Herr Michelmann, was machen Sie am 28. Januar, also dem letzten Spieltag der Handball-EM?
Andreas Michelmann: Hoffentlich feiern.
Und was?
Michelmann: Den Erfolg.
Welchen?
Michelmann: Den der Europameisterschaft, weil sie gut gelaufen ist. Und den unserer deutschen Nationalmannschaft, weil wir mit der sportlichen Leistung zufrieden sind.
Sie gehen also davon aus, an diesem Tag die deutsche Mannschaft spielen zu sehen?
Michelmann: Daran glaube ich ganz fest.
Spiel um Platz fünf lasse ich nicht gelten.
Michelmann (lacht): So läuft das jetzt also.
Ja, so läuft das jetzt. Sie kommen an der Ziel-Formulierung Halbfinale sowieso nicht vorbei.
Michelmann: Es ist ja auch klar, dass wir diesen Traum haben. Bei einer Heim-EM wollen wir auch eine Stimmung erzeugen, die uns durchs Turnier trägt. Dafür benötigt man einen Traum, der öffentlich als hohes Ziel wahrgenommen wird.
Ein zu hohes?
Michelmann: Zukunft kann nicht gewusst werden. Und das ist besonders im Sport so.
Dann frage ich anders: Die Mannschaft ist sehr jung. Kommt dieses Turnier zu früh für sie, um wirklich um Medaillen zu spielen?
Michelmann: Nein. Mal ganz abgesehen davon, dass man sich nicht aussuchen kann, wann man solch eine EM ausrichtet. Solch ein Bewerbungsprozess ist schon ein Abenteuer an sich. Und ich will es mal so sagen: Wir können doch vor allem froh sein, nicht Gastgeber der EM 2022 mitten in der Corona-Pandemie gewesen zu sein. Keine Zuschauer, leere Ränge … eine gruselige Vorstellung. 2022 wäre also aus anderen Gründen tatsächlich zu früh gewesen. Und was 2024 angeht: Ich glaube an unsere Mannschaft.
Die allerdings nicht zur absoluten Weltspitze gehört.
Michelmann: Es stehen aber auch nicht so viele Mannschaften vor uns. Dänemark, Frankreich und Schweden sind stärker. Aber mit den dann folgenden Nationen wie zum Beispiel Spanien bewegen wir uns auf Augenhöhe.
Andreas Michelmann
Andreas Michelmann wurde am 13. Oktober 1959 in Aschersleben (Sachsen-Anhalt) geboren und studierte Germanistik in Leipzig.
Von 1994 bis 2022 war er Oberbürgermeister der Stadt Aschersleben. Seine politische Heimat ist die Wählerinitiative „Die Aschersleber Bürger“.
Michelmann wurde bei einem außerordentlichen Bundestag des Deutschen Handballbundes (DHB) am 26. September 2015 zum Präsidenten gewählt.
Er ist Sprecher der Initiative Teamsport Deutschland, einer Interessensvertretung der Mannschaftssportarten Fußball, Handball, Basketball, Eishockey und Volleyball, sowie Sprecher der Spitzenverbände des DOSB.
Der Vertrag von Bundestrainer Alfred Gislason endet – eine Qualifikation dafür vorausgesetzt – nach den Olympischen Spielen im nächsten Jahr. Wie geht es mit ihm weiter?
Michelmann: Vor Februar werden wir gar nichts entscheiden. So sind wir das immer angegangen, und so werden wir das diesmal wieder tun. Jetzt warten wir erstmal die EM ab.
Welche Erwartungen haben Sie ganz allgemein an dieses Turnier? Oder anders gefragt: Welche Bedeutung wird diese EM für den internationalen Handball haben?
Michelmann: Wir wollen dieses Turnier auf ein neues Level heben. Das ist uns in der Vergangenheit immer gelungen – und das möchten wir jetzt wieder schaffen. Die internationalen Handballturniere funktionieren in Deutschland auch deshalb so gut, weil wir auch an den nicht-deutschen Standorten oder Spieltagen immer sehr volle Hallen haben.
