Ankara. Die türkische Kommunalwahl im März galt vielen als Hoffnungsschimmer. Dass sich der Politiker der Republikanischen Volkspartei dann gegen den blassen Vertreter der regierenden AKP von Tayyip Recep Erdogans Gnaden deutlich durchgesetzt hat, war in der Deutlichkeit dennoch eine Überraschung. Und sie führte dazu, dass der autokratisch regierende Präsident politische Kurskorrekturen ankündigte. Was er damit meinte, ist aber noch sein Geheimnis.
Stattdessen entsteht der Eindruck, dass Machtmechanismen greifen, die undemokratisch und intransparent geführten Staaten gemeinhin nachgesagt werden. Gegen den alten und neuen Bürgermeister Istanbuls, Ekrem Imamoglu, läuft derzeit ein Strafverfahren. Es geht um ein viele Jahre zurückliegendes Bauvorhaben aus Imamoglus Zeit als Stadtteilbürgermeister. Dabei soll es zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein, die den Staat 7000 Euro gekostet haben sollen. Nun beantragt die Staatsanwaltschaft, den amtierenden Bürgermeister für sieben Jahre hinter Gitter bringen zu dürfen.
Die Wirtschaft darbt, die Lebensmittelpreise sind hoch
Solches Gebaren ist in der Türkei nicht neu. Erdogan selbst hat nach seiner Zeit als Istanbuler Bürgermeister mehrere Monate im Gefängnis verbracht. Fünf Jahre später war er Staatspräsident – und hat das Amt seither nicht wieder abgeben müssen.
Sollte sich Geschichte wiederholen, könnte Imamoglu dem Mann aus Kasimpasa einmal mehr nachfolgen. Wenn ihm das gelänge, ginge nicht nur eine inzwischen Jahrzehnte währende Vormachtstellung der rechtspopulistischen AKP zu Ende, Imamoglu hätte auch einiges aufzuräumen in dem orientalischen Land, das Deutschland so verbunden ist wie nur wenige andere. Die Wirtschaft in der Türkei darbt, die Lebensmittelpreise sind hoch. Sie treiben die Inflation auf bis zu 70 Prozent.
Die junge Elite kehrt der Türkei in Scharen den Rücken. Gebildete Türkinnen und Türken sehen keine Zukunft mehr in dem Staat, dessen Gebiet Asien und Europa miteinander verbindet. Kritiker werfen Erdogan vor, die Stimmung nachhaltig vergiftet zu haben. Sein Rechtsruck und sein immer offener zur Schau gestellter muslimischer Glaube spalten die Republik. Auf dem Land fliegen dem Präsidenten die Herzen zu – trotz der Inflation und wegen seiner unnachgiebigen Haltung gegenüber den Kurden. In den Städten sehen die Türken ihren Präsidenten aber deutlich kritischer – wegen der Inflation und seines Vorgehens gegen die Kurden.
Erdogan verhält sich, wie viele Politiker das tun. Wenn ihnen innenpolitisch der Wind entgegenweht, wenden sie sich der Außenpolitik zu. Als NATO-Partner hat sich die Türkei durch Erdogan unberechenbar gemacht. Erdogan setzt auf Austausch mit Moskau und erweckt stets den Eindruck, nicht zu 100 Prozent an der Seite der Ukraine und damit der anderen NATO-Staaten zu stehen. Eindeutig ist seine Position gegenüber Israel. Erdogan hat sich und sein Land hinter die Palästinenser und damit auch hinter die Terrororganisation Hamas gestellt. Während die NATO den Terrorakt vom 7. Oktober scharf kritisierte, empfing Erdogan Vertreter der Hamas und sicherte der Organisation Unterstützung zu.
Dieses Verhalten hat sich auch auf den Türkei-Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ausgewirkt. Erst am dritten Tag seines Aufenthalts traf Steinmeier den türkischen Präsidenten. Ekrem Imamoglu, Istanbuls wiedergewählter Bürgermeister, war hingegen die erste Station des hohen Gastes aus Deutschland. Den künftigen Beziehungen kann das nützen, die gegenwärtigen sind vor einiger Zeit auf einem Tiefpunkt angelangt.
Das hat auch mit Erdogans extrovertierter Wahlkampfpolitik zu tun. Seine Auftritte vor Türken in Deutschland sind leicht als Anti-Integrationskampagnen zu enttarnen gewesen. Die „Anstalt für Religion“, DITIB, hat sich in den vergangenen Jahren immer deutlicher als verlängerter Arm der AKP und deren Führung entpuppt. Und dass sich nun in Deutschland auch noch eine Partei namens DAVA von Türken für Türken mit oder ohne deutschen Pass gegründet hat, entlastet die Beziehungen zwischen den beiden Ländern auch nicht gerade.
Star aus Mannheim
Die Türken starteten mit deutscher Expertise in die EM-Qualifikation: Aber Trainer Stefan Kuntz – einst selbst ein beliebter Gastarbeiter in der Türkei – scheiterte in den Play-offs zur WM in Katar und musste seinen Stuhl im September 2023 räumen, als er eigentlich noch aussichtsreich in der Qualifikation zur EM unterwegs war.
Sein Nachfolger ist der Italiener Vincenzo Montella. Er qualifizierte sich mit der türkischen Nationalelf für das Turnier in Deutschland. In der Vorrunde stehen seinem Team nun Portugal, Tschechien und Georgien im Weg.
Der Kader gibt Erfolge gegen Georgien und Tschechen durchaus her. Und das liegt nicht allein am gebürtigen Mannheimer Hakan Calhanoglu, der bei Inter Mailand in der Serie A im Mittelfeld die Fäden zieht und gerade erst italienischer Meister wurde. Auch Arda Güler, der noch verletzte Cengiz Ündar und vor allem Stürmer Kenan Yildiz von Juventus Turin stehen für internationale Qualität.
Und dann war da ja eigentlich noch ein sehr hoffnungsvolles Talent, das beim 1. FC Nürnberg hat aufhorchen lassen. Can Uzun gilt als einer der talentiertesten Mittelfeldspieler in Europa, wurde aber kurz vor dem Turnier aus dem finalen Kader der Türken gestrichen.
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