Herr Gaugisch, Sie trainieren sehr erfolgreich den Bundesligisten SG BBM Bietigheim. Wie ernüchternd ist es, zwischendurch zur Nationalmannschaft zu kommen?
Markus Gaugisch: Gar nicht. Ich gebe allerdings zu, dass ich mich noch daran gewöhnen muss, nicht täglich mit meinen Spielerinnen bei der Nationalmannschaft arbeiten zu können.
Außerdem gewinnen Sie mit Bietigheim fast immer. Das gilt fürs Nationalteam nicht unbedingt.
Gaugisch: Das stimmt. Ich habe mich bei der Nationalmannschaft nicht in ein gemachtes Nest gesetzt. Aber das war mir klar, als ich zugesagt habe. Wir haben Potenzial, die Aufgabe ist jedoch langfristig angelegt.
Ganz so langfristig wird beim Deutschen Handballbund (DHB) aber nicht nur gedacht. Kurzfristig sollen die Olympia-Teilnahme 2024 in Paris und eine erfolgreiche Heim-WM 2025 her.
Gaugisch: Wir brauchen Zeit. Aber es ist selbstverständlich, Ziele vorzugeben. Gerne auch hohe Ziele. Ob man die dann immer erreicht, ist ein anderes Thema. Dafür können wir keine Versicherung abschließen. Der Frauen-Handball in Deutschland soll sich entwickeln und deshalb sind diese Ziele legitim. Ich stehe dahinter. Wir alle wollen zu Olympia, ich will zu Olympia. Dafür arbeite ich jeden Tag. Ich kann ja auch schlecht sagen: „Mein Ziel ist es, dass ich mir Paris 2024 mit einem guten Gefühl im Fernsehen anschaue.“ Das möchte ich auf keinen Fall.
Etwa zwei Monate sind seit der EM vergangen: Wie fällt rückblickend Ihr Fazit aus?
Gaugisch: Die Erkenntnisse stimmen mit dem Gefühl unmittelbar nach dem Turnier überein. Mit dem siebten Platz stehen wir dort, wo wir aktuell hingehören. Meiner Meinung nach ist zwischen Rang fünf und zehn viel Bewegung hinter der unmittelbaren europäischen Spitze. Mit Norwegen, Dänemark, Frankreich und Schweden haben sich vier Nationen ein wenig vom Rest abgesetzt. Alle Platzierungen dahinter sind von der Tagesform abhängig, weil sich fast alle Teams auf einem Leistungsniveau befinden.
Was fehlt den Deutschen, um das führende Quartett zu gefährden?
Gaugisch: Die Topnationen können ihr Spielsystem nahezu beliebig verändern. Nehmen wir die Französinnen. Die haben eine Reihe, die das Eins-gegen-eins bevorzugt und kreativ arbeitet. Und wenn das nicht funktioniert, kommen eben zwei, drei andere aufs Feld und es wird mit klassischen Spielzügen agiert und aus neun Metern aufs Tor geworfen. Auch die Variabilität und die Flexibilität in der Abwehr sind höher. Und das alles mit einer unverändert hohen Qualität. All das verwundert mich aber auch nicht.
Warum?
Gaugisch: Die Spielerinnen der Topnationen sind alle Leistungsträgerinnen in internationalen Spitzenmannschaften. Diese Frauen sehe ich Woche für Woche in der Champions League. Und zwar nicht als Mitläuferinnen, sondern als entscheidende Spielerinnen. Diese Qualität haben wir in Deutschland noch nicht. Es ist einfach Fakt: Uns fehlen noch die Breite und die Stabilität auf höchstem Niveau. Aber unser Weg führt dorthin.
Woran machen Sie das fest?
Gaugisch: Alina Grijseels ist ein sehr gutes Beispiel. Sie ist in der Bundesliga die prägende Figur bei Borussia Dortmund und geht nun nach Metz. Das ist sehr schade für Dortmund und die Liga, aber für sie ein logischer Schritt, den sie machen muss. Sie ist bereit für diese Herausforderung bei einem der besten vier Clubs in Europa. Ich bin überzeugt davon, dass Alina in Metz noch besser wird, weil sie sich dort in jedem Training mit den Besten misst. Sie wird dort immer gefordert, muss stets an die 100 Prozent kommen. Nur das bringt Alina weiter. Und das hilft dann auch der Nationalmannschaft.
Was kann noch zu einer stärkeren Frauen-National-mannschaft führen?