Deutschland richtet 2025 noch die Frauen-WM gemeinsam mit den Niederlanden sowie 2027 die Männer-WM aus. Außerdem hat der DHB gemeinsam mit Frankreich und der Schweiz bei den Männern sowie mit Polen und Dänemark bei den Frauen sein Interesse an fünf weiteren Turnieren bekundet. Reihen wir jetzt in Deutschland ein Jahrzehnt des Handballs an das nächste?
Michelmann: Das wäre doch schön. Die Elefantisierung der Teilnehmerfelder hat dazu geführt, dass nur noch wenige Nationen solch ein Turnier allein ausrichten können. In Europa können das die Franzosen und wir. Und außerhalb Europas scheinen einige arabische Länder mittlerweile alles zu können, inklusive asiatischer Winterspiele. Von daher ist denen immer zuzutrauen, ein paar Hallen aus dem Boden zu stampfen und Weltmeisterschaften auszurichten.
Fänden Sie eine WM in Saudi-Arabien gut?
Michelmann: Europa ist nicht mehr der Sportnabel der Welt. Daran müssen wir uns gewöhnen. Aber reden wir über Saudi-Arabien: Sollte eine WM dorthin vergeben werden, muss das an Forderungen geknüpft sein. Und wenn diese Forderungen nicht erfüllt werden, muss es auch Konsequenzen geben.
An was für Forderungen und Konsequenzen denken Sie?
Michelmann: Wir sind nicht der Weltverband und können nur Forderungen stellen, doch die endgültige Entscheidung liegt beim internationalen Verband. Eine Forderung könnte sein, dass Frauen mit der gleichen Selbstverständlichkeit in einem Land wie Saudi-Arabien Handball spielen dürfen wie Männer. Und zwar nach Möglichkeit in Sportkleidung. Eine Weltmeisterschaft kann also immer auch eine Chance für einen gesellschaftlichen Wandel im Gastgeberland sein. Leider wurde diese Chance in der Vergangenheit in fast allen Sportarten zu selten oder sogar gar nicht ergriffen. Denn bei allem Respekt muss es doch auch möglich sein, Dinge, die uns missfallen, offen anzusprechen.
Wäre der Deutsche Handballbund als größter Handballverband der Welt dann nicht für eine Vorreiterrolle geeignet?
Michelmann: Da müssen wir aufpassen. Sonst heißt es wieder: typisch deutsch. Das haben wir doch bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar gesehen. Wir alle sollten daraus gelernt haben, dass wir uns nicht als Lehrmeister aller Nationen aufspielen dürfen. Deswegen sage ich es noch einmal: Der DHB ist nicht der Weltverband. Aber der könnte eben Turniervergaben an gewisse Forderungen knüpfen, die vom Gastgeber erfüllt werden müssen.
Wir haben über das deutsche Interesse gesprochen, weitere Turniere gemeinsam mit anderen Ländern austragen zu wollen. Warum nicht wieder allein?
Michelmann: Es geht um Solidarität. Der Deutsche Handballbund tut gut daran, nicht auf einem Ego-Trip unterwegs zu sein. Und wie Sie sehen, haben wir uns als Partner bewusst Nachbarländer gesucht. Das war uns wichtig. Konstellationen wie Norwegen, Schweden und Österreich oder Kroatien, Schweden und Dänemark finde ich nicht so gut. Aber immerhin spielen wir anders als der Fußball keine Turniere über drei Kontinente. Das ist ja nun wirklich ein durch nichts zu rechtfertigender Unsinn.
Sport hat keine starke Lobby in Deutschland.
Handball-Bundestrainer Gislason hat über die Sport-Infrastruktur in seiner isländischen Heimat geschwärmt und damit zum Ausdruck gebracht, was es in Deutschland alles nicht gibt. Ist Deutschland kein Sportland mehr?
