Bundestrainer Alfred Gislason lief alleine die Seitenlinie rauf und runter. Es war seine Art, die große Enttäuschung nach dem riesigen Schock zu verarbeiten. Die deutsche Handball-Nationalmannschaft hat die Heim-Europameisterschaft als Vierter beendet. Auf dem undankbarsten aller Ränge. Im Spiel um Platz drei unterlag die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) in Köln gegen Schweden mit 31:34 (12:18). Das sorgte für Frust. Hier und da auch für Tränen. Bei den Spielern. Und den 19 750 Fans, die ihren Helden nach dem Schlusspfiff zujubelten. Sich von ihren Plätzen erhoben. Und applaudierten. Doch in Momenten wie diesen gibt es keinen Trost.
„Wenn man unter die letzten vier Mannschaften kommt, ist Platz vier natürlich das Schlimmste“, sagte DHB-Sportvorstand Axel Kromer, der nach der schweren Enttäuschung recht schnell die Fassung wiederfand. Die Niederlage bedeutet für die deutsche Mannschaft außerdem, dass sie noch nicht die Teilnahme an den Olympischen Spielen im Sommer sicher hat. Sie muss im März noch ein Qualifikationsturnier gegen Kroatien, Österreich und Algerien bestreiten.
Gislason will weitermachen
Gegen Schweden wurde der deutschen Mannschaft wieder einmal die Chancenverwertung zum Verhängnis. „Das ist extrem bitter. Wir können das besser. Das ist uns jetzt nicht das erste Mal im Turnier passiert und das ist etwas, was wir in Zukunft besser machen müssen, wenn wir weiter nach oben wollen“, sprach Kapitän Johannes Golla ein großes Problem an.
Das sah auch Gislason so, doch der Bundestrainer hatte auch eine Erklärung parat: „In diesen Situationen fehlt uns die Erfahrung als Mannschaft. Das müssen wir anders machen. Wenn einer verwirft, dann versucht der andere, es besser zu machen. Unser Spiel wird dann immer schneller.“ Und fehlerbehafteter. „Da geht eine Lawine durch die Mannschaft. Uns fehlt die Geduld“, sagte Gislason, der dennoch mit dem Turnier zufrieden war: „Schweden, Frankreich und Dänemark stehen nicht ohne Grund vor uns. Wir haben nicht so viel Erfahrung wie diese Nationen. Aber ich glaube, dass wir deutlich näher herangekommen sind.“
Sein Vertrag beim DHB endet nach dem Olympia-Qualifikationsturnier. Der Isländer sieht seine Arbeit noch nicht vollendet: „Ich habe dem Verband signalisiert, dass ich das gerne mache.“
Juri Knorr von den Rhein-Neckar Löwen wurde vor der Begegnung als bester Spielmacher mit der Nominierung fürs All-Star-Team geehrt, Andreas Wolff als bester Torwart. Doch ausgerechnet dieses Duo bestätigte in der ersten Halbzeit die bislang gezeigten Leistungen nicht. Für Knorr war nach vier Fehlwürfen und nicht einmal einer Viertelstunde Schluss, fünf Minuten später wurde auch Wolff ausgewechselt. Doch schon vor dem Turnier war ja klar: Wenn diese beiden Profis nicht am Maximum spielen, wird es schwer. In jeder Partie. Und vor allem gegen einen Gegner wie Schweden.
Gislason nahm Knorr, der an besonderen Tage besondere Dinge beherrscht, allerdings ausdrücklich in Schutz: „Juri wird bald 24 Jahre alt. Alles prasselt auf ihn. Alle sehen ihn als Retter der Nation, aber das ist er nicht. Juri ist ein Talent, er wird immer besser. Er setzt sich manchmal aber selbst zu sehr unter Druck.“
Die deutsche Mannschaft startete gleich mit drei Fehlwürfen, Schweden zog früh auf 8:4 (12.) davon. Die Skandinavier kontrollierten die Partie in der ersten Halbzeit nicht nur, sie dominierten das Duell. Und zwar nach Belieben. Weil sie dank deutscher Leichtsinnsfehler ins Tempospiel kamen und mit Andreas Palicka (14 Paraden) einen überragenden Schlussmann in der ersten Halbzeit hatten.
Gislason nahm frühe eine Auszeit und hatte danach noch einmal Gelegenheit, zu seiner Mannschaft zu sprechen. Wegen eines medizinischen Notfalls wurde die Partie unterbrochen, 19 750 Menschen hielten den Atem an. Stille auf den Rängen. Die Ärzte beider Teams rannten auf die Tribüne, kamen als Retter in der Not. Und kehrten knapp fünf Minuten später Arm in Arm zurück. Auch das ist Handball. Die gute Nachricht: Dem hilfsbedürftigen Mann ging es nach kurzer Behandlung wieder besser, er war ansprechbar.
Sprachlos machte einen hingegen die abenteuerliche Offensivleistung des DHB-Teams, das sich einen Gegenstoß nach dem anderen fing. Der 12:18-Rückstand zur Pause war verdient und spiegelte die Kräfteverhältnisse auch richtig wider. „Wenn man gegen Schweden bestehen will, ist solch eine erste Halbzeit eine Art Selbstmord“, sagte Gislason.
Mit Wolff und Knorr starteten die Deutschen in den zweiten Durchgang. Der Torwart führte sich mit einer Parade ein, der Spielmacher mit einem Ballverlust. Doch danach riss er das Spiel mit dem Mute der Verzweiflung an sich. „Er hat das richtig gut gemacht“, lobte Gislason.
Seine Mannschaft verteidigte nach dem 14:21 (37.) immer besser. Schlussmann Wolff wurde zum Faktor. Tor um Tor holten die Deutschen auf, beim 29:30 (54.) war sogar die Wende drin. Aber dann setzte Palicka mit vier Paraden in den letzten sechs Minuten die großen Ausrufezeichen. Oder anders ausgedrückt: Da war sie wieder, die deutsche Abschlussschwäche.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/sport/handball_artikel,-handball-deutsche-handballer-fuehlen-die-totale-leere-_arid,2170402.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/themen-schwerpunkte_dossier,-olympische-spiele-2021-in-tokio-_dossierid,246.html