Mannheim. Ich bin Aufzug gefahren mit Ruud Gullit. Für alle Leserinnen und Leser, die intelligenten deutschsprachigen Indie-Pop mögen: Nein, das ist kein Songtitel von Tocotronic oder Kettcar. Das ist tatsächlich passiert.
Auf einmal stand er vor mir. Im Erdgeschoss der Münchner EM-Arena. An die Stelle seiner legendären Dreadlocks, im Online-Handel immer noch als „Ruud-Gullit-Perücke“ erhältlich, ist eine unauffällige Kurzhaarfrisur getreten. Mit 61 Jahren wird man eben gesetzter. Aber ich erkannte ihn natürlich sofort.
Der Mann ist eine Fußball-Legende. Europameister 1988 mit den Niederlanden, zwei Titel im Europapokal der Landesmeister mit der AC Mailand 1989 und 1990. Gullit konnte Dinge mit dem Ball, bei denen sich mancher deutsche Nationalspieler zu jener Zeit sehr sicher die Haxen gebrochen hätte. Totaalvoetbal mit künstlerischem Anspruch.
„Which floor?“, fragte er mich freundlich auf Englisch, als er den Etagenknopf bediente. „Six, press tribune, please“, antwortete ich leicht verlegen. Er hätte das ja nicht tun müssen. Gab für die Abwesenheit von Allüren schon mal Pluspunkte.
Gullit macht mittlerweile das, was alle früheren Legenden machen, bei denen es für eine ordentliche Trainerkarriere nicht gereicht hat: Er arbeitet als Fernsehexperte. In Gullits Trainer-Vita stehen illustre Stationen wie Tarek Grosny und LA Galaxy. Das muss insgeheim wehtun, wenn man als Spieler absolute Weltklasse verkörpert hat.
In München war Europas Fußballer des Jahres 1987 mit einigen Menschen unterwegs, die Arabisch sprachen. Ruud, hoffentlich darf ich ihn trotz unserer nur kurzen Begegnung schon duzen, verstand offensichtlich nichts.
Aber mich fand er scheinbar halbwegs in Ordnung. Als wir im sechsten Stock angekommen waren, hob er die Hand zum Abschiedsgruß und sagte: „See you“. Wäre wirklich schön, ihn noch einmal wiederzusehen.
Dann könnte er mir bei einer Tasse Kaffee erzählen, wie das damals war, im WM-Achtelfinale 1990. Als sein Kumpel Frank Rijkaard unserem Rudi Völler in die Haare spuckte. Schiedsrichter Juan Carlos Loustau stellte in einem Akt der Torheit beide Spieler vom Platz. Deutschland gewann 2:1 und wurde später Weltmeister. Fußball-Historie.
In der Gegenwart muss sich Gullit mit anderen Fragen herumschlagen. Beim EM-Spiel der Holländer gegen Polen (2:1) setzten sich einige „Oranje“-Fans Gullit-Perücken auf und malten sich ihre Gesichter dunkel an. Die „Rasta-Ruuds“ lösten einen kleinen Eklat aus. Denn „Blackfacing“, die Darstellung schwarzer Menschen durch dunkel geschminkte weiße Menschen, gilt heutzutage als rassistisch. Gullit nahm es gelassen. „Ich fühle mich geehrt“, sagte er sogar. So entspannt habe auch ich Ruud Gullit kennengelernt – bei unserer kurzen Begegnung im Aufzug.
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Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel "Trinkpause" EM-Kolumne: Wie ich mit Ruud Gullit im Aufzug gefahren bin
In München trifft EM-Reporter Alexander Müller zufällig eine niederländische Fußball-Ikone. Ruud Gullit stellt sich dabei als zuvorkommender Mensch ohne Allüren heraus