Michelmann: Deutschland ist generell gerade in einer schwierigen Entwicklungsphase. Ich kann allerdings das ganze Gejammer nicht mehr hören, dass es kein Geld gibt. Kein Geld gibt es in Deutschland schon lange. Erst kam die Finanzkrise, dann eine Pandemie und nun der Krieg in der Ukraine – und plötzlich gab es Abermilliarden und ein Sondervermögen für die Bundeswehr. Ich will damit die einzelnen Maßnahmen gar nicht infrage stellen. Aber zu sagen, der Staat hätte kein Geld, das stimmt doch nicht.
Wenn es also Geld gibt. Warum werden nicht mehr Sporthallen gebaut?
Michelmann: Weil der politische Wille fehlt. Weil der Sport keine ausreichend starke Lobby in Deutschland hat. Es gibt eine Staatsministerin für die Kultur. Aber nicht für den Sport. Über bestimmte Entwicklungen müssen wir uns also nicht wundern.
Wie meinen Sie das?
Michelmann: Die niederländische Leichtathletik hat die deutsche Leichtathletik mittlerweile pulverisiert. Und die Niederlande liegen nicht auf einem anderen Planeten, sondern da können wir mit dem Fahrrad hin. Und dort sollten wir uns mal das Trainingszentrum Papendal ansehen, um anschließend davon sieben oder acht in Deutschland zu bauen. Machen wir aber nicht. Und warum?
Weil der Wille fehlt.
Michelmann: Genau.
Apropos Leichtathletik: Das Analysesystem „PotAS“ hatte bei der Verteilung der Fördergelder des Bundes der Leichtathletik das höchste Medaillenpotenzial bescheinigt, dem Basketball das niedrigste.
Michelmann: Das Beste an „PotAS“ ist das „O“, weil das „O“ der Glaskugel ähnelt, mit der man „PoTAS“ vergleichen kann. Es ist ein großes Problem, dass der Staat – in diesem Fall das Bundesinnenministerium und der Bundesrechnungshof – bei der Verteilung der Fördergelder eine Objektivität haben will, die es doch gar nicht geben kann. Am Ende muss im Sinne der Sache immer von Fall zu Fall entschieden werden. Zu glauben, mit mehr als 120 Kriterien plötzlich einen objektiven Sachverhalt zu haben, auf dessen Grundlage man entscheiden kann, dient nur der Beruhigung der Gemüter, wird dem Leistungssport aber nicht gerecht. Denn jetzt kommt solch ein Unsinn dabei heraus wie zuletzt, als der Leichtathletik die größten Medaillenchancen eingeräumt wurden und dem Basketball die kleinsten. Der Ausgang beider Weltmeisterschaften ist bekannt. Deswegen können wir es mit „PotAS“ auch lassen und das dafür aufgewendete Geld besser direkt in den Sport stecken. Oder wie wäre es denn mit ein bisschen mehr Vertrauen?
Wie meinen Sie das?
Michelmann: Diese zwanghafte Suche nach objektiven Kriterien entspringt doch einer Kultur des Misstrauens, wonach sich die Verbände das Geld in die Hosentasche stecken und es nicht vernünftig investieren. Ich kenne aber keinen Spitzenverband, der von dem Geld Champagner kauft.
Sie sprechen von Misstrauen, fehlender Lobby und nicht vorhandenem Willen. Das klingt jetzt nicht danach, als wenn es zeitnah Olympische Spiele in Deutschland gibt.
Michelmann: Ich hoffe, dass es Olympische Spiele in Deutschland geben wird. Und es ist auch keine Schande, dass sich der Sport davon einen Schub, eine bessere Infrastruktur erhofft. Wissen Sie, ich bin erstaunt, wie Teile der Politik über 27,8 Millionen Menschen, die über den Deutschen Olympischen Sportbund organisiert sind, einfach so hinwegschauen. Ich glaube, so viele Menschen sind in den Parteien nicht organisiert. Aber vielleicht sind gerade die 27,8 Millionen organisierten Sportlerinnen und Sportler und unsere Fähigkeit, Großveranstaltungen als Fest zu gestalten, eine gute Basis für eine Olympiabewerbung.
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