Gaugisch: Es geht nur gemeinsam mit den Bundesligisten, weil die Spielerinnen zu 90 Prozent ihrer Zeit bei ihren Clubs sind. Entsprechend hätte ich gerne, dass die Vereine ein paar Aufgaben in der täglichen Arbeit mit Blick auf die Nationalmannschaft übernehmen und ihre Spielerinnen verstärkt unterstützen. Nur wenn wir uns über Ideen und Spielsysteme austauschen, werden wir alle besser. Ich habe ein gutes Gefühl, dass wir das hinbekommen. Es gab dazu auch schon einen Austausch.
Was erwarten Sie von der Liga?
Gaugisch: Wenn Spielerinnen besser werden möchten, müssen sie sich auf den Sport fokussieren können. Geht die Spielerin nebenbei aber noch 30 Stunden arbeiten, um damit ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, wird sie nicht besser. Frauenhandball in Deutschland muss also insgesamt professioneller und auch lukrativer werden, nur dann können wir auch die individuellen Qualitäten der Spielerinnen voranbringen und den Rückstand auf die führenden Nationen verkürzen oder eben diese sogar einholen. Dafür müssen wir aber an einen Punkt kommen, an dem die Spielerinnen zu ihrer aktiven Zeit vom Handball leben können. Es muss sich also etwas verändern. Die Spielerinnen brauchen professionelle Rahmenbedingungen, um sich zu entwickeln.
Die Mannheimerin Julia Behnke und Kim Naidzinavicius wollten unter ihrem Vorgänger Henk Groener nicht mehr für die Nationalmannschaft spielen. Planen Sie mit den beiden?
Gaugisch: Julia kam gerade erst nach einer langen Verletzung zurück und spielt jetzt in Metzingen wieder häufiger. Ich wünsche ihr, dass ihr Knie hält. Ansonsten haben wir erst einmal diese Gruppe, die auch die EM gespielt hat. Diese Mannschaft wollen wir zusammenhalten und mit jüngeren Spielerinnen ergänzen.
Das hört sich jetzt nicht nach einer Rückkehr von Julia Behnke und Kim Naidzinavicius an.
Gaugisch: Ausschließen werde ich nie irgendetwas. Aber erst einmal plane ich jetzt mit der Gruppe, mit der ich auch zuletzt gearbeitet habe. Wir wollen eine Struktur erarbeiten und sind auf einem guten Weg.
Die Causa André Fuhr hat den deutschen Frauen-Handball Ende des vergangenen Jahres erschüttert, er soll Spielerinnen über viele Jahre drangsaliert haben. Inwieweit hat dieser ganze Fall Ihre Arbeit beeinflusst?
Gaugisch: Im Vorfeld der EM war das natürlich schwer, weil die Konzentration aufs Sportliche das Wichtigste ist. Doch das ging nicht, weil es eben auch dieses Thema gab. Und das kostet Energie, es zieht Aufmerksamkeit. Deshalb bin ich froh, dass sich die Lage ein wenig beruhigt hat und wir aktuell frei von äußeren Einflüssen arbeiten können. Wir wollen mit dem Frauenhandball positive Schlagzeilen produzieren – und mit dem Nationalteam vorangehen.
Hat die Thematik Ihre Herangehensweise an Ihren Job verändert? Überlegen Sie nun häufiger, wie Sie was sagen?
Gaugisch: Nein. Das Wichtigste ist der gegenseitige Respekt. Wir alle bewegen uns im täglichen Leben in irgendwelchen sozialen Gruppen. Und ich hoffe doch, dass jeder weiß, wie man dort miteinander umgeht. Ich möchte authentisch sein und glaube, dass ich den richtigen Ton treffe. Ich denke entsprechend auch nicht über jedes Wort nach, das ich sage. Es geht einfach um eine Grundhaltung, die respektvoll sein muss. Daran habe ich mich immer orientiert. Und dann klappt das auch.
In Ludwigsburg und Heidelberg stehen in der nächsten Woche nun zwei Länderspiele an. Was erwarten Sie in diesen Partien von Ihrer Mannschaft?
Gaugisch: Nach der EM waren all meine Spielerinnen sofort wieder in der Liga und den internationalen Wettbewerben gefordert. Ich freue mich, alle wiederzusehen. Wir können unsere Arbeit fortsetzen und werden miteinander besprechen, was bei der EM gut war, was besser werden muss und wo es hingehen soll. Wir testen gegen Ungarn und Polen, das sind zwei gute Gegner. Und nicht zuletzt bin ich gespannt auf meine ersten Länderspiele in Deutschland. Das wird etwas Besonderes.
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