Mannheim. Er wusste, dass dieser Tag irgendwann kommen wird. Doch richtig vorbereiten kann sich eben niemand auf solch einen emotionalen Abschied. Und so steht Nikolaj Jacobsen sichtbar ergriffen auf dem Podium in der Mitte des Spielfeldes und lässt all das, was da gerade um ihn herum passiert, einfach auf ihn einwirken. Sein Mund steht offen, seine Augen sind glasig, immer wieder holt der 47-jährige tief Luft – und als die Rhein-Neckar Löwen ein Banner mit seinem Namen unter das Dach der SAP Arena ziehen, fasst sich der scheidende Trainer ob dieser seltenen Ehre ungläubig an den Kopf und küsst seinen neben ihm stehenden Sohn Linus, der ohnehin stets in seiner Nähe und nicht umsonst auf vielen Bildern von den Titelfeiern des Handball-Bundesligisten zu finden ist. Seine Fraue Lenette und seine drei Kinder, sie stehen seit jeher für Jacobsen über allem, sie sind sein Stabilitätsanker – und erlebten in den vergangenen fünf Jahren hautnah mit, was ihr Ehemann und Vater aus den Löwen machte. Drei Supercup-Siege, zwei Meisterschaften und ein Pokalsieg sprechen für sich.
Entsprechend erheben sich am Mittwochabend 9225 Zuschauer von ihren Sitzen und applaudieren minutenlang. Aus Respekt. Aus Dank. Aus Anerkennung. Vor einem Mann, der die Löwen wachküsste, den Vize-Fluch beendete, aus ewigen Zweiten Helden machte und noch dazu nicht nur ein außergewöhnlich guter Trainer mit vielen Talenten ist, sondern auch eine besondere Persönlichkeit. Ein bodenständiger und volksnaher Typ, für den Spaß ein wichtiger Erfolgsfaktor ist und den es „mit Stolz erfüllt, dass mein Name nun auch dort oben in der Arena hängt“. Neben Uwe Gensheimer und Bjarte Myrhol. „Damit habe ich wirklich nicht gerechnet“, sagt der 47-Jährige an einem bewegenden Abend, an dem die Löwen auch Linksaußen Gudjon Valur Sigurdsson (wechselt zu Paris Saint-Germain), Vladan Lipovina (Ziel unbekannt) und Bogdan Radivojevic (Pick Szeged) verabschieden und an dem es trotz der 26:29-Blamage gegen die Eulen Ludwigshafen häufig emotional, bisweilen sogar sentimental zugeht. Große Gefühle und Gänsehaut – alles ist dabei. Ganz so wie es sich eben gehört, wenn einer den Verein verlässt, den er auf ein „komplett neues Level“ gehievt hat, wie Geschäftsführerin Jennifer Kettemann anerkennend festhält: „Nikolaj steht wie kein anderer für die positive Entwicklung der Löwen. Wir verneigen uns hier deshalb nicht nur vor einem großartigen Trainer, sondern auch vor einem sensationellen Menschen.“
Keine Frage: Der Abschied des Titelsammlers, des Möglichmachers der vielen Triumphe, geht allen nicht nur nahe, sondern nimmt jeden mit. Jacobsen wird geherzt, gedrückt, gefeiert. Immer wieder fließen Tränen. Bei den Fans, den Spielern, den Vereinsverantwortlichen und natürlich auch beim gerührten Trainer, dessen Wutausbrüche mit hochrotem Kopf am Spielfeldrand nicht nur legendär sind, sondern schon längst Kultstatus genießen – was auch der Däne weiß. Deshalb richtet er explizit noch ein paar Worte an seine Mannschaft: „Hut ab, einige von euch haben fünf Jahre mit mir geschafft. Ihr müsstet Ohrenschmerzen haben und eine Medaille bekommen. Ansonsten möchte ich mich noch bei euch bedanken: Ihr habt mich zu einem besseren Trainer und Menschen gemacht.“
Nach dem letzten Saisonspiel am Pfingstsonntag beim SC DHfK Leipzig verlasse er den Club mit sehr viel schönen Erinnerungen, tollen Erlebnissen und großen Erfolgen, sagt Jacobsen, der zurück in seine Heimat zieht, sich auf seine Aufgabe als dänischer Nationaltrainer konzentrieren, aber den Bundesligisten weiter verfolgen wird. Notfalls von seinem Whirlpool im Garten aus, von dem er seit längerer Zeit träumt – und den ihm zum Abschied die Löwen schenken. Natürlich versehen mit einem Schriftzug all seiner Titel, die er mit den Badenern gewann und die seine „tiefe Verbundenheit und Nähe“ zu diesem Verein nur noch verstärken. „Es war mir eine Ehre, solch einen großen Verein zu trainieren“, adelt Jacobsen seinen Noch-Arbeitgeber und kündigt gleich schon einmal an, in den nächsten Monaten mehrfach nach Mannheim zu kommen: „Ich werde so häufig vorbeischauen, dass ihr euch fragt, ob ich immer noch in Leimen wohne.“
Löwen: Appelgren, Adanir (35. – 54. Minute) – Sigurdsson (5), ...
- Löwen: Appelgren, Adanir (35. – 54. Minute) – Sigurdsson (5), Guardiola (3), Radivojevic (1) – Fäth (2), Schmid (4/1), Lipovina (1) – Abutovic, Mensah Larsen (1), Taleski (2), Groetzki (5), Tollbring (1/1), Röller (1).
- Ludwigshafen: Hanemann, Asanin – Stüber (1), Salger (5), Dietrich (4), Hideg, Scholz (3), Spiler (1), Haider (3), Feld (6), Falk (3), Hofmann, Durak, Bührer (2), Dippe (1).
- Schiedsrichter: Christian und Fabian vom Dorff
- Zuschauer: 9225
- Strafminuten: keine – Stüber (2), Salger (2)
- Beste Spieler: Groetzki – Asanin, Dietrich, Feld.
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