeiten haben – und auch eine andere Sicherheit im Hinblick auf ihre Perspektiven“, sagt Düll. Früher sei beispielsweise der Beamtenstatus ein großes Plus des Lehramts gewesen– heute spiele das eine deutlich kleinere Rolle. Dafür sei das Thema Homeoffice wichtig. „Unterrichten, das hat uns Corona gezeigt, funktioniert allerdings nicht aus dem Homeoffice. Um wirklich gute Arbeit leisten zu können, muss man den Schülerinnen und Schülern direkt begegnen“, erläutert Düll.

Dass so viele Menschen ein Lehramtsstudium abbrechen, liegt laut den Verbänden auch daran, dass ein Großteil der Bundesländer das Studium mittlerweile vom Staatsexamen auf ein Bachelor-Master-System umgestellt hat. „Ich halte das für eine grundlegende Fehlorientierung“, sagt die Philologenverbandsvorsitzende Lin-Klitzing. Denn das System sei darauf ausgelegt, das sich Studierende im Laufe der Ausbildung umorientieren könnten, wodurch sie sich mehr gegen das Lehramt entscheiden würden.

Fehlende Identifikation

Aus der Sicht von Bildungsfoscher Ulrich Heublein gibt es im Lehramtsstudium– neben allgemeinen Gründen, die in allen Fächern vorhanden seien – vor allem zwei Ursachen für Abbrüche: zum einen eine fehlende Identifikation mit dem Studium und damit auch dem Beruf, ausgelöst dadurch, dass Lehramtsstudierende oftmals drei unterschiedliche Fachbereiche studieren. Und zum anderen ein fehlender Praxisbezug: „In keiner anderen Studienrichtung spielt dieses Thema eine so große Rolle wie im Lehramt“, sagt der Leiter des Projekts „Studienabbruch“ am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. Wenn junge Menschen Zweifel daran hätten, dass sie an der Universität die notwendigen Fähigkeiten für den Berufsalltag erlernen würden, trage das stark dazu bei, dass sie das Studium abbrechen würden.

Laut dem Stifterverband entschließen sich jedes Jahr durchschnittlich etwa 2000 Studierende, das Referendariat gar nicht erst zu beginnen oder nicht zu beenden. Als Grund wird oftmals der Praxisschock genannt, die erstmalige Konfrontation mit der Arbeit in der Schule. Damit steht das Lehramt nicht alleine da, die Belastung im Referendariat steigt allerdings. Das liege unter anderem daran, dass das Referendariat in vielen Bundesländern auf teilweise nur noch zwölf Monate verkürzt worden sei, sagt Lin-Klitzing. Die zu erbringende Leistung sei jedoch gleich geblieben.

Um den Lehrkräftemangel zu bekämpfen und Studium sowie Job wieder attraktiver zu machen, hat die Kultusministerkonferenz im März einen Maßnahmenkatalog beschlossen. Darin ist unter anderem auch eine bedarfsbezogene Weiterentwicklung des Studiums vorgesehen – wie genau diese aussehen soll, ist offen. Auch einige Bundesländer haben bereits Maßnahmen ergriffen. So will beispielsweise Baden-Württemberg ab dem kommenden Jahr testweise einen dualen Masterstudiengang für das Lehramt einführen. Rebecca hingegen würde heute wahrscheinlich nicht mehr Lehramt studieren, sagt sie. Zumindest nicht mit dem Ziel, Lehrerin zu werden.

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