Washington/Kabul. Hunderttausende Soldaten aus Dutzenden Staaten, westliche Hilfsgelder in Milliardenhöhe, ein beispielloser Kraftakt der Internationalen Gemeinschaft - und trotzdem herrschen in Afghanistan wieder die Taliban. Was bleibt nach fast 20 Jahren Einsatz?
Der Westen ist gescheitert: Eine vor allem mit russischen Sturmgewehren und Panzerfäusten bewaffnete Islamisten-Truppe hat sich gegen die Supermacht USA und deren Verbündete durchgesetzt, die zeitweise mehr als 100 000 internationale Soldaten im Einsatz hatten.
Al-Kaida ist geschwächt: US-Präsident Joe Biden argumentiert, das wesentliche Ziel des Einsatzes sei spätestens mit der Tötung von Al-Kaida-Chef Osama Bin Laden vor gut zehn Jahren erreicht worden. Die Organisation ist geschwächt, und die USA mussten seit dem 11. September 2001 keinen ähnlichen Terrorangriff mehr durchleiden.
Dschihadisten weltweit sind ermutigt: Gewaltbereite Gruppen dürften sich in ihrer Ansicht bestätigt fühlen, dass sie nur ausharren müssen, bis dem Westen die Geduld ausgeht. Das könnte auch der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) neuen Zulauf bringen.
Das Vertrauen in die USA ist erschüttert: Die europäischen Verbündeten haben erleben müssen, dass Biden zwar Partnerschaft predigt, bei zentralen Fragen aber – wie sein Vorgänger Donald Trump – doch allein entscheidet. Desillusioniert sind aber vor allem jene Afghanen, die den Versprechen geglaubt haben, dass der Westen sie nicht im Stich lassen würde.
China und Russland sind gestärkt: Während westliche Staatsbürger nach der Machtübernahme der Taliban die Flucht ergriffen, ließen Russland und China ihre Botschaften in Kabul geöffnet. Taliban-Vizechef Mullah Ghani Baradar, der als künftiger Regierungschef in Kabul gehandelt wird, wurde bereits im Juli in Moskau und Peking empfangen. 1
Biden ist angeschlagen: In den Chaos-Tagen rund um den Abzug hat Biden deutlich an Zustimmung verloren. Nach den Statistikern der Webseite FiveThirtyEight, die Umfragen zusammenführen und gewichten, sind erstmals mehr Menschen unzufrieden als zufrieden mit seiner Amtsführung. Biden selber räumt keine Fehler ein.
Bundeswehr hat kämpfen gelernt: Als „Bad Kundus“ wurde der Einsatzort der Bundeswehr zunächst verspottet, doch die Ruhe in Nordafghanistan sollte nicht lange vorhalten. Die Taliban erstarkten, deutsche Soldaten wurden getötet – und Bundeswehr-Soldaten töteten ihre Gegner im Gefecht. Das Bild vom Brunnenbohrer in Uniform, hatte bald nicht mehr viel mit der Realität zu tun.
Der Blutzoll war enorm: Mehr als 3500 ausländische Soldaten kostete der Afghanistan-Einsatz ihr Leben, unter ihnen auch 59 Deutsche. Schätzungen zufolge wurden mehr als 45 000 Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte getötet, auch Zehntausende Taliban-Kämpfer dürften ihr Leben verloren haben. Hinzu kommen Zehntausende getötete Zivilisten.
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Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel Kommentar Den Soldaten schuldig