Auf Juri Knorr wartet nach jedem Spiel ein Marathon. Mit den Fans. Und den Medien. Der Spielmacher der Rhein-Neckar Löwen ist ein gefragter Mann. Er gibt Interviews, schreibt Autogramme. Kurzum: Der 22-Jährige erfüllt Wünsche. Und neuerdings auch Träume. Vor allem seine eigenen. Bei den Mannheimern ist er nicht nur zu einem der besten deutschen Handballer und zu einem Hoffnungsträger der ganzen Nation gereift, sondern er gewinnt mit dem Club auch den DHB-Pokal. Beim Coup von Köln ist Knorr eine entscheidende Figur, entsprechend wird der gebürtige Flensburger nach dem 36:34-Finalerfolg über den SC Magdeburg zum besten Spieler der Endrunde gekürt – auch wenn er selbst davon spricht, dass „jeder seinen Teil zu diesem Erfolg beigetragen“ habe.
„Unfassbar hohes Niveau“
Diese Bescheidenheit ehrt Knorr nicht nur, sie ist typisch für ihn. Der Lauteste in einem Raum muss eben nicht immer der Stärkste sein. Meistens gilt sogar das Gegenteil. Sprich: Recht oft sind es eher die Menschen mit den leiseren Tönen, die aufgrund ihrer Leistung einen höheren Stellenwert als jeder Mensch gewordene Lautsprecher genießen. Knorr ist dafür das beste Beispiel.
Der 22-Jährige sieht sich selbst beispielsweise nicht als „klassischen Kapitän“. Oder zumindest könne er nicht erahnen, „ob ich jemals Kapitän sein werde. Aber ich weiß, dass ich eine Art der Führung auf dem Feld habe.“ Aufgrund seiner Position, seiner Fähigkeiten und seiner Klasse, die bei der Pokalendrunde bereits im Halbfinale deutlich wird.
Nach dem 38:31-Erfolg über die SG Flensburg-Handewitt verneigt sich der gegnerische Trainer Maik Machulla geradezu vor dem Mittelmann der Mannheimer: „Wir müssen anerkennen, dass die Löwen mit Juri einen Spieler hatten, der über 60 Minuten auf einem unfassbar hohen Niveau gespielt hat. Er hat jede Entscheidung richtig getroffen.“
Es ist ein Lob, das für Knorr einen gewissen Wert haben dürfte. Denn es stammt nicht nur von einem der erfolgreichsten Bundesliga-Trainer der jüngeren Vergangenheit, sondern auch von einem Mann, der einst selbst auf der Mitte die Fäden zog. Machulla weiß also, wie so ein Regisseur zu spielen hat. Und sieht sehr viel davon bei Knorr, der in dieser Saison seit dem ersten Spieltag die Löwen prägt. Was nicht zwingend zu erwarten war.
Der Rechtshänder tritt im Sommer 2022 kein leichtes Erbe an. Er folgt auf Vereinslegende Andy Schmid, der den Club zwölf Jahre lang prägte und von dem Knorr eine Saison lang lernte. Doch diese Ära endet. Und von diesem Augenblick an spielt Knorr nicht mehr an Schmids Seite, sondern an dessen Stelle – und zwar richtig gut. „Ich bin froh, jetzt mein Ding machen zu können“, sagt der 22-Jährige über das Ende seiner Rolle als Kronprinz hinter dem König Schmid, dem er „extrem dankbar“ ist: „Das eine Jahr mit ihm war eine mega-wichtige Erfahrung. Es war cool, ihn als Mentor zu haben.“ Doch Schmid ist nicht nur ein „Mentor“, sondern vor allem einer der besten Spieler aller Zeiten.
Knorr gibt zu, dass „die Vergleiche mit Andy schon auch eine Last für mich waren. Wenn wir über ihn sprechen, reden wir über die Legende der Löwen. Wie soll ich da in meinem Alter herankommen?“
Vor neun oder zehn Monaten ist das eine absolut berechtigte Frage. Nun gibt es längst die Antwort darauf. Knorr schreibt seine eigene Erfolgsgeschichte. Der gebürtige Flensburger ist der überragende Spieler der Löwen, seinen Vertrag hat er sogar bis 2026 verlängert. Weil der Rechtshänder weiß, was er an diesem Verein hat. Und weil der Nationalspieler schätzt, wie Trainer Sebastian Hinze mit ihm umgeht. „Er hat mir von Beginn an den Rücken gestärkt und mir das Gefühl gegeben, dass ich Fehler machen darf und ein wichtiger Teil in seinem Plan bin. Ich bin taktisch von Sebastians Ideen überzeugt“, sagt Knorr und nennt die momentane Situation bei den Löwen „einfach optimal für mich. Da gab es keinen Grund, etwas zu verändern.“
Mit der gleichen Reife und Ruhe, mit der Knorr dem Rummel und dem Hype um seine Person begegnet, agiert der Löwe auch auf dem Feld. Jedes Mal wird deutlich, wie erstaunlich abgezockt er schon sein kann. Zudem beherrscht der Rechtshänder Dinge, die nicht viele andere können. Und auch nicht lernen werden. Entweder hat man das gewisse Etwas. Oder man hat es nicht. Knorr hat es. Und fühlt sich bisweilen wie als kleiner Junge: „Im Endeffekt mache ich nur das, was ich schon seit meiner Kindheit tue. Ich habe praktisch in all meinen Mannschaften auf dieser Position gespielt und fülle diese Rolle nun so aus, wie ich das bereits in der C-Jugend getan habe.“ Nur eben noch ein bisschen besser. Wobei die Formulierung „ein bisschen“ einer Untertreibung gleicht.
Lob vom Weltmeistertrainer
Längst schwärmen die Mitspieler, die Konkurrenz staunt sogar. So wie der dänische Weltmeistertrainer Nikolaj Jacobsen: „Juri bringt alles mit. Er ist ein moderner Handballer, hat einen guten Blick fürs Spiel, ein starkes Eins-gegen-eins, ist schnell und torgefährlich.“ Deutschlands Nationaltorwart Andreas Wolff sieht bei Knorrs Entwicklung kein Limit, keine Grenze: „Juri kann einer der Weltbesten werden.“ Weil er lernt. Und zwar rasend schnell.
Denn Knorr war schon immer ein Spieler, der mit großen Überraschungen große Momente schaffen kann. Nach wie vor reizt ihn auch das Risiko. Aber er beherrscht seit einigen Monaten ebenso die Kunst des Machbaren. Der Regisseur weiß: Es geht nicht immer um das Besondere, sondern manchmal auch einfach nur um das Richtige. Und natürlich um Spaß. „Ich probiere, mir die Freude zu behalten“, erklärt der Hoffnungsträger sein recht simples Erfolgsrezept: „Wenn ich bei mir bin, dann kann ich der Mannschaft am meisten helfen.“ In dieser Saison gelingt ihm das ziemlich häufig.
URL dieses Artikels:
https://www.schwetzinger-zeitung.de/sport/vereine_artikel,-rhein-neckar-loewen-juri-knorr-der-dirigent-der-rhein-neckar-loewen-_arid,2075081